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Politik

Kein Grund zum Feiern

Martina Schwikowski
25. Juni 2020

Armut und soziale Ungleichheit prägen den ostafrikanischen Inselstaat Madagaskar. Auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit von Frankreich fehlt es an Perspektiven und das Verhältnis zur Ex-Kolonialmacht könnte besser sein.

Reisanbau in der Provinz Antananarivo
Reisanbau in der Provinz Antananarivo: "Große soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich"Bild: picture-alliance/Godong/P. Deloche

Madagaskar trägt den Beinamen "die grüne Insel". Aber die einzigartige Pflanzenwelt des einstigen tropischen Paradieses ist in Gefahr: Buschfeuer haben in den vergangenen Jahren große Teile der bergigen Insel verwüstet und in kahle rote Flächen verwandelt. Mit einem Mammutprojekt will die madegassische Regierung das Land jetzt aufforsten.

60 Millionen neue Bäume sollen gepflanzt werden - die Zahl ist symbolträchtig: Denn am 26. Juni feiert Madagaskar 60 Jahre Unabhängigkeit von Frankreich. Doch viel gibt es nicht zu feiern, finden Experten. Seit der Autonomie von der Kolonialmacht im Sommer 1960 ist das Land im Indischen Ozean ärmer geworden. Auch das Verhältnis zu Frankreich ist angespannt.

Keine Erfolgsgeschichte

FES-Leiter Grund: "60 Jahre enttäuschte Hoffnungen"Bild: Privat

"Eine Erfolgsgeschichte ist Madagaskars Unabhängigkeit sicher nicht", sagt Constantin Grund, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in der Hauptstadt Antananarivo. "60 Jahre nach der Unabhängigkeit Madagaskars prägt extreme Armut weite Teile der Bevölkerung, es herrscht große soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich, das Bildungsniveau ist gering, auch die wirtschaftliche Wertschöpfung", sagt Grund.

Dazu komme noch etwas Tragisches: "Das Land war vor 60 Jahren schon weiter." Der Niedergang habe sich vollzogen, ohne dass eine von außen herbeigeführte Krise wie ein Konflikt mit einem Nachbarland oder ein Bürgerkrieg dafür verantwortlich gemacht werden könne, fügt er hinzu. "Insofern sind 60 Jahre Unabhängigkeit für große Teile der Bevölkerung auch gleichzusetzen mit 60 Jahren enttäuschten Hoffnungen", bilanziert der FES-Leiter in Madagaskar.

Enormer Reichtum - in falschen Händen

Dabei wäre auf den ersten Blick solch ein trübes Fazit gar nicht nötig, denn das Land hat die besten Voraussetzungen für wirtschaftlichen Aufschwung: "Es ist ein sehr reiches Land", betont Grund. Madagaskar habe viele Rohstoffe, wie Gold, Saphire, Erze, landwirtschaftliche Flächen und es gibt ausreichend Regen. Wieso kommt Madagaskar so schwer in Gang? An Geld mangele es nicht: "Es liegt nur in den falschen Händen", sagt der Experte aus Deutschland. 95 Prozent der wirtschaftlichen Aktivitäten seien informell und von kriminellen Netzwerken durchsetzt. Dem Staat fehle der Zugriff auf Steuereinnahmen für notwendige Investitionen in die soziale Infrastruktur.

Ähnlich sieht das Paul Melly von der britischen Denkfabrik Chatham House: "Es mangelt an strategischem Fokus, besonders für die Entwicklung auf dem Land, wo die meisten Menschen leben." Madagaskar hat 26 Millionen Einwohner. "Die Insel ist weit von Märkten entfernt und engagiert sich wenig auf dem afrikanischen Festland, sie sind isoliert." Zudem schrecke die hohe Korruption Investoren ab.

Hauptstadt Antananarivo: "Wirtschaft von kriminellen Netzwerken durchsetzt"Bild: picture-alliance/Godong/P. Deloche

Weitere Faktoren beeinträchtigten die Entwicklung: Erst 2003 erhielt Madagaskar eine eigene Währung und habe seit fast vierzig Jahre "am Tropf der Franzosen" gehangen. Auch kritisiert Constantin Grund, dass es keinen langfristigen Wirtschaftsplan gebe, lediglich spontane Regierungsprogramme kurz vor einem Wahlkampf. 60 Jahre nach der Unabhängigkeit sei auch das Verhältnis zu den Franzosen hochgradig ambivalent.

France-Afrique-Politik wirkt nach

Das habe mit der Kolonialgeschichte zu tun, aber auch mit einer "fortgesetzten Kolonialisierung". Nach der Befreiung sei Madagaskar mehr als ein Jahrzehnt auf französische Hilfe angewiesen gewesen, allein das Schulwesen funktionierte nur auf Basis von französischem Lehrpersonal. Noch heute wirke die damalige außenpolitische Großwetterlage in Paris, die man als "France-Afrique" bezeichnet: "Das ist eine Außenwirtschafts- und Geheimdienstpolitik, die den Einfluss in den neuen unabhängigen afrikanischen Ländern auch in der Zukunft sichern sollte."

Chatham-House-Experte Melly: "Kluft unüberwindbar"Bild: DW/F. Quenum

Nach Einschätzung von Chatham-House-Experte Melly liegen die aktuellen Gründe für das nicht enden wollende Scheitern des Staates in der jüngsten Geschichte und nennt die Folgen des Militärputsches von 2009. Danach wurde die Insel vier Jahre lang von einem nicht verfassungsrechtlich anerkannten Übergangsregime regiert. Dadurch seien Entwicklungshilfe und Investitionen ausgeblieben und die Exporte der madagassischen Textilindustrie in die USA beschränkt worden, so Melly.

Kaum Entwicklung ohne Pläne

Damals hatte die Opposition den Präsidenten Marc Ravalomanana aus dem Amt gedrängt. Anführer dieser Bewegung war Andry Rajoelina. Er wurde Übergangspräsident und blieb ohne demokratische Legitimation an der Macht - bis nach langen Verhandlungen Ende 2013 doch Wahlen stattfanden, aus denen der Finanzminister der Übergangsregierung, Hery Rajaonarimampianina, als Sieger hervorging.

Erst 2019 wurde dann Ex-Putschist Rajoelina ganz offiziell ins Präsidentenamt gewählt. Melly sieht Wurzeln für die mangelnde Entwicklung des Inselstaates in Rajoelinas Politik, auch im Verhältnis zu Frankreich.

Präsidenten Rajoelina und Macron: Keine Einigung im InselstreitBild: picture-alliance/abaca/P. Gely

Streitpunkt zwischen Frankreich und Madagaskar bleiben wohl auch die fünf "Illes Eparses". Die kleinen Archipel liegen rund um Madagaskar verstreut. Süßwasser und somit Trinkwasser gibt es dort nicht. Die wahren Schätze dieser Inseln liegen untertage: Enorme Gasvorkommen machen sie begehrt. Vor der Unabhängigkeit hat Frankreich die Inseln abgespalten und besitzt die Hoheit. Doch Madagaskar kämpft weiter um seinen Anspruch auf die Illes Eparses.

Lösung für Illes Eparses nicht in Sicht

Madagaskars Präsident Rajoelina und sein französischer Kollege Emmanuel Macron hatten 2019 eine Kommission gebildet, um bis zur Unabhängigkeitsfeier am 26. Juni eine Lösung im Inselstreit zu finden - ohne Erfolg. "Die Franzosen konzentrieren sich auf den Schutz des wertvollen Ökosystems auf den Inseln und schlugen vor, sie gemeinsam mit Madagaskar zu verwalten", sagt Melly. "Madagaskar beharrt auf alleinige Hoheit." Was könnte die Lösung sein? "Die Kluft scheint unüberwindbar. Es gibt in naher Zukunft keinen Grund, neu zu verhandeln."

Paul Melly ist dennoch optimistisch, dass Madagaskar sein riesiges Potenzial ausnutzen könne. "Aber die Madagassen dürfen keine Zeit verlieren. Der Druck auf die natürlichen Ressourcen ist groß, Wälder und Bäume verschwinden, der Schmuggel mit Rosenholz blüht." Nur eine echte Vision für das Land könnte Fortschritte bringen.

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