1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Humboldt nach 250 Jahren relevanter denn je

14. September 2019

Alexander von Humboldt vermaß alles, was ihm in die Quere kam. Zwar sind einige seiner Entdeckungen heute überholt, aber sein ganzheitlicher Ansatz hat viel mit unserem heutigen Verständnis der Welt gemein.

Alexander von Humboldt, Chimborazo, Ecuador,
Bild: PNAS Verlag

Es gibt kaum einen anderen Namen, der verbreiteter ist als der Name Humboldt. Universitäten, Schulen, Schiffe, Tiere, Pflanzenarten und zwei Asteroide wurden nach dem berühmten deutschen Forscher benannt. Sein Name wurde auch dazu benutzt, alles Mögliche zu verkaufen – von Nähmaschinen bis zu Zigarren.

Alexander von Humboldt wurde nicht immer so verehrt. Nach seinem Tod 1859 litt sein Ruf. Während des Ersten Weltkriegs, als alles Deutsche in der westlichen Welt einen schlechten Ruf hatte, verschwand auch der Name Humboldt fast vollständig aus dem öffentlichen Bewusstsein.

Heute - 250 Jahre nach seiner Geburt - ist Humboldt wieder modern. Mit seinem Namen werden jetzt neue Produkte verkauft. Es gibt zahlreiche neue Bücher über ihn. Und in Berlin wird in diesem Jahr vielleicht schon das "Humboldt Forum", eröffnet, ein Museum im wiedererbauten Stadtpalast.

Der preußische Forscher, Autor, Abenteurer und Universalgelehrte ist heute hoch angesehen, auch aufgrund seiner interdisziplinären Herangehensweise, für die er viele Jahrzehnte kritisiert wurde.  Als Humboldt starb, war es für Wissenschaftler wichtig, sich zu spezialisieren und die Forschungsgebiete zu klassifizieren. Nach der damaligen gängigen Auffassung konnte nur ein tiefgreifendes Verständnis in einer einzigen Forschungsdisziplin zu neuen Erkenntnissen führen, alles Andere schien damals dilettantisch.

Wissenschaftler, Entdecker und Träumer: Alexander von HumboldtBild: picture-alliance/Heritage-Images

Heute sind wir mit Problemen konfrontiert, die das Arbeiten über Forschungsfelder hinaus, ein interdisziplinäres Arbeiten, erfordern. Die Erderwärmung kann ein Wissenschaftler nicht verstehen, wenn er nur einzelne Vorgänge untersucht. Alle Organismen, geologischen Phänomene, chemischen Faktoren und das menschliche Handeln sollten als ein Ganzes betrachtet werden.

Humboldt hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Menschen die Erde als ein dynamisches, komplexes System verstehen. Die humboldtsche Denkweise ist eine Herangehensweise, die exakte Daten, persönliche Beobachtungen und ein ganzheitliches Verständnis von der Natur kombiniert.

Ein globaler Blick

Humboldt hinterließ neben diesem interdisziplinären Ansatz noch weitere wichtige Prinzipien für künftige Wissenschaftler. Sein Credo war: Habt keine Angst vor neuen Technologien. Nutzt Grafiken, um komplizierte Sachverhalte zu erklären. Akzeptiert, dass alles Wissen unvollständig ist. Behandelt alle Menschen gleich.

Was heute selbstverständlich ist, hatte Humboldt unter den Wissenschaftlern damals erstmals als Prinzip eingeführt: Forscher arbeiten zusammen statt alleine für sich.

Vergleich von Humboldts Chimborazo von 1802 mit der heutigen RealitätBild: PNAS Verlag

Humboldt hat auch Konkretes hinterlassen wie etwa seine Tagebücher, Veröffentlichungen und die enorme Daten-Menge, die er zu Lebzeiten zusammengetragen hatte. Erst vor kurzem nutzten Wissenschaftler seine Messungen des ecuadorianischen Vulkans Chimborazo, der einst als der höchste Berg der Welt galt, um herauszufinden, wie sich der Berg in den vergangenen 210 Jahren verändert hat.

Mit Humboldts Aufzeichnungen zur Pflanzen-Geografie untersuchten sie außerdem, wie viel Biodiversität bereits durch den Klimawandel und die Ausbreitung der Landwirtschaft verloren gegangen ist.

So ist etwa der Gletscher des Chimborazo um 450 Meter zurückgegangen, und Pflanzen siedeln sich heute bis zu 500 Meter höher am Berg an, als dies noch zu Humboldts Zeiten der Fall war.

Humboldt hätte dieses Projekt begeistert. Er hatte sich immer dafür eingesetzt, Forschungsergebnisse zu teilen, und er arbeitete gerne mit anderen Wissenschaftlern zusammen. Landesgrenzen, Staatsbürgerschaft oder Sprache waren für ihn keine Hindernisse - im Gegenteil.

Er war der zentrale und verbindende Punkt in einem weltweiten Netzwerk. Mit ihm kommunizierten Forscher über große Entfernungen und viele Jahre hinweg.

Die Natur kartographieren

Doch bevor irgendjemand seine Daten zu sehen bekam, arbeitete sich Humboldt selbst durch den umfangreichen Berg von Informationen. Er erstellte Infografiken, um zu erklären, wo welche Pflanzen wuchsen. Er war der erste, der Klimazonen durch Isotherme kennzeichnete. Das sind die Linien, die Punkte gleicher Temperatur verbinden und noch heute auf Wetterkarten verwendet werden.

Wissenschaft, Geographie und Kunst: Humboldt-Grafik der verschiedene Pflanzen auf TeneriffaBild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

Er übersetzte hunderte Seiten seiner Notizen in zahlreiche leicht verständliche Grafiken. In Zusammenarbeit mit einigen der besten Künstler seiner Zeit erschuf Humboldt neue Erklärungen für Naturphänomene, die auch Laien auf einen Blick verstehen konnten.

Einige der Grafiken und Illustrationen sind so detailliert, dass ihre eigentliche Bedeutung noch immer nicht völlig enträtselt wurde. Andere sind inzwischen zu Klassikern der Wissenschaft geworden und hängen inzwischen in Museen. Fast alle zeigen, wie Humboldt die Welt sah: Vertikal, von der Spitze des höchsten Berges bis hinab in die tiefsten Minen.

Respekt für alle

Humboldt war einer der innovativsten Kartenzeichner seiner Zeit. Die detaillierten Karten von Südamerika, Kuba und Mexiko trugen zum Selbstbewusstsein der dort lebenden Menschen bei. Die akkuraten Darstellungen legten konkrete Gebietsgrenzen fest, die nicht mehr angefochten werden konnten. Auf diese Weise erhielten die Länder eine Form, kurz bevor viele von ihnen unabhängig wurden. Noch heute sind Humboldts Spuren auf jeder Südamerika-Karte erkennbar.

Auf Humboldts Spuren: Sklaverei – das größte aller Übel

10:22

This browser does not support the video element.

Die indigene Bevölkerung der Länder, die Humboldt bereiste und erforschte, bezog er häufig in seine Arbeit ein. Die Sklaverei verurteilte er auf das schärfste. Sie sei "ohne Zweifel das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben."

In seinen Augen waren alle Menschen gleich. Humboldt zeigte, dass sich die alten Zivilisationen der Neuen Welt auf gleichem Niveau mit denen in Europa, Afrika oder Asien befanden. Auch aus diesem Grund genießt Alejandro de Humboldt seit zwei Jahrhunderten ein hohes Ansehen in Südamerika.

Noch heute inspiriert Alexander von Humboldt Menschenrechts-Aktivisten. "Er kämpfte gegen soziale Ungerechtigkeiten wie die Sklaverei und gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen in den mexikanischen Minen. Das ist vergleichbar mit heutigen Problemen wie dem Menschenhandel, den ausbeuterischen Betrieben und den grauenhaften Arbeitsbedingungen vieler Einwanderer ohne Papiere in den USA", sagt Vera Kutzinski, die Leiterin des Projekts Alexander von Humboldt in English" und Professorin an der Vanderbilt University im US-Bundesstaat Tennessee.

Man lernt nie aus

In unserer schnelllebigen Zeit wirke verbindend, dass Humboldts Arbeit kein abgeschlossenes Produkt war, schreibt Vera Kutzinski. Humboldt war es immer wichtig, den aktuellen Forschungsstand so schnell wie möglich in seinen Projekten zu berücksichtigen, und er betonte dabei oft, dass auch seine eigenen Publikationen nur vorläufige Ergebnisse seien.

Humboldt hat diese Darstellungen von Kostümen mexikanischer Maler zu Montezumas Zeiten in sein Buch "Vue des Cordilliéres et monuments des peuples indigénes de l'Amerique" von 1810 aufgenommenBild: Botanisches Museum Berlin/Foto: Timothy Rooks

Er zögerte auch nicht, eigene Fehler zu korrigieren oder ein Ideengeber für andere Forscher zu sein. Humboldt war ein Sprungbrett für Generationen von Wissenschaftlern, die ihm folgen und seine Forschung weiter betreiben sollten. Wie etwa Charles Darwin, der wenige Monate nach Humboldts Tod seine Publikation "Über die Entstehung der Arten" veröffentlichte.

"Indem er darauf bestand, dass Wissen immer unvollständig ist, und dass der Lernprozess niemals aufhört, macht Humboldt einen ausdrücklichen Unterschied zwischen dem Konsumieren von Informationen und Daten, und dem tatsächlichen Wissen über eine Sache", bilanziert Vera Kutzinski.

Eine wahre Inspiration

Humboldt aber als unnahbares Genie zu bezeichnen, wäre falsch, sagt Andreas W. Daum, Autor eines neuen Buches über den Forscher. "Wir können Humboldt besser verstehen, wenn wir ihn von diesem Podest holen", so Daum. "Wir lernen mehr über uns selbst und über Humboldt, wenn wir ihn nicht wie einen übermenschlichen Halbgott verehren. Wenn wir Humboldt als einen Menschen dieser Welt wahrnehmen, erkennen wir, dass wir in einer Welt leben, in der alles miteinander verbunden ist."

Obwohl Humboldt insbesondere einen Einfluss auf Südamerika hatte, ist er auf der ganzen Welt bekanntBild: T. Rooks

Auch ohne Heldenverehrung wird deutlich: Humboldt war einer der ersten Weltbürger, dem weder nationale noch ethnische Grenzen viel bedeuteten. Der geborene Preuße reiste durch vier Kontinente, er lebte jahrzehntelang in Paris, er sprach etliche Sprachen und er war in der Lage in mindestens drei Sprachen zu schreiben. Humboldt arbeitete hart, er teilte seine Forschungsergebnisse großzügig mit anderen und unterstützte junge Wissenschaftler finanziell, auch wenn er es sich kaum leisten konnte. Er hatte keine Angst davor, Fehler zu machen, sich selbst zu korrigieren, oder seine Meinung komplett zu ändern.

Alexander von Humboldt setzte sich für die Rechte von anderen ein, und er hat sein Leben der Wissenschaft gewidmet. Er hat gezeigt was möglich ist, wenn man Träume hat, seine Ziele entschlossen verfolgt und dabei gleichzeitig in vollen Zügen lebt. Humboldt ist gerade heute so relevant wie schon lange nicht mehr.

Auf Humboldts Spuren: Die Vermessung der neuen Welt

08:31

This browser does not support the video element.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen