Die Bundesrepublik und die DDR traten am 18.9.1973 den Vereinten Nationen bei. Das wiedervereinigte Deutschland will seit Jahren eine Reform des Weltsicherheitsrats - bisher ohne Erfolg.
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UN-Mitglied erst seit 1973? Warum so spät? Immerhin wurde die Bundesrepublik Deutschland schon 1949 gegründet, nur vier Jahre nach den Vereinten Nationen selbst.
Der Grund war, dass es damals zwei deutsche Staaten gab, neben der Bundesrepublik auch die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Und die Regierung der Bundesrepublik in Bonn erhob lange den sogenannten Alleinvertretungsanspruch.
Das bedeutete, sie allein glaubte, die einzige rechtmäßige Vertretung des deutschen Volkes zu sein, da nur sie demokratisch legitimiert sei.
Die westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die USA, Großbritannien und Frankreich, die damals noch ein Mitspracherecht über Deutschland hatten, hätten einen UN-Beitritt allein der Bundesrepublik unterstützt, nicht aber die Sowjetunion, die sich als Schutzmacht der DDR verstand. So war ein UN-Beitritt blockiert.
Kanzler Willy Brandt machte Weg frei
Anfang der 70er Jahre schwenkte die Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Willy Brandt um, normalisierte die Beziehungen zur DDR und machte so den Weg frei für die Aufnahme beider deutscher Staaten. Am 18. September 1973 traten sie als 133. und 134. Mitglied den Vereinten Nationen bei.
Die doppelte Mitgliedschaft endete mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Seitdem ist das vereinte Deutschland UN-Mitglied. Die Vorrechte der Siegermächte endeten.
Deutschland hat sein Engagement in den Vereinten Nationen seitdem deutlich erweitert: Es ist einer der größten Beitragszahler, hat sich an zahlreichen Friedensmissionen beteiligt, ist mit dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg und mehreren UN-Organisationen in Bonn ein Standort der Vereinten Nationen.
Gegründet auf dieses Engagement und auf das wirtschaftliche und politische Gewicht Deutschlands versucht Berlin seit vielen Jahren, einen ständigen Sitz mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat zu bekommen. Der Sicherheitsrat ist das höchste Entscheidungsgremium, an dem vorbei nichts läuft bei den Vereinten Nationen.
Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Executive Editor von "Internationale Politik Quarterly" nennt die Suche nach dem ständigen Sitz den "heiligen Gral der deutschen Außenpolitik". Die Chancen seien aber "sehr, sehr gering". Denn die bestehenden Mitglieder wollten ihre privilegierte Stellung nicht mit Neuankömmlingen teilen.
Zeitweilig ging man in Berlin dazu über, stattdessen einen ständigen Sitz für die gesamte Europäische Union zu fordern. Aber da dies bedeutet hätte, dass Großbritannien (das damals noch EU-Mitglied war) und Frankreich auf ihre jeweiligen Sitze hätten verzichten müssen, was beide strikt ablehnten, verlief auch dieser Vorstoß im Sande.
Henning Hoff sieht die Bundesregierung in einem Zweispalt: "Auf der einen Seite ist es das wichtigste Instrument, zumindest konzeptionell, das die deutsche Außenpolitik hat, stark auf die UNO zu setzen, um so etwas wie world governance herzustellen. Auf der anderen Seite sieht man, dass die Struktur der Vereinten Nationen eigentlich reformbedürftig ist, aber keine Aussicht besteht, dass es dazu kommen wird", sagt Hoff im DW-Gespräch
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Ziel: Reform des Sicherheitsrates
Der Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung hat ein eigenes Kapitel "Multilateralismus". Darin heißt es über die Ziele im UN-Kontext: "Wir setzen uns für die Stärkung der Vereinten Nationen (VN) als wichtigster Institution der internationalen Ordnung politisch, finanziell und personell ein. Eine Reform des VN-Sicherheitsrates bleibt ebenso unser Ziel wie eine gerechtere Repräsentanz aller Weltregionen."
Konkret bereitet Deutschland gerade zusammen mit Namibia den sogenannten UN-Zukunftsgipfel über Reformfragen vor, der im kommenden Jahr stattfinden soll. Hier sollen die Themen des geplanten Zukunftspakts, des vorgesehenen Abschlussdokuments des Gipfels, benannt werden.
"Es geht darum, nochmal zu versuchen, die Kräfte innerhalb der UN nochmal an einen Tisch zu bekommen", beschreibt Henning Hoff das Ziel, "und das in einer Form zu machen, indem ein europäisches Land wie Deutschland und Namibia, eine Exkolonie, als Vertreterin des globalen Südens, hier gemeinsam an einem Strang ziehen und versuchen, diese Reformagenda nochmal klar zu definieren und voranzubringen." Hoff ist allerdings "ein bisschen skeptisch, ob das funktioniert".
17 Ziele für die Zukunft
Die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der UN sollen bis 2030 eine gerechtere, umweltfreundlichere Welt fördern und Hunger und Armut abschaffen. Der Aktionsplan wurde im Herbst 2015 auf dem UN-Gipfel verabschiedet.
Bild: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images
Ziel 1: Eine Welt ohne Armut
Bis 2030 soll kein Mensch mehr in extremer Armut leben müssen. Damit geht die Weltgemeinschaft weiter als in den alten Millenniumszielen, die bis 2015 lediglich eine Halbierung der extremen Armut als Ziel hatten. Als extrem arm definieren die UN Menschen, die von weniger als 2,15 US-Dollar am Tag leben müssen.
Bild: Daniel Garcia/AFP/Getty Images
Ziel 2: Eine Welt ohne Hunger
Derzeit haben rund 735 Millionen Menschen nicht genug zu essen, so die UN-Welternährungsorganisation FAO. Bis zum Jahr 2030 soll kein Mensch mehr unterernährt sein. Dabei soll nachhaltige Landwirtschaft eine größere Rolle spielen, Kleinbauern und ländliche Entwicklung sollen gefördert werden.
Bild: picture-alliance/dpa
Ziel 3: Gesundheit weltweit
Rund fünf Millionen Kinder jährlich sterben weltweit, bevor sie fünf Jahre alt sind. Weltweit stirbt alle zwei Minuten eine werdende Mutter während Schwangerschaft oder Entbindung. Bis 2030 soll jeder Mensch Zugang zu Gesundheitsvorsorge, bezahlbaren Medikamenten und Impfstoffen bekommen.
Bild: Maxwell Suuk/DW
Ziel 4: Ausbidlung für alle
Ob Mädchen oder Junge, ob reich oder arm: Bis 2030 soll jedes Kind eine Schulausbildung bekommen, die ihm einen späteren beruflichen Werdegang ermöglicht. Männer und Frauen sollen gleiche Bildungschancen haben, unabhängig von ethnischem oder sozialem Hintergrund und unabhängig von einer Behinderung.
Bild: DW
Ziel 5: Gleichberechtigung für Frauen
Frauen sollen gleichberechtigt am öffentlichen und politischen Leben teilnehmen können. Gewalt und Zwangsehen sollen der Vergangenheit angehören. Und weltweit sollen Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln und Familienplanung haben. Letzteres sorgt für Kritik aus religiösen Kreisen.
Bild: Alexandar Detev/DW
Ziel 6: Wasser als Menschenrecht
Rund zwei Milliarden Menschen weltweit haben keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Etwa 850 Millionen Menschen haben noch nicht einmal eine Grundversorgung mit Trinkwasser. Bis 2030 sollen alle Menschen Zugang zu sauberem und bezahlbarem Trinkwasser und Sanitäranlagen bekommen. Wasserressourcen sollen nachhaltig genutzt werden.
Bild: DW
Ziel 7: Weltweite Energieversorung
Bis 2030 sollen alle Menschen Zugang zu Elektrizität und Energie haben, vorzugsweise aus erneuerbaren Energiequellen. Die globale Energieeffizienz soll verdoppelt, die Infrastruktur insbesondere in den ärmsten Ländern ausgebaut werden. Heute leben rund 675 Millionen Menschen ohne Stromversorgung.
Bild: Thomas Imo/photothek/picture alliance
Ziel 8: Faire Arbeit für alle
Faire und soziale Arbeitsbedingungen weltweit, Jobchancen für Jugendliche und eine nachhaltige globale Wirtschaft. Punkt acht der neuen Entwicklungsziele gilt für Industrie- wie Entwicklungsländer und beinhaltet auch ein Ende von Kinderarbeit und die Einhaltung internationaler Arbeitsnormen.
Bild: AFP/Getty Images
Ziel 9: Nachhaltige Infrastruktur
Eine bessere Infrastruktur soll eine wirtschaftliche Entwicklung fördern, von der alle profitieren können. Die Industrialisierung soll sozial und ökologisch nachhaltig sein, mehr und bessere Jobs schaffen und Innovationen fördern, die zur Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit beitragen.
Bild: imago/imagebroker
Ziel 10: Eine gerechte Verteilung
Laut UN entfallen auf nur ein Prozent der Weltbevölkerung rund zwei Drittel des wirtschaftlichen Wachstums. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Deshalb soll die internationale Entwicklungspolitik vor allem der ärmsten Hälfte der Bevölkerung und den ärmsten Ländern der Welt helfen.
Bild: Frederic J. Brown/AFP/Getty Images
Ziel 11: Lebenswerte Städte
In den globalen Ballungszentren sollen Menschen- und umweltfreundliche Lebensräume mit bezahlbarem Wohnraum entstehen. Städte sollen nachhaltiger und grüner werden. Vor allem Entwicklungsländer sollen Unterstützung erhalten, um Städte gegen klimabedingte Naturkatastrophen widerstandsfähiger zu machen.
Bild: picture alliance/blickwinkel
Ziel 12: Nachhaltiger Konsum und Produktion
Recycling, Wiederverwertung der Ressourcen, Eindämmung der Müllmengen insbesondere in der Lebensmittelproduktion und beim Verbraucher: Alle stehen in der Verantwortung. Ressourcen sollen ökologisch und sozialverträglich abgebaut und eingesetzt werden und Subventionen für fossile Brennstoffe sollen auslaufen.
Bild: DW
Ziel 13: Klimawandel in den Griff bekommen
Die Notwendigkeit, sich global auf Maßnahmen zur Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel zu verständigen, ist mittlerweile Konsens in der UN. Reichere Länder sollen ärmeren Ländern mit Technologie- und Finanztransfer unterstützen. Gleichzeitig sollen sie ihre eigenen Emissionen massiv senken.
Bild: AP
Ziel 14: Schutz der Weltmeere
Die Weltmeere stehen vor dem Kollaps. Maßnahmen gegen Überfischung, Zerstörung der Küstengebiete und der marinen Ökosysteme sollen durchgeführt, die Meeresverschmutzung durch Müll und Überdüngung deutlich abgebaut werden.
Bild: imago
Ziel 15: Stopp der Umweltzerstörung
Beim Schutz der Wassereinzugsgebiete, der Wälder und der Biodiversität wird den UN-Mitgliedstaaten dringend dazu geraten, die umfassende Umweltzerstörung aufzuhalten. Land, Wald und Wasserquellen sollen besser geschützt und der Umgang mit den natürlichen Ressourcen grundlegend geändert werden.
Bild: WILDLIFE/I.R.Lloyd/picture alliance
Ziel 16: Rechte und Gesetze durchsetzen
Alle Menschen sollen vor dem Gesetz gleich sein. Durch nationale Institutionen und internationale Zusammenarbeit sollen Gewalt, Terror, Korruption und organisierte Kriminalität effektiv bekämpft werden. Bis 2030 sollen alle Menschen gleichberechtigten Zugang zur Justiz erhalten.
Bild: imago/Paul von Stroheim
Ziel 17: Eine solidarische Zukunft
Wie bereits in den Millenniumszielen festgeschrieben, sollen die reichen Länder endlich 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für die internationale Entwicklungszusammenarbeit bereitstellen. Deutschland gibt bereits 0,73 Prozent für Entwicklungshilfe aus.
Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance
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BRICS oder G20 als Alternativen zur UN?
Doch während bisher alle grundlegenden UN-Reformbemühungen gescheitert sind, ist inzwischen eine ganz andere Entwicklung im Gange.
Hoff meint, "dass insbesondere China dazu übergeht, Parallelstrukturen zu schaffen, und dann versucht, die eigenen Strukturen sozusagen als Alternativen zur UN zu präsentieren", seien es die BRICS-Staaten oder die G20.
Ein ähnliches Verhalten wirft der frühere britische Premierminister Gordon Brown der US-Regierung Biden im Magazin "Foreign Policy" vor: Ihre "Fixierung auf bilaterale und regionale Abkommen – auf Kosten weltweit koordinierten Handelns – schränkt die Möglichkeiten unserer internationalen Institutionen ein, während sie gleichzeitig jede Möglichkeit einer stabilen und gestalteten Globalisierung untergräbt. Ohne einen neuen Multilateralismus scheint ein Jahrzehnt globaler Unordnung unvermeidlich", schreibt Brown.
Doch selbst die stark UN-orientierte deutsche Außenpolitik schwenkt inzwischen ein wenig um, meint Henning Hoff: "Der jüngste G20-Gipfel ist ein gutes Beispiel, dass man eben mehr auf solche Formate setzt, um so etwas wie world governance herzustellen, und weniger auf die UN."
Multilateralismus ist eines der Schlüsselwörter in der deutschen Außenpolitik, und das seit Jahrzehnten. Doch es scheint, dass sogar die Bundesregierung dabei nicht mehr ausschließlich an die Vereinten Nationen denkt.