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26 Seiten für die Zeit nach dem Brexit

Andreas Rostek-Buetti mit Agenturen
23. November 2018

Beim Sondergipfel zwischen EU und Großbritannien sollen am Sonntag Wegmarken für die Beziehungen beider Seiten nach dem Brexit abgesteckt werden. Was bedeutet die entsprechende "Politische Erklärung" für die Wirtschaft?

Brexit Symbolbils | Mann mit Schirm auf der Westminster Bridge
Bild: Getty Images/D. Kitwood

Die Teilnehmer des Brexit-Gipfels am Sonntag in Brüssel werden eine Menge Papier mit sich tragen: Gut 600 Seiten umfasst der Austrittsvertrag, der nun seit einer Woche vorliegt und den Abschied Londons von der EU regeln soll. Nur 26 Seiten reichen den Unterhändlern dagegen bisher, um die unmittelbare Zukunft für das beiderseitige Verhältnis nach dem Austritt zu skizzieren. Diese "Politische Erklärung" ist anders als der Austrittsvertrag rechtlich nicht bindend. Aber sie wirft Schlaglichter auf die Folgen des Brexits für die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs.

Das Papier über die künftigen Beziehungen nach dem EU-Austritt Großbritanniens Ende März 2019 zeigt noch allerlei Widersprüche. Und offene Punkte bleiben viele. Aber die britische Regierungschefin Theresa May hat es schon mal gelobt: "Dies ist der richtige Deal für Großbritannien", sagte sie. "Der Text, auf den wir uns nun geeinigt haben", so May, "würde eine neue Freihandelszone schaffen mit der EU - ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmäßige Beschränkungen."

Premierministerin Theresa May im Unterhaus in LondonBild: picture-alliance/empics

Eine "tiefe Partnerschaft"?

Kaum wird der Austritt der Briten aus der EU vollzogen sein, soll laut der "Politischen Erklärung" eine jahrelange "ehrgeizige, breite, tiefe und flexible Partnerschaft" folgen. Es geht dabei um einiges: Genannt werden neben den Bereichen Handel und Wirtschaft Themenfelder wie Strafverfolgung, Strafjustiz, Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung.

Im Handel soll es Zölle und Quoten weiterhin nicht geben - wenigstens für eine Übergangszeit, die dem Dokument zufolge aber bis Ende 2022 dauern kann. So lange könnten die Verhandlungen um eine definitive Klärung aller Details sich hinziehen. In der Zwischenzeit können die Briten ihren Cheddar wie bisher auf den Kontinent liefern und die Franzosen ihren Bordeaux oder die Deutschen ihre Maschinen auf der Insel anbieten. So wird festgehalten, dass man "eine Handelsbeziehung bei Waren anstrebt, die so eng wie möglich ist".

Gleichzeitig betont der Text aber, dass "die Vertragspartner separate Märkte und eigenständige Rechtsordnungen" haben werden. Es wird darauf verwiesen, dass die Warenströme "durch Zollverfahren und Kontrollen gemanagt werden müssten". Durchaus verständlich, denn eines der zentralen Ziele der Brexiteers, der Befürworter des EU-Ausstiegs sind ja gerade eigene Handelsabkommen Großbritanniens mit anderen Ländern jenseits der EU. So heißt es in der politischen Erklärung ausdrücklich, man erkenne "die Entwicklung einer unabhängigen Handelspolitik durch das Vereinigte Königreich" an.

Einerseits - andererseits

Gerade das aber könnte sich als Widerspruch erweisen zum zuvor formulierten Ziel einer "Freihandelszone, die tiefe Kooperation bei Regeln und Zoll" beinhalte. Einerseits also die Idee eines "einheitlichen Zollgebiets" - besonders für den künftigen Umgang mit Nordirland und seine Grenze zum EU-Mitglied Irland eine wichtige Frage. Andererseits aber die "unabhängige Handelspolitik". Auch Gibraltar könnte da noch zum Stolperstein werden. 

Brexit-Problem Nordirland - hier an der Grenze zu IrlandBild: Getty Images/AFP/P. Faith

"Papier ist geduldig", urteilt denn auch Fabian Zuleeg vom Think tank European Policy Centre in Brüssel. "Da kann man viele Dinge reinschreiben, die ambitioniert klingen, aber am Ende muss das noch im Detail verhandelt werden."

Zudem ist es durchaus fraglich, ob Premierministerin May ihre Verhandlungsergebnisse durch das Parlament in London bringen kann. Wenn nicht, dürfte May ihren Job verlieren - und das Land würde auf einen harten Brexit zusteuern. Ohne Regeln, ohne Übergangsfristen. Deutschland bereitet sich auch auf diesen Fall vor, so Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz.

Man sei auch im Falles eines ungeregelten Brexit gerüstet, sagte der SPD-Politiker der "Passauer Neuen Presse". Ein kontrollierter wie ein unkontrollierter Brexit stelle Deutschland "vor Herausforderungen, die wir aber bewältigen können und bewältigen werden", so Scholz. Wenn sich der Grenzverkehr verkompliziere, werde sich das auf Unternehmen negativ auswirken, die Teile ihrer Produkte auf der Insel herstellten und die Produkte in die internationalen Lieferketten einbeziehen müssten, warnte der Minister.

Gerüstet für den ungeregelten Brexit

Tatsächlich bereiten sich deutsche Unternehmen bereits auf beide Varianten eines Brexit vor, macht der Verband der Maschinenbauer VDMA deutlich: "Einige unserer Mitgliedsfirmen haben sich entschlossen, ihre Lieferketten brexit-free zu gestalten", sagte VDMA-Außenwirtschaftsexperte Ulrich Ackermann der DW, "das heißt, sie kaufen keine Teile und Komponenten mehr in Großbritannien".

Maschinenbauer in Deutschland - was wird aus den Kunden in Großbritannien? Bild: picture-alliance/dpa/DMG Moro Seiki/Thissen

Großbritannien sei im vergangenen Jahr unter den wichtigen Exportmärkten für die deutschen Maschinenbauer die Nummer 4 gewesen. "Und dieser Exportmarkt wird stark betroffen sein", so Ackermann. Unklar sei aber, ob der Markt tatsächlich einbrechen werde, sagte der Handelsexperte der DW: "In keinem Bereich des Maschinenbaus verfügen die Briten über moderne Maschinenbauprodukte für den lokalen Markt", so Ackermann. "Sie bleiben also von Importen abhängig, in der Lebensmittelindustrie, bei Werkzeugmaschinen, bei Kunststoff- und Textilmaschinen und so weiter."

Der Brexit-Experte des Instituts der deutschen Wirtschaft, Jürgen Matthes, hält das Verhandlungsergebnis aus Sicht der EU für durchaus vorteilhaft. Von einem solchen Abkommen hätte die EU mehr als Großbritannien. "Die EU hat komparative Vorteile im Warenhandel, die Briten vor allem bei Dienstleistungen", sagt Matthes. "Da bei Waren die Anbindung des UK weitgehend erhalten bliebe, es im Servicesektor aber deutlich höhere Barrieren geben würde, wäre es leicht zu argumentieren, dass die Briten keinen 'Favorable Deal' bekommen haben. " Und: "Das hat sich wirklich nicht gelohnt für die Briten."

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