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4B-Bewegung: Warum Frauen den Sex-Boykott wählen

Djamilia Prange de Oliveira
26. November 2024

Inspiriert von südkoreanischen Feministinnen verzichten Frauen in den USA auf Sex mit Männern - als Zeichen gegen Frauenhass. Die 4B-Bewegung geht viral.

Frauen halten rote Schilder bei einem feministischen Protest in die Höhe. Eins trägt die Aufschrift "wütende Frauen werden die Welt verändern"
Südkoreanische Feministinnen bei einem Protest gegen Spycams 2018Bild: JUNG HAWON/AFP via Getty Images

Als Christine Ivans aus Seattle Männern abschwor, fiel es ihr erst mal schwer. Im Alter von 30 Jahren beschloss die Verkaufsmanagerin, die Prioritäten in ihrem Leben neu zu definieren: Was, wenn sie ihre Energie nicht in die Suche nach einem Ehemann, sondern in sich selbst investierte?

Ein paar Monate vergingen. Dann ein paar Jahre. Acht Jahre später sagt Christine: "Ich bin glücklich. Ich wurde befördert, habe eine Gehaltserhöhung bekommen und meine mentale Gesundheit hat sich verbessert."

Aber erst vor ein paar Jahren, als sie auf TikTok die 4B-Bewegung kennenlernte, wurde Christine klar, dass sie mit ihrer Entscheidung keineswegs allein ist. "Die vier 'Neins'", erklärt sie im DW-Gespräch. "Keine Heirat, keine Kinder, keine Dates oder sexuellen Beziehungen mit Männern - alles Dinge, die ich seit einiger Zeit praktiziere."

Abstinenz neu definiert

Die 4B-Bewegung, die um 2016 herum in Südkorea entstanden ist, hat es schon vor geraumer Zeit auf US-amerikanische Bildschirmen geschafft. Anfang des Jahres zum Beispiel, als Schauspielerin und It-Girl Julia Fox in einer Podcast-Episode erklärte, seit über zwei Jahren abstinent zu leben - aus politischen Gründen.

Ihre Entscheidung sei eine Reaktion auf die verschärften Abtreibungsmaßnahmen in den USA infolge der Aufhebung von Roe v. Wade gewesen. Roe v. Wade war eine Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht, die der Oberste Gerichtshof der USA im Jahr 1973 fällte. Diese gab Frauen grundsätzlich das Recht, über Abbruch oder Fortführung einer Schwangerschaft zu entscheiden. 2022 wurde das Urteil gekippt. Seitdem gibt es in den USA keinen bundesweiten Schutz des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch mehr. "Wenn uns die Rechte an unserem Körper weggenommen werden, ist das meine Art, sie zurückzuholen", so Fox in einer Episode des Zach Sang Podcasts im Mai.

Schauspielerin Julia Fox beim Roma Filmfestival 2024Bild: Marco Provvisionato / ipa-agency/picture alliance

Nach den US-Wahlen Anfang November ging die Bewegung viral. Eine halbe Million Suchanfragen verzeichnete Google innerhalb der ersten fünf Tage. Auf TikTok teilen tausende Frauen ihre Abstinenz-Geschichten oder rasieren sich vor der Kamera den Kopf (kurzes Haar gilt als eines der Erkennungsmerkmale von 4B-Aktivistinnen in Südkorea). 

Die feministische Autorin Mingyeong Lee, die seit den Anfängen der 4B-Bewegung dabei ist, ist glücklich darüber. "Ich habe darauf gewartet, dass das endlich passiert! Es hat acht Jahre gedauert, euch (Anm. d. Redaktion: US-Frauen) zu erreichen", sagt sie in einem Videocall aus Südkorea. "Wenn es um ihre Rechte geht, kämpfen Frauen in den USA und in Südkorea ähnliche Kämpfe", sagt Mingyeong.

Motiv: Frauenhass

2016 ermordete ein Mann eine Frau auf der Toilette einer Karaoke-Bar in Seoul. Das Motiv: Frauenhass. Der Täter sagte später aus, Frauen hätten ihn sein ganzes Leben lang ignoriert. Der Femizid löste in Südkorea eine neue feministische Welle aus, geführt von jungen Frauen, die den Frauenhass im Land anprangern - online und auf den Straßen.

4B Aktivistin und Autorin Mingyeong LeeBild: Yèyoung

Doch der Femizid war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die patriarchalische Kultur, gegen die 4B-Aktivistinnen wie Mingyeong ankämpfen, sitzt immer noch tief in den Knochen Südkoreas. Gewalt und Belästigung von Frauen sind weit verbreitet, etwa durch Spionagekameras in öffentlichen Toiletten, digitale Sexualverbrechen oder Sexismus am Arbeitsplatz. 2019 waren laut Südkoreas Oberster Staatsanwaltschaft neun von zehn Opfern von Gewaltverbrechen wie Mord, Vergewaltigung und Raubüberfällen Frauen.

"Frauen wurden angegriffen, weil sie wie Feministinnen aussehen"

Die neue feministische Bewegung fand zwar gerade bei jungen Frauen viel Zuspruch, doch auch Ablehnung, erklärt Seohee Lee, Studentin und 4B-Aktivistin der DW. "Frauen, die kurze Haare tragen, wurden als psychisch krank abgestempelt, belästigt und sogar körperlich angegriffen, weil sie wie Feministinnen aussehen", sagt sie. Bei dem Begriff 'Feministinnen' hebt sie ihre Hände und deutet Anführungszeichen in der Luft an. Ihre Stimme klingt besorgt. Seohee sagt, dass es bei der Bewegung nicht um Rache oder Bestrafung geht, sondern um Sicherheit und Gemeinschaft für Frauen. "Koreanische Frauen widersetzen sich den Bedrohungen des Patriarchats auf eine stille und doch effektive Weise."

Studentin und 4B-Aktivistin Seohee LeeBild: Soojeong Kim

"Frauen werden wie Reproduktionsmaschinen behandelt"

Autorin Mingyeong ist 32 Jahre alt. Wegen des sozialen Drucks hätte sie vor nicht allzu langer Zeit fast einen Mann geheiratet, wie sie erzählt. Mittlerweile identifiziert sie sich als lesbisch. Wie viele 4B-Aktivistinnen entdeckte sie im Laufe ihrer Zugehörigkeit zur Bewegung ihre queere Seite. 

Kinder möchte sie nicht. Als Mingyeong das Licht der Welt erblickte, wurden in Südkorea weibliche Föten noch häufig abgetrieben, obwohl das Land bereits 1988 ein Gesetz erlies, das es Ärzten verbot, werdenden Eltern das Geschlecht ihres Kindes zu verraten. Trotzdem hat Südkorea heute die niedrigste Geburtenrate der Welt. Präsident Yoon Suk-yeol schiebt das nicht auf den Frauenhass im Land oder auf die Tatsache, dass Südkorea den größten Gender-Pay-Gap unter den OECD-Ländern hat, sondern auf den Feminismus. Mingyeong sieht das anders: "Koreanische Frauen wollen keine Babys, weil das hier ein grausamer Ort für Frauen ist. Wenn wir Mädchen zur Welt bringen, werden sie weder sicher noch glücklich sein."

Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol bei einem Besuch in den Niederlanden 2023Bild: Sem van der Wal/ANP/picture alliance

 

"Es gibt wichtigeres als Frauenrechte"

Über achttausend Kilometer entfernt, in Seattle, schaut Christine Ivans bestimmt in die Kamera und erklärt, dass auch sie keine Kinder will. Wie Mingyeong und Seohee stellte auch sie eines Tages fest, dass zu viele Männer in ihrem Leben nicht die gleiche Achtung für Frauenrechte pflegen wie sie. Einer von ihnen: ihr Vater. 

Obwohl er beinahe seine Frau wegen einer Risikoschwangerschaft verloren hätte, wählte Christines Vater, ein treuer Republikaner, am 5. November 2024 Trump. Dieser brüstet sich heute damit, drei der fünf Richter am Obersten Gerichtshof nominiert zu haben, die 2022 für die Aufhebung des Rechts auf Abtreibung stimmten. Die darauffolgenden Einschränkungen von Abtreibung in mehreren US-Staaten nannte er "wunderbar zu beobachten".

Die Vorstellung, schwanger zu werden und keinen Zugang zu einer sicheren Abtreibung zu haben, macht ihr Angst. "Mein Vater sagt, dass ihm Frauenrechte wichtig seien. Aber wenn es ums Wählen geht, sagt er: 'Da gibt es wichtigere Dinge.'"

"Wenn Influencer Slogans wie 'your body, my choice' (auf Deutsch: "Dein Körper, meine Entscheidung") im Internet verbreiten, ist so etwas wie die 4B-Bewegung der nächste logische Schritt", so Christine. Der Slogan, den sie zitiert, stammt von dem rechtsextremen und frauenverachtenden Influencer Nick Fuentes, er ging kurz nach der Wahl von Trump viral.

Es sind nicht nur leere Worte: Laut einer nationalen Umfrage zu Gewalt gegen Frauen werden zwei von zehn Frauen in den USA irgendwann in ihrem Leben vergewaltigt, und fast die Hälfte erlebt andere Formen sexueller Gewalt. Frauen wie Christine lassen sich von den Widerstandsmethoden südkoreanischer Feministinnen inspirieren. "Sex ist eine Sprache, die Männer verstehen", meint Christine. "Die 4B-Bewegung sagt: 'Hey, ich nehme dir das weg, bis du mir zuhörst.' Nicht als Strafe, sondern um Aufmerksamkeit zu erregen." 

"Empfinden US-amerikanische Frauen das Gleiche?"

Die Aktivistin Seohee Lee freut sich darüber, dass US-amerikanische Frauen sich ihrem Widerstand anschließen. Sie fragt sich, ob sich Frauen in den USA jetzt auch so fühlen, wie sie sich damals gefühlt hat, als Südkorea den Mann zum Präsidenten wählte, der das Ministerium für Geschlechtergleichstellung abschaffen wollte? 

Seohee ist nicht überrascht, dass Feministinnen und enthaltsame Frauen in den USA jetzt Anfeindungen ausgesetzt sind. Sie kennt das nur zu gut aus ihrem Heimatland, wo viele Frauen sich nicht trauen, sich offen als Feministinnen zu bezeichnen. Viele Männer verabscheuen sie, nur weil sie sich als Feministin bezeichnen würde, meint Seohee Lee. 

Redaktion: Rayna Breuer

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