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PolitikRuanda

30 Jahre nach dem Genozid: Ruandas Dorf der Versöhnung

Isaac Mugabi
9. Mai 2024

Im Versöhnungsdorf Mbyo leben Angehörige der Tutsi mit rehabilitierten Hutu-Tätern des Genozids in Ruanda zusammen. Der Prozess der Vergebung war schwierig, sagen sie zur DW.

Ruanda | Versöhnungsdorf Mbyo
Mbyo sieht aus wie ein normales ruandisches Dorf - besonders wird es durch die leid- und hoffnungsvollen Geschichten, die seine Bewohner miteinander verbindenBild: Dong Jianghui/Xinhua/picture alliance

Als am 7. April 1994 in Ruanda der Völkermord an den Tutsi begann, töteten Kazimungu Frederick und Nkundiye Tharcien - beide Hutu - ihre Tutsi-Nachbarn. Die Mörder waren zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Doch nachdem sie um Vergebung gebeten hatten, verbüßten die Männer nur neun Jahre im Gefängnis.

Heute leben sie im Mbyo Reconciliation Village, einem Dorf nahe der Hauptstadt Kigali. Es ist eines von sechs Versöhnungsdörfern, in denen mehr als 400 Täter und Überlebende des Völkermordes wohnen.

Die damalige Rebellengruppe, die von der Ethnie der Tutsi-Minderheit geführte Ruandische Patriotische Front unter Leitung von Paul Kagame, beendete den Völkermord nach 100 Tagen und übernahm die Macht. Kagame wurde 1994 Vizepräsident, am 17. April 2000 wurde er vom Parlament mit großer Mehrheit zum Staatspräsidenten gewählt und regiert seither das Land.

Eine neue ruandische Identität

Der Prozess der Versöhnung zeigt Erfolg: "Ich habe mich schuldig bekannt und die Überlebenden, deren Familienmitglieder ich getötet habe, um Verzeihung gebeten." Im Gefängnis schrieb er seiner Nachbarin Anastasie, deren Ehemann er ermordet hatte, einen Brief. "Jetzt leben wir beide, Überlebende und Täter, in Frieden. Wir identifizieren uns nicht mehr entlang ethnischer Grenzen", sagte der 74-jährige Tharcien zur DW.

Versöhnungsdorf Mbyo: Mukamusoni Anastasie, Usengumuremyi Silas, Nkundiye Tharcien und Kazimungu Frederick (v.l.n.r.) - damals Überlebende und Täter, heute wieder NachbarnBild: Isaac Mugabi/DW

Auch Fredrick, inzwischen Vater von sieben Kindern, zeigte Reue für seine Tat und kam frei. Der 56-jährige Angehörige der Hutu-Mehrheit beschuldigt die frühere Regierung, Zivilisten wie ihn dazu gedrängt zu haben, ihre Tutsi-Nachbarn zu töten. "Von Kindheit an wurde uns gesagt, dass die Tutsi unsere Feinde seien und die Hutu seit langem kolonisiert hätten. Als das Morden begann, mussten wir also die Tutsi töten", sagt er zur DW.

Eine schwierige Versöhnung

Usengimuremyi Silas und Mukamusoni Anastasie - Überlebende des Völkermords und Nachbarn der beiden Männer - haben sich mit den Tätern versöhnt, sagen sie.

Im Jahr 1994 war Anastasie 20 Jahre alt. Sie erinnert sich an die hilflosen Tutsi, die sie damals an Straßensperren in der Nähe des Dorfes Mbyo sah. Tharcien tötete Anastasies ersten Ehemann, aber jetzt helfen sie sich gegenseitig in Zeiten der Not. "Wenn ich Hilfe brauche, ist Tharcien immer zur Stelle", sagte sie der DW. "Ich habe die Hutu so sehr gehasst, dass ich nicht bereit war, mich mit ihnen zu treffen", fügte sie hinzu.

Zunächst war Anastasie nicht begeistert von der Vorstellung, dass die Täter in die Gemeinden zurückkehren würden. Doch jetzt gilt Mbyo für zahlreiche Ruander als Beispiel für ein friedliches Zusammenleben 30 Jahre nach dem Völkermord.

Bedürfnis nach einem Abschluss

Auch Silas fiel es schwer, den Tätern zu vergeben, die seinen Vater und andere Familienmitglieder während des Völkermords getötet hatten. "Anfangs waren wir entsetzt, als wir hörten, dass die Täter des Völkermordes in die Gemeinden zurückkehren würden", sagt Silas zur DW.

Soldaten, unter ihnen auch Milizen der Hutu-Extremisten, erreichten im Juli 1994 zusammen mit Flüchtlingen die Grenzstadt Goma in Zaire (heute DR Kongo)Bild: dpa/picture alliance

"Aber wir hatten keine andere Wahl, denn viele haben nicht die ganze Wahrheit über ihre Beteiligung an den Morden gesagt. Wir brauchten jedoch eine Form des Abschlusses, um zu heilen."

Die Regierung habe sie davon überzeugt, dass alle Menschen von Geburt an gleich seien. "Der Heilungsprozess war schwierig, Sie zeigten uns die Massengräber unserer Angehörigen, und wir vergaben ihnen schließlich", sagt Silas.

Mit der Vergangenheit ringen

Trotz des Erfolgs gibt es Kritik, die Versöhnung sei erzwungen. Phil Clark, Professor an der SOAS University of London, betont aber die enormen Fortschritte, die Ruanda bei der Versöhnung nach dem Völkermord gemacht habe. Besonders "wenn man bedenkt, dass Hunderttausende von verurteilten Völkermord-Tätern heute wieder in denselben Gemeinden leben, in denen sie Verbrechen begangen haben, Seite an Seite mit Überlebenden des Völkermords," sagt Clark.

Kampf um Aussöhnung

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Die meisten dieser Gemeinden seien friedlich, stabil und produktiv. Laut Clark habe man sich aber zu sehr auf diese Modelle der Versöhnungsdörfer konzentriert: Die Regierung wolle ausländischen Besuchern die Erfolge bei der Versöhnung zeigen. "Diese Modelle sind gar nicht nötig, denn die Fortschritte der Versöhnung sind in fast jeder Gemeinde des Landes sichtbar. Sie werden nicht für Außenstehende inszeniert, sondern sind einfach Teil des täglichen Lebens."

Clark betont, es sei viel wichtiger, dass Hunderttausende von verurteilten Tätern in ihre Heimatgemeinden zurückgekehrt sind und dort ihr Leben wieder aufbauen und zur Entwicklung dieser Gemeinden beitragen konnten.

Einigkeit und Entwicklungsprojekte

Mehr als die Hälfte der Bewohner in Mbyo sind Frauen, und ihre Projekte - darunter eine Korbflechter-Kooperative und ein informelles Geldspar-Programm - haben viele von ihnen vereint.

"Wir haben es geschafft, uns zu versöhnen und gemeinsame Projekte wie Landwirtschaft und Korbflechterei für die Frauen durchzuführen", sagte Fredrick der DW. Auch Anastasie sagt, dass sie jetzt in Harmonie leben und sich als Freunde und Familie betrachten. "Wann immer ich ein Problem habe, das gelöst werden muss, wende ich mich an Nachbarn wie Tharcien und Fredrick", sagte sie.

In Mbyo wird gute Nachbarschaft gelebt - wie auch zwischen Jeanette Nyirabashyitsi und Frederick Kazigwemo, die hier für einen Fotografen der Agentur AP posierenBild: Brian Inganga/AP Photo/picture alliance

Mit der Einrichtung eines Ministeriums, dass sichum die Aussöhnung bemüht, haben die ruandischen Behörden die nationale Einheit zwischen der Hutu-Mehrheit und der Tutsi- und Twa-Minderheit gefördert.

Außerdem weisen ruandische Personalausweise nicht mehr die ethnische Zugehörigkeit einer Person aus, und Lektionen über den Völkermord sind Teil des Lehrplans in den Schulen.

Die Regierung hat zudem strenge Gesetze erlassen, um diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, die sie verdächtigt, den Völkermord zu leugnen oder die "Völkermordideologie" zu fördern. Einige Beobachter sind allerdings der Ansicht, dieses Gesetz werde dazu benutzt, Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen.

Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowski

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