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Musik

300 Jahre Bachs "Wohltemperiertes Klavier"

Gaby Reucher
17. Juni 2022

Eines der einflussreichsten Werke von Johann Sebastian Bach feiert in diesem Jahr 300-jähriges Bestehen. Pianist András Schiff spielte das "Wohltemperierte Klavier" beim Leipziger Bachfest.

András Schiff am Klavier
Andras Schiff spielt das "Wohltemperierte Klavier" im Gewandhaus Leipzig Bild: Gert Mothes/Bach-Archiv Leipzig

Ob Mozart, Beethoven, Chopin oder Schostakowitsch: Sie alle haben Johann Sebastian Bachs "Wohltemperiertes Klavier" studiert. Vor 300 Jahren hat Bach das wohl einflussreichste Klavierwerk in der Musikgeschichte veröffentlicht. "Das war Teil des musikalischen Rüstzeugs, was man kennen musste. Robert Schumann nannte es 'das Werk aller Werke'", sagt Michael Maul, Intendant des Leipziger Bachfestes im Interview mit der DW.

Bis heute perfektionieren angehende Pianisten weltweit ihr Klavierspiel mit dem Wohltemperierten Klavier. 24 Präludien und dazugehörige Fugen in allen Dur- und Moll-Tonarten von C-Dur bis h-Moll hat Johann Sebastian Bach für dieses "Übungsbuch" komponiert, "zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend" wie er in der Erläuterung schreibt. "Ich liebe sie heiß und innig", sagt der ungarische Pianist András Schiff. "Präludium und Fuge in h-Moll, sind einfach kolossal. Da fühlt man sich als Interpret sehr bescheiden und dankbar."

Bach-Medaille für András Schiff

András Schiff (Mitte) erhält die Bach-Medaille von Bürgermeister Burkhard Jung (r.) und Peter Wollny (l.)Bild: Gert Mothes/Bachfest

Im Leipziger Gewandhaus spielte Schiff alle 48 Stücke aus dem ersten Teil des "Wohltemperierten Klaviers" und wurde mit Standing Ovations umjubelt. Als Meister der ungewöhnlichen Bachinterpretation erhielt er im Anschluss die Bach-Medaille der Stadt Leipzig, eine Auszeichnung für besondere Verdienste um die Pflege des Bachschen Werks. "Sein subtiles Spiel auf dem modernen Flügel ist für jeden Pianisten, der sich mit Bach auseinandersetzt, Messlatte und Inspiration zugleicht", heißt es in der Urkunde. Schiff ist für seine ungewohnten Interpretationen und Akzentuierungen bekannt, mit denen er neue Klangerlebnisse bekannter Stücke schafft.

"Leider habe ich kein Talent zum Komponieren, aber wenn man weiß, was einen großen Komponisten wie Bach ausmacht, weiß man auch, was man nicht tun sollte, nämlich mittelmäßig zu komponieren", sagte Schiff in seiner Dankesrede. Das zweitbeste sei deshalb, ein guter Bachinterpret zu werden. "Ich werde weiter jeden Tag Bach auf dem Clavichord in meinem Wohnzimmer spielen", sagte der 68-Jährige und drückte mit Blick auf den "schrecklichen Krieg" in der Ukraine noch seinen Wunsch nach Frieden aus.

Die Kunst der "schönen" Instrumenten-Stimmung

Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel Bach schrieb 1754 in einem Nekrolog auf seinen Vater, dass dieser es verstanden hätte, sein Cembalo "in der Stimmung, so rein und richtig zu temperieren, dass alle Tonarten schön und gefällig klangen." Im 17. und 18. Jahrhundert haben sich viele Wissenschaftler mit der Stimmung der abendländischen Instrumente auseinandergesetzt. Der Abstand der verschiedenen Töne zueinander innerhalb einer Tonart war noch nicht so einheitlich geregelt wie heute. "Heute werden Instrumente so gestimmt, dass wirklich zwischen jedem Ton der Abstand ein Halbton ist, das kann man elektronisch prüfen", erläutert Bachfest-Intendant Michael Maul. Dadurch sei es auch möglich, alle 24 Präludien und Fugen des Wohltemperierten Klaviers am Stück aufzuführen.

Michael Maul erklärt: Bachs "Wohltemperiertes Klavier"

02:26

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Das war früher anders. Wenn man ein Cembalo so stimmte, dass es für eine bestimmte Tonart "rein" und gefällig klang, dann konnte ein Stück in einer anderen Tonart bei gleicher Stimmung ganz schön schräg klingen. Man musste also theoretisch für jede Tonart, die man spielen wollte, das Instrument anders stimmen und konnte innerhalb einer Komposition nur bestimmte Tonarten kombinieren, die klanglich miteinander harmonierten.

Bachs "altes Testament" für Klavierspieler

In Eisenach, wo Bach 1685 geboren wurde, würdigt ab dem 1. Juli eine Ausstellung im Bachhaus sein "Wohltemperiertes Klavier" unter dem Titel: "Das Alte Testament der Klavierspieler – 300 Jahre Bachs Wohltemperiertes Klavier". Mit Hilfe einer Midi-Station, eines Synthesizers, kann man dort die damals üblichen Stimmungen klanglich nachempfinden.

Direktor des Bachhauses, Jörg Hansen, lässt Bachs "Wohltemperiertes Klavier" in verschiedenen Stimmungen klingenBild: Robert Wachholz

Eine davon ist die "wohltemperierte Stimmung", die der Theoretiker und Organist Andreas Werckmeister im 17. Jahrhundert entworfen hat. "Beim Wohltemperierten Klavier ist keine Tonart rein gestimmt und das ist der Clou, es ist ein Kompromiss, durch den alle Tonarten spielbar sind", erklärt Jörg Hansen, Direktor des Bachhauses in Eisenach. "Ich verteile die Unreinheiten so, dass es niemand merkt". Das sei, so Hansen im Gespräch mit der DW, eine Freiheit für die Komponisten gewesen, ohne Beschränkungen zu komponieren. Wie weit sich Bach an Werckmeisters "wohltemperierte" Stimmung gehalten hat oder eine eigene Stimmung entwickelte, weiß man nicht genau.

Das Wohltemperierte Klavier Teil II

20 Jahre nach dem "Wohltemperierten Klavier" Teil I komponierte Johann Sebastian Bach weitere 24 Präludien und Fugen für den zweiten Band. Ein noch umfangreicheres Werk, das die kanadische Pianistin Angela Hewitt beim Leipziger Bachfest aufgeführt hat.

Die Einspielungen des ersten Teils in der Aufnahme von Angela Hewitt hat Jörg Hansen für seine Ausstellung als Hörproben ausgewählt. Man kann sie über 24 Kopfhörer hören, die an farbigen Gitterstäben hängen. Eine Anspielung darauf, dass Bach mit der Komposition seines "Wohltemperierten Klaviers" im Gefängnis begonnen haben könnte. "Der Raum mit den Gitterstäben hat Gefängnischarakter, wo Leute reingucken, die von Bach beeinflusst wurden", darunter Fotos von Dmitri Schostakowitsch, der 24 Präludien und Fugen geschrieben und Bach musikalisch immer wieder zitiert hat, oder Alexander Skrijabin, der ebenfalls 24 Präludien durch alle Tonarten komponierte und dazu noch Farben entworfen hat.

Blick auf die Bastille Weimar, wo Johann Sebastian Bach 1717 im Gefängnis saß. Bild: Weimar GmbH

Das Wohltemperierte Klavier im Gefängnis komponiert?

Bach war 1717 tatsächlich vier Wochen lang im Gefängnis in Weimar inhaftiert. Er hatte einen Vertrag als Kapellmeister in Köthen unterschrieben, ohne bei seinem Arbeitgeber dem Weimarer Herzog vorher in der richtigen Form um Erlaubnis und seine Entlassung aus dem Dienst zu bitten. Der "halsstarrige" Konzertmeister und Hoforganist Bach wurde nach vier Wochen in Ungnade aus dem Gefängnis und auch von seinem Amt entlassen und trat danach seine Stelle in Köthen an.

Von dem Musiklexikonographen Ernst Ludiwg Gerber ist 1790 überliefert, dass Bach das Wohltemperierte Klavier "an einem Orte, wo ihm Unmuth, lange Weile und Mangel an jeder Art von musikalischen Instrumenten diesen Zeitvertreib abnöthigte", komponierte. Das könnte die Gefängniszelle gewesen sein, doch der genaue Ort ist nicht genannt. "Eine andere Theorie führt nach Karlsbad", sagt Jörg Hansen, "da war er 1720 mit der Hofkapelle und Fürst Leopold und könnte sich gelangweilt haben, wenn die Herrschaften dort Wasser tranken und badeten." 

Bachs musikalisches Leitwerk für die westliche Welt

Der erste Druck der Noten von Bachs "Wohltemperiertem Klavier" 1801Bild: Bachhaus Eisenach

Während Bachs Passionswerke und Kantaten nach seinem Tod zunächst an Bedeutung verloren, setzten seine Orgel- und Klavierwerke Maßstäbe über die Jahrhunderte hinweg. Der Pianist und Komponist Hans von Bülow bezeichnete das "Wohltemperierte Klavier" als "das Alte Testament des Klavierspielers".

Bachs Komposition wird von Klavierschülern auf der ganzen Welt als Übungsbuch genutzt. "Es hat die Vorstellung von der Beziehung der Tonarten beeinflusst", sagt Jörg Hansen. Auf diese Weise sei das Werk prägend für die Musik der westlichen Welt geworden. "Es ist das Leitwerk von unserer Vorstellung klassischer Musik."

Klassische Musik aus Deutschland

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