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Politik

Dresden feiert, Dresden pöbelt

Marcel Fürstenau zur Zeit Dresden
3. Oktober 2016

Die Semperoper mutiert zum Hochsicherheitstrakt. Rechtspopulistische Demonstranten skandieren "Merkel muss weg". Deutschland hat seine Wiedervereinigung schon fröhlicher gefeiert. Von Marcel Fürstenau, Dresden.

Deutschland Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit
Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Dieser Tag der Deutschen Einheit stand schon lange vor dem 3. Oktober unter keinem guten Stern. Am Montag vergangener Woche explodierten in Dresden vor einer Moschee und dem Kongresszentrum Sprengsätze. Wer auch immer dahinter steckt, die Stoßrichtung war klar: gegen Andersgläubige und Flüchtlinge, gegen die politische Elite in Deutschland. Und das Zündeln ging im wahrsten Sinne des Wortes weiter, als kurz vor dem Feiertag mehrere Polizeiautos in Flammen aufgingen. Es waren die Vorboten für eine stark getrübte Feier am 26. Jahrestag der Deutschen Wiedervereinigung.

Am Ende spielt nicht einmal das Wetter mit: Pünktlich zum Beginn des Festakts in der Semperoper öffnet der Himmel seine Schleusen. Der weitläufig mit Gittern abgesperrte und von hunderten Polizisten geschützte Theaterplatz versinkt im Regen. Drinnen sind die Spitzen des Staates versammelt, draußen harren Schaulustige unter Regenschirmen aus. Wer die ins Freie übertragenen Reden des gastgebenden sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und die von Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU) hören will, hat es schwer. Denn in vorderster Linie versperren jene den Blick und teilweise den Weg, die partout keine Lust auf Feiern haben und den Tag der Deutschen Einheit auf ihre Art zelebrieren.

Schwarz-Rot-Gold à la PegidaBild: DW/M. Fürstenau

Manche geben sich offen als Anhänger der islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung zu erkennen, die am späten Nachmittag in der Nähe des Hauptbahnhofs noch eine offiziell angemeldete Demonstration veranstaltet. Die meisten Protestierer aber unterscheiden sich äußerlich nicht von jenen, die gerne den Politikern zuhören wollen. Wer etwas verstehen will, ist gut beraten, Abstand zu halten. Denn die Störer erzeugen mit ihren Trillerpfeifen einen Höllenlärm. Sich selbst schützen sie mit Schaumstoff-Stöpseln in den Ohren. Ihre eigenen "Merkel raus"-Rufe dürften sie im Unterschied zu den friedfertigen Besuchern des Einheitsfestes nur gedämpft vernommen haben.

Bundestagspräsident Lammert spricht die Störer direkt an

An einem Dialog haben diese Leute kein Interesse. Als Parlamentspräsident Lammert sie via Live-Bild aus dem Opernhaus direkt anspricht, gehen seine Worte endgültig im Krach der Menge unter. Diejenigen, die heute besonders laut pfiffen und schrien und ihre erstaunliche Empörung kostenlos zu Markte trügen, die hätten offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen daran, "in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befunden haben, bevor die deutsche Einheit möglich wurde".

Konnte seine Gegner zwar hören, aber nicht sehen: Bundestagspräsident Norbert Lammert Bild: Getty Images/S. Gallup

Könnte Lammert seine vielleicht hundert Meter entfernten Verächter in diesem Moment sehen, er würde in wütende, teils hasserfüllte Gesichter blicken. Es sind die Gesichter von Menschen aller Altersgruppen, vom Teenager bis zum Rentner. Einige haben Plakate mit Anti-Merkel-Parolen dabei, andere Deutschlandfahnen, auch ein goldenes Kreuz ist zu sehen. Wer nichts in den Händen hat, unterstreicht seine Rufe ("Haut ab!") mit obszönen Gesten. Der ausgestreckte Mittelfinger Richtunger Semperoper und damit Richtung Politikern gehört in diesen Kreisen zum guten Ton.

Sachsens Regierungschef Tillich wird als "Stasi-Schwein" verunglimpft

"Beschämt erleben wir, dass Worte die Lunte legen können für Hass und Gewalt", sagt Sachsens Regierungschef Tillich. Als sein Gesicht auf der großen Leinwand erscheint, skandiert der Pöbel "Stasi-Schwein". Es ist ein bizarres Wechselspiel zwischen Mahnungen einerseits und Schmähungen andererseits. Tillichs Worte gelten allen Rassisten in Deutschland. Die in Dresden dürften sich in diesem Moment aber besonders angesprochen fühlen, denn es ist eine passende Beschreibung ihres Verhaltens am Tag der Deutschen Einheit: "Das ist menschenverachtend und zutiefst unpatriotisch. Dem stellen wir uns alle entgegen."

Über diese Brücken wollen viele gehen, aber längst nicht alleBild: DW/M. Fürstenau

Als Tillich diese Sätze spricht, ist es rund um das Dresdner Wahrzeichen, die Frauenkirche, wieder ruhig geworden. Das war am Morgen noch ganz anders. Denn auch die Besucher des ökumenischen Gottesdienstes mussten Beschimpfungen und Beleidigungen über sich ergehen lassen. Es sind die gleichen Worte, die einige Stunden später auf dem Theaterplatz zu hören sind: "Volksverräter" und "Lügenpresse" dürfen da natürlich nicht fehlen. So wie es seit fast zwei Jahren immer montags erschallt, wenn "Pegida" mobilisiert.

Bundeskanzlerin Merkel versucht, das Positive zu betonen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unternimmt trotz aller auch persönlichen Anfeindungen den Versuch, das Positive zu betonen. Für sie persönlich und die allermeisten Menschen sei der 3. Oktober "nach wie vor ein Tag der Freude", sagt die in der DDR-Diktatur sozialisierte deutsche Regierungschefin. Sie sehe aber auch, dass 26 Jahre nach der Wiedervereinigung "neue Arbeit, neue Probleme auf uns warten". So schwer es unter dem Eindruck dieses Tages in Dresden fällt: Merkel hofft, auch ihre Gegner und Feinde zu erreichen. Sie wünsche sich, "dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseitigem Respekt und in der Akzeptanz sehr unterschiedlicher politischer Meinungen lösen".    

 

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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