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30 Jahre "Nevermind"

23. September 2021

Nirvana schrieben 1991 mit "Nevermind" Musikgeschichte und wurden über Nacht zum Rock-Mainstream. Allerdings war das von Kurt Cobain so nicht vorgesehen.

Nirvana Albumcover Nevermind Ausschnitt
Bild: Geffen Records

Es war ein Deo, das dem ersten Lied des Albums "Nevermind" seinen Namen gab: "Teen Spirit" hieß es. Als das Nirvana-Album rauskam, wurde quasi über Nacht eine kleine Underground-Band aus Aberdeen im US-Bundesstaat Washington weltberühmt, und die Verkaufszahlen für das Deo schnellten in astronomische Höhen.

"Nevermind" war nicht nur Soundtrack, sondern Lebenselixier einer ganzen Generation - der sogenannten "Generation X": Jugendliche und junge Erwachsene, die mit sich und ihrem Leben nicht viel anfangen konnten, weil es für sie vermeintlich kaum Perspektiven gab. Der Kalte Krieg, die Atomangst waren vorbei, Protest und Punk hatten keine Kraft mehr. In der bunten Technowelt der 90er tanzten sich junge Menschen mit glücklich machenden Pillen aus der Realität. Und genau in diese Zeit schlug "Nevermind" ein wie ein Meteorit. Das Ganze geschah im September 1991. 

Eine kleine Underground-Band

Knapp vier Jahre zuvor haben der Sänger und Gitarrist Kurt Cobain und Bassman Krist Novoselic die kleine Underground-Band gegründet. Sie hockten im Proberaum, gaben Konzerte, traten unter verschiedenen Namen auf und probierten mehrere Schlagzeuger aus. Drei Jungs in kaputten Klamotten, mit lauten Instrumenten und ohne Geld. Ein Freund spendiert ihnen die Aufnahmen zu ihrem ersten Album "Bleach". Sie nennen sich jetzt "Nirvana", touren herum, spielen teilweise vor zehn Leuten und schlafen im Bus zwischen ihren Instrumenten. Langsam erarbeiten sich die drei einen gewissen Bekanntheitsgrad und spielen sogar kleine Clubkonzerte in Europa. Sie begeistern die Leute mit ihrer dahingerotzten Mischung aus Punk, Metal und Indie-Rock - kurz "Grunge" genannt.

Das ist diese neue Grunge-Band NirvanaBild: Photoshot/picture alliance

"Lautes Gedröhne und Gebrüll"

Schließlich entsteht der Kontakt zum Produzenten Butch Vig und der Plattenfirma Geffen. Es gibt einen Vertrag, einen fetten Vorschuss, die Band geht ins Studio. Butch Vig macht aus dem "lauten Gedröhne und Gebrüll", wie er die ersten Demotapes beschrieben hat, eine Reihe von dynamischen Rocksongs, die vor allem hiervon leben: Spannungsaufbau, Explosion und Erholung. Melodie trifft auf brachiale Musikgewalt.

Ohne Fratzen geht es nichtBild: Photoshot/picture alliance

Die Band hat live schon eine irre Dynamik in ihren Songs. Im Studio reizt Vig diese Fähigkeit der Musiker voll aus. Dave Grohl attackiert sein Schlagzeug und ballert wie ein Maschinengewehr auf die Snare ein, Krist Novoselic legt einen Teppich mit seinem kompromisslos pumpenden Bass, Kurt Cobains Gitarre schrillt aus dem Verstärker, während er seine Refrains herausschreit. Und zwischendurch immer fast unheimlich ruhige Passagen, Melodie und Cobains unverwechselbare Art, die Töne lang zu ziehen. Butch Vig arbeitet mit vielen Effekten. Unter anderem wird Cobains Stimme gedoppelt: Er singt seine Takes zweimal ein und beide Spuren werden übereinander gelegt. Das ist zwar gar nicht im Sinne von Cobain, doch Vig kann den Beatles-Fan immer mit dem Argument überzeugen, das habe John Lennon auch immer so gemacht. 

"Nevermind" ist das pure Leben

Und so entsteht das Album, das die Jugend in diesem September 1991 aus den Schuhen reißt. Da spuckt eine Band in zerrissenen Jeans und Holzfällerhemd ihren ganzen Frust raus, Frust über Liebeskummer, über familiäre Gewalt, Arbeitslosigkeit, Armut, Drogen, Ungerechtigkeit und Dummheit. Hier geht es nicht mehr um Weltpolitik, um Kriege, hier geht es um das pure Leben. Und es geht um Revolution. 

Beim Pressetermin in London lümmeln die Jungs auf dem Sofa herumBild: picture alliance/Jazz Archiv

Natürlich wollen die Jungs mit ihrer Musik Geld verdienen - doch was nach der Veröffentlichung von "Nevermind" passiert, damit hat keiner gerechnet. Kurt Cobain, der dem Rock-Establishment den Kampf angesagt hat, der sich immer gegen dieses aufgeblasene Millionengeschäft gestellt hat, gegen die Rock-Superstars, gegen den Mainstream, befindet sich plötzlich genau dort, wo er nie hin wollte. Aus den Rebellen ist eine massentaugliche Rockband geworden, die plötzlich im Fernsehen auftritt und in den Klatschspalten auftaucht. Das Musikvideo zu "Smells Like Teen Spirit" läuft stündlich auf MTV. Single auf Single folgt, alle landen oben in den Charts und in den Hot Rotations der Radiostationen.

Fast verzweifelt wirkt es, als zur vierten Single "In Bloom" ein Video erscheint, in dem Nirvana wie die Beatles in den 1960ern in einer Fernsehshow vor hysterischen Teenies auftreten, die so laut kreischen, dass man die Musik kaum hört. Dies war seinerzeit für die Beatles ein Grund gewesen, nicht mehr live aufzutreten - und vielleicht ist dieses Video zu "In Bloom" auch eine Ansage Cobains an die Fans, die ihn inzwischen wie einen Gott verehren und kreischen, wenn er irgendwo auftaucht. 

Bloß nie wieder in die Charts!

Der Erfolg macht der Band und vor allem Cobain sehr zu schaffen. Je mehr er versucht, sich aus dem Zirkus zurückzuziehen, umso mehr rückt man ihm auf die Pelle. Das Gegenmittel soll ein neues Album sein. Knallhart und nicht chartstauglich. Nirvana nehmen gegen den Willen der Plattenfirma mit dem Underground-Produzenten Steve Albini ihr drittes Album "In Utero" auf. Die Plattenfirma mischt sich trotzdem ein, mit der Begründung, alles andere sei "kommerzieller Selbstmord".

"In Utero" landet in den USA und England auf Platz 1, verkauft sich aber nur halb so oft wie "Nevermind". Ein Jahr später bringt Kurt Cobain sich um. Nirvana ist Geschichte. Krist Novoselic ist in der Versenkung verschwunden, Dave Grohl hat die Foo Fighters gegründet und ist nun das, was Cobain nie sein wollte: Ein Rock-Superstar.

Dave Grohl bei den MTV Video Music Awards 2021Bild: Charles Sykes/Invision/AP/picture alliance

Das Plattencover sorgt noch heute für Wirbel

Nun ist "Nevermind" 30 Jahre alt - ein Oldie sozusagen, aber immer noch präsent und zeitlos. 30 Millionen Mal wurde es verkauft. Der "Rolling Stone" zählt es zu den besten Alben aller Zeiten. Das ikonische Plattencover mit dem nackten Baby im Pool, das einem Dollarschein hinterher schwimmt, gehört zu den berühmtesten seiner Art, neben "Abbey Road" von den Beatles oder "Wish you where here" von Pink Floyd. Das Baby, inzwischen ein erwachsener Mann, trat zuletzt mit einer Klage in Erscheinung - dass er seit drei Jahrzehnten mit dem Baby und dessen kleinem Geschlechtsteil in Verbindung gebracht werde, habe ihm psychische Schäden zugefügt
 

Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online