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Politik

EU in Rom: Keine Zwietracht, keine Einigkeit

25. März 2017

Inmitten von Krisen und kurz vor dem Ausscheiden der Briten feiert die EU ihren 60. Geburtstag. Offener Streit wurde vermieden, aber Einigkeit fällt schwer, obwohl sogar Polen mitspielt. Von Bernd Riegert, Rom.

EU-Gipfel: Polens Premierministerin Beata Szydło nach Unterzeichnung der Erklärung von Rom
Es geht also doch: Polens Regierungschefin Szydlo bekennt sich zur gemeinsamen EUBild: Reuters/R. Casilli

Noch in letzter Minute hatte Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo versucht, die "Deklaration von Rom" zum 60. "Geburtstag der EU zu ändern. Dann drehte sie doch bei und setzte ihren Namenszug unter die dreiseitige Grundsatzerklärung zur Zukunft der Staatengemeinschaft. Danach hob sie die Arme leicht an, zog die Schultern hoch und lächelte ganz kurz, als wollte sie sagen: "Alles halb so wild." Zuvor hatte Szydlo erklärt, sie sei zwar mit den Aussagen der Deklaration aus polnischer Sicht nicht zu 100 Prozent zufrieden, unterschreibe aber um des lieben Friedens willen.

Die übrigen Staats- und Regierungschefs auf der Feier zum 60. "Geburtstag" der EU quittierten Szydlos Geste im Saal mit freundlichem Lachen und Applaus. Dass dennoch nicht alles im Lot ist, signalisierte Szydlo, indem sie den vier Repräsentanten der EU-Institutionen und dem italienischen Gastgeber, Ministerpräsident Paolo Gentiloni, als einzige weder die Hand gab noch die Schulter klopfte. Beata Szydlo wollte offenbar vermeiden, in zu engen Kontakt zu EU-Ratspräsident Donald Tusk zu kommen. Vor vierzehn Tagen hatten die Staats- und Regierungschefs ihren polnischen Landsmann geschlossen in seinem Amt bestätigt - allein gegen den heftigen Widerspruch aus Warschau. Szydlo hatte daraufhin in Brüssel die Gipfel-Erklärung mit einem Veto blockiert.

Nur wenig Heiterkeit

In Rom also spielten die Polen zähneknirschend mit. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wertete allein das als Erfolg. "Es gab hier keinen großen Streit und keinen großen Konflikt, wie ihn andere vorausgesagt haben", sagte Juncker vor der Presse. "Ich spüre hier den Anfang eines Gefühls des Wandels", meinte Juncker mit einem Lächeln zur Stimmung auf der Geburtstagsparty.

Überhaupt war er der einzige, der für etwas Heiterkeit sorgte: Juncker nahm einfach den Stift mit, mit dem nach ihm noch der Gastgeber, Italiens Premier Gentiloni, unterschreiben sollte, Er gab ihn erst nach ein paar Scherzen an diesen weiter. Auch beim Abspielen der Europa-Hymne, der "Ode an die Freude", war Juncker der Einzige, der inmitten ernster Gesichter kurz lächelte.

Lockere Momente waren rar: Belgiens Premier Charles Michel fotografiert mit seinem HandyBild: Reuters/T. Gentile

Der italienische Ministerpräsident Gentiloni glaubt, dass mit der Erklärung von Rom das Vertrauen in die EU erneuert werden kann. "Wir haben zu lange stillgestanden, es ist Zeit sich wieder zu bewegen", mahnte er die versammelte EU-Führung im Kapitol, an genau der Stelle, an der vor 60 Jahren Vertreter der sechs Gründungsstaaten die "Römischen Verträge" unterschrieben hatten. "Manche sagen, unsere Erklärung sei zu ambitioniert, manche sagen, sie sei zu wenig ambitioniert. Deshalb", so Gentiloni, "ist sie wahrscheinlich die richtige solide Basis, um in die richtige Richtung voranzugehen."

Merkel: Zwei Geschwindigkeiten in die gleiche Richtung

In der "Erklärung von Rom" bekennen sich 27 EU-Staaten zur gemeinsamen Zukunft in der Union. Den Staaten wird freigestellt, künftig in verschiedener Geschwindigkeit und Intensität an europäischen Projekten mitzuwirken. Jeder Staat könne sich jederzeit anderen Gruppen anschließen, die schneller oder langsamer vorangehen.

Besonders Polen hatte darauf Wert gelegt, dass das Europa der mehreren Geschwindigkeiten nicht zum Regelfall werde. Bundeskanzlerin Angela Merkel wies die polnischen Bedenken zurück: "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten bedeutet ja keinesfalls, dass es nicht ein gemeinsames Europa ist." Merkel sagte nach der Feierstunde, für sie sei klar, dass man in die gleiche Richtung wolle: "Und es gibt Dinge, die sind unveräußerlich." Dazu zählten der gemeinsame Binnenmarkt, die Menschenrechte, die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Religionsfreiheit.

In dem Papier bekennen sich die EU-Staaten zu einer gemeinsamen Einwanderungspolitik und verpflichten sich, bestehende Regeln einzuhalten. Auch das könnte man auf Polen beziehen, dem die EU-Kommission vorwirft, rechtsstaatliche Normen bei der Reform des Verfassungsgerichts zu verletzen. Ungarn und weitere östliche EU-Staaten könnten sich ebenfalls angesprochen fühlen, weil sie sich weigern, Flüchtlinge oder Asylbewerber aufzunehmen. Das Friedensprojekt Europa, auf das man nach wie vor stolz sei, solle fortgesetzt werden, versprechen sich die führenden Politiker der EU. Bundeskanzlerin Angela Merkel will, dass die EU vor allem Sicherheit garantiert: "Wir wollen ein sicheres Europa, ein schützendes Europa, wir müssen unsere Außengrenzen besser schützen, wir wollen ein wirtschaftlich starkes Europa."

Demonstrationen für und gegen die EU

Die Geburtstagsparty der Europäischen Union fand unter enormen Sicherheitsmaßnahmen und damit ohne die Bürgerinnen und Bürger von Rom statt. Die Straßen der Innenstadt waren menschenleer. Demonstrationen für und gegen Europa waren so weit vom Tagungsort entfernt, dass die Staats- und Regierungschefs sie nicht zu Gesicht bekamen. Am legendären "Mund der Wahrheit", einer Sehenswürdigkeit südlich des Kapitols versammelten sich einige hundert, vor allem junge Europäer, die für einen föderalen Bundesstaat in Europa eintreten.

Demonstrant Di Molfetta: Mehr Zuversicht bitte!Bild: DW/B. Riegert

Einer von ihnen ist Daniele Di Molfetta, der mit seiner Gruppe von "Jungen Europäischen Föderalisten" extra aus Venedig angereist ist. Der Student fordert von den Staats- und Regierungschefs mehr Zuversicht. "Gerade bei der Einwanderungspolitik hat man sich in Italien alleingelassen gefühlt. Aber jetzt werden die Dinge besser, auch wenn es noch sehr viel zu tun gibt", sagt Di Molfetta. Zur EU gebe es für ihn keine Alternative. Viele Italiener sind allerdings auch enttäuscht von der EU und machen sie für die schleppende Entwicklung der Wirtschaft und die hohe Arbeitslosigkeit mit verantwortlich.

Briten nicht mehr dabei

Kaum aufgefallen sei, dass Noch-EU-Mitglied Großbritannien an diesem Geburtstagsgipfel schon nicht mehr teilgenommen hat, sagt die Politikwissenschaftlerin Silva Francescon: "Mit dem Brexit hat man sich schon arrangiert, besonders aufseiten der EU." Im Gespräch mit der DW sagte die Chefin des "European Council on Foreign Affairs" in Rom: "Die wirklich harten Zeiten für die Briten kommen jetzt in den Verhandlungen über den Austritt. Die EU hat bereits bewiesen, dass sie ohne Briten arbeiten kann".

Entscheidend für die EU sei es jetzt, wie die Präsidentenwahl in Frankreich ausfalle. Ein Sieg der Populisten wäre mehr oder weniger das Ende der Europäischen Union. Wie die EU in zehn Jahren aussieht und ob die Deklaration von Rom die richtigen Rezepte anbietet, wagt Francescon kaum vorauszusagen. "Dazu bräuchte man wirklich eine große Kristallkugel. Hätte man denn vor zehn Jahren, beim 50. Geburtstag geglaubt, dass es jemals einen Austritt der Briten geben könnte?"

Optimistisch bleibt auf jeden Fall Jean-Claude Juncker. "Es wird einen 100. Geburtstag der EU geben", sagte der EU-Kommissionspräsident dem ZDF. Und die Staatspräsidentin Litauens, Dalia Grybauskaite, glaubt, dass die EU mit den "beispiellosen" Herausforderungen, die in der Erklärung von Rom genannt werden, fertig werden wird: "Europa hat alles überdauert und es wird ewig halten."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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