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Politik

Demokratie in Myanmar

8. August 2018

1988 erhob sich das Volk im heutigen Myanmar. Aung San Suu Kyi wurde das Gesicht der Bewegung, Demokratie zu einer allgegenwärtigen Forderung. Doch wie steht es heute um die Demokratie?

Myanmar Treffen Min Aung Hlaing und Aung San Suu Kyi
Bild: Reuters/Soe Zeya

DE-MO-CRA-CY! skandierten vor 30 Jahren die Demonstranten im damaligen Birma bei einem landesweiten Aufstand gegen die sozialistische Regierung. Der Ruf nach Demokratie wurde allerdings erst laut, nachdem die spätere Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi Teil der Protestbewegung geworden war. Zuvor lautete der Schlachtruf: "Unsere Sache!", was in etwa so viel bedeutete wie: Wir, das Volk, haben genug von dem autoritären System und den miserablen wirtschaftlichen Bedingungen.

Die Studenten, die den Aufstand initiiert und angeführt hatten, machten Aung San Suu Kyi zum Gesicht der Bewegung, hinter denen sich die verschiedenen Gruppen versammelten. Die Tochter des Unabhängigkeitshelden Aung San, die zuvor jahrzehntelang im Ausland gelebt und für die Vereinten Nationen gearbeitet hatte, hielt im August 1988 eine berühmt gewordene Rede an der Shwedagon-Pagode im Herzen von Yangon. Schätzungen zufolge waren 500.000 Menschen anwesend. In der Rede sprach Aung San Suu Kyi wiederholt von Demokratie und einem Mehrparteiensystem. "Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir alle vereint und diszipliniert Demokratie anstreben."

Aung San Suu Kyi bei ihrer Rede im August 1988Bild: AFP/Getty Images

"In gewissem Sinne hat Aung San Suu Kyi das Konzept Demokratie aus dem Westen importiert", sagt Hans-Bernd Zöllner. Der Theologe und Myanmar-Kenner fügt hinzu: "Dabei war inhaltlich weitgehend unbestimmt, was mit Demokratie eigentlich gemeint war." Was zählte war, dass es das Gegenteil des bisherigen Systems versprach.

Zwei Ideen von Demokratie

Die Träume und Hoffnungen der Demonstranten endeten abrupt, als am 18. September 1988 das Militär die Kontrolle im Land übernahm. Im ganzen Land gingen die Streitkräfte mit großer Brutalität vor. Tausende wurden getötet und noch mehr verhaftet. Viele Studenten flüchteten ins Ausland. Ein Jahr später gründete Aung San Suu Kyi die Nationale Liga für Demokratie (NLD). 1990 erlangte ihre Partei einen Erdrutschsieg, doch das Militär in Gestalt des "Staatsrats für Recht und Ordnung" (SLORC) weigerte sich, die Macht zu übergeben, bevor eine neue Verfassung ausgearbeitet war.

In dem auf die Wahlen folgenden jahrelangen Machtkampf zwischen Aung San Suu Kyi und der NLD einerseits und dem Militär bzw. dem SLORC andererseits sprachen beide Seiten beständig von Demokratie. Allerdings verstanden beide etwas ganz anderes darunter. Das Militär sprach von einer "disziplinierten Demokratie", in der die Regeln von der Zentralregierung vorgegeben werden. Aung San Suu Kyi schwebte eine Art Volksdemokratie vor. "Allerdings hat die NLD bis heute nie erklärt, was sie eigentlich konkret unter Demokratie versteht", sagt Zöllner.

Das Militär geht gegen Demonstranten in Yangon vorBild: ullstein bild-Heritage Images/Alain Evrard

Demokratie nach Maßgabe des Militärs

Das Militär setzte seine Vorstellungen in einem 20 Jahre währenden Prozess durch. 2008 verabschiedete es eine neue Verfassung. In ihr war erstens festgeschrieben, dass ein Viertel aller Sitze in allen Parlamenten direkt vom Militär benannt werden, womit Verfassungsänderungen ohne Zustimmung des Militärs unmöglich sind. Zweitens werden die Minister für Verteidigung, Grenzangelegenheiten und Inneres direkt vom Armeechef benannt. Das bedeutet, dass nicht nur das Militär, sondern auch die Polizei und alle Beamten unter der direkten Kontrolle des Militärs verbleiben. "Nachdem alles sorgfältig vorbereitet war, konnte das Militär Wahlen durchführen lassen", sagt der Journalist und Autor Bertil Lintner, der das Land seit Jahren kennt und eines der ersten Bücher über den Aufstand von 1988 verfasst hat.

Wahlen

Diese Wahlen fanden 2010 statt. Aung San Suu Kyis NLD boykottiert die Wahlen, da sie die Verfassung als undemokratisch ablehnte. Das Militär legte derweil die Uniformen ab, präsentierte sich als zivile Regierung und gewann mangels Opposition fast alle Sitze im Parlament.

Weitere Reformen folgten und schließlich erklärte sich die NLD 2015 doch bereit, an den Parlamentswahlen unter den gleichen Bedingungen wie 2010 teilzunehmen. Erwartungsgemäß gewann die NLD die Wahlen und Aung San Suu Kyi wurde Staatsrätin, ein Amt, das sich am ehesten als Premierminister verstehen lässt.

Sieg der Demokratie?

In der internationalen Presse wurden die Wahlen von 2015 als Sieg der Demokratie gefeiert. Die Aufhebung von Sanktionen folgte auf dem Fuße. Doch langjährige Beobachter wie Lintner waren von Anfang an skeptisch. "Das Militär hat das Land bis zu einem gewissen Grad geöffnet, aber die Wahlen bedeuteten keinen Machttransfer vom Militär zur gewählten Regierung. Die NLD hat 2015 zwar die Wahlen, aber nicht die Macht gewonnen." Lintners Fazit: "Myanmar ist in keiner Hinsicht demokratisch."

NLD-Anhänger zelebrieren in Yangon den Sieg ihrer Partei am Wahlabend 2015Bild: Reuters/J. Silva

Zöllner kommt zu einem ähnlichen Schluss, wenn man westliche Vorstellung von Demokratie inklusive Gewaltenteilung, Presse- und Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zum Maßstab nimmt. Er ist aber überzeugt, dass die meisten Menschen, die den Aufstand von 1988 erlebt haben, dennoch sagen, dass es heute besser ist als damals, wenn auch noch nicht ideal. Aber das Ideal, das vielen Menschen in Myanmar vorschwebt, sei ohnehin eine Utopie. "Ein Land, in dem alles reibungslos funktioniert, ohne dass sich die Regierung zu sehr einmischt."

Zivilen Raum nicht besetzt

Lintner vertritt die Ansicht, dass sich die NLD nicht genug einmischt. Das Militär habe ihr zwar nur wenig Spielraum gelassen, aber noch nicht einmal den nutze die Partei. "Die NLD hätte der Welt zeigen können, dass es einen zivilen Raum gibt. Aber sie hat das nicht getan. Im Gegenteil, die NLD hat sich in eine Art Blase zurückgezogen und es gelingt ihr nicht, sich daraus zu befreien."

Lintner nennt als Beispiel die Flüchtlingskrise der Rohingya im Rakhine-Staat. Auf Angriffe einer muslimischen Miliz hatte das Militär Myanmars mit massiven Militäroperationen reagiert, wonach mehr als 500.000 Rohingya ins Nachbarland Bangladesch flüchteten. Die UN sprach von "ethnischen Säuberungen". Die NLD blieb in dem Konflikt weitgehend unsichtbar. Zwar hätte die NLD, davon ist Lintner überzeugt, gegen das Militär keine konkrete Änderung der Politik erreichen, aber zumindest Flagge zeigen können. Aung San Suu Kyi hätte in den Rakhine-Staat fahren, Politiker und Betroffene treffen können, um zu zeigen: Wir sind da. Wir sehen was passiert. Aber das hat sie nicht getan. Nach Lintners Einschätzung nur ein Beispiel für die nicht vorhandene Regierungsfähigkeit der NLD.

Der Einfluss des Westens

Seit dem vermeintlichen Sieg der Demokratie in Myanmar ist auch der Westen verstärkt aktiv im Land. Entwicklungszusammenarbeit und Demokratieförderung stehen hoch im Kurs. Doch sowohl Lintner als auch Zöllner sehen das kritisch. Lintner sagt: "Der Westen muss zuerst mal begreifen, dass sein Einfluss minimal ist. Wenn die Westler kommen und Demokratie predigen, dann ändert das gar nichts." Veränderungen werde es erst geben, wenn die Impulse aus dem Land selbst kommen. Allerdings sieht der Myanmar-Experte dafür mittelfristig keinerlei Anzeichen.