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Politik

"Eine eigene Wohnung wäre das Paradies"

Marina Strauß
4. August 2019

Schätzungen zufolge haben 650.000 Menschen in Deutschland keine eigene Wohnung. Fast 50.000 von ihnen leben auf der Straße. Wie kann das sein? Eine Spurensuche.

Berlin | Geflüchtete aus Syrien in einer Gemeinschaftsunterkunft
Bild: DW/M. Strauß

Sie lachen viel, auch wenn sie an diesem Nachmittag von Erinnerungen erzählen, die ganz und gar nicht lustig sind. Huda von ihrem 15. Geburtstag, den sie im türkischen Gefängnis verbrachte. Salam von der Bombe, die 2012 in Homs ihren Vater tötete. Ihre Mütter Jamila und Sanaa von der Flucht über das Mittelmeer, die sie nicht - wie sie sagen - für sich wagten sondern, weil sie ihren Töchtern Huda und Salam und deren Geschwistern eine bessere Zukunft, weit weg vom Bürgerkrieg daheim in Syrien, ermöglichen wollten.

Arabisch und Deutsch mischen sich in diesem kleinen Raum in einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete im Berliner Nordwesten. Auf dem Tisch steht Kaffee, gebrüht auf syrische Art. Sanaa bietet arabische Süßigkeiten an, kleine Küchlein mit süß-klebriger Füllung.

Sanaa Rahma (l.) und Jamila Bassaleh sind beide aus Syrien geflohen und in Berlin Freundinnen gewordenBild: DW/M. Strauß

Alle vier fühlen sich wohl in Deutschland, die beiden Töchter Huda und Salam, 19 und 15, gehen zur Schule, wollen danach eine Ausbildung anfangen. Doch was ihnen fehlt, um wirklich in Berlin anzukommen, ist eine eigene Wohnung. Huda und ihre Mutter Jamila sind 2015 nach Deutschland geflohen. Sie teilen sich mit zwei von Hudas Brüdern ein kleines Zimmer in der Unterkunft. "Oft will mein Bruder schlafen, wenn ich lernen muss. Wenn er das Licht ausmacht, streiten wir immer", sagt Huda.

Sanaa und ihre drei Kinder müssen in ihrem Zimmer ohne Toilette auskommen. "Sobald meine Mutter unseren Raum verlässt, hat sie das Gefühl, nach 'draußen' zu gehen", übersetzt Salam für ihre Mutter. Wenn sie also zum Badezimmer geht oder in die Küche, fühlt sie sich nicht mehr zu Hause.

"Manchmal ist meine Mutter richtig traurig, weil wir keine Wohnung finden"

Die vier Frauen versuchen seit Monaten, teils Jahren, eine Wohnung für ihre Familie zu finden. Erfolglos. "Wir haben so viel gesucht, aber es gibt zu viele andere Leute", sagt Huda. Einmal habe ein Vermieter ihnen eine Wohnung schon fest zugesagt, die nötigen Unterlagen vom Jobcenter hätten sie aber einen Tag zu spät bekommen, dann sei die Wohnung schon weg gewesen.

"Meine Mutter war drei-, viermal richtig krank, weil wir keine Unterkunft finden. Sie ist manchmal sehr traurig", sagt Huda. "Eine eigene Wohnung wäre das Paradies", sagt ihre Mutter Jamila. Laut aktuellen Schätzungen der Wohnungslosenhilfe hatten 2017 375.000 anerkannte Geflüchtete wie Huda und Jamila in Deutschland keine Wohnung. Sie machen damit mehr als die Hälfte der insgesamt 650.000 wohnungslosen Menschen aus.

Huda Suleyman (l.) und Salam Edres wünschen sich ein eigenes ZimmerBild: DW/M. Strauß

"Das wesentliche Problem ist, dass wir weitaus mehr bezahlbare Wohnungen in Deutschland brauchen", sagt Werena Rosenke, die Geschäftsführerin der Wohnungslosenhilfe. Pro Jahr würden bis zu 100.000 neue Sozialwohnungen benötigt und noch mal genauso viele Wohnungen, die für Menschen mit niedrigem Einkommen erschwinglich wären. Die deutsche Regierung würde aber viel zu wenig bauen.

48.000 Menschen in Deutschland sind obdachlos

Von den 650.000 Menschen ohne eigene Wohnung leben laut Wohnungslosenhilfe 48.000 auf der Straße. "Für unsere Gäste spielt es oft keine Rolle, ob genügend Wohnraum zur Verfügung steht", sagt Ulrike Reiher von der Bahnhofsmission. Denn viele, die zur Anlaufstelle am Berliner Ostbahnhof kommen, schafften es aufgrund von Alkoholabhängigkeit oder psychischen Erkrankungen gar nicht, sich um die Formalien zu kümmern.

Bei Andreas ist das nicht der Fall. Der 30-Jährige schaut zurzeit jeden Tag hier vorbei. Um einen Kaffee zu trinken, etwas zu essen, die kostenlose Toilette zu benutzen. Sein Geld ist knapp im Moment.

Die Bahnhofsmission hilft meist ehrenamtlich Bedürftigen in DeutschlandBild: picture alliance/ZB/J. Büttner

Generell sei es gar nicht so schwer, ein paar Euro zu verdienen, sagt Andreas. Er habe Tischler gelernt und auf irgendeiner Baustelle könne er immer anheuern. "Aber eine Wohnung finde ich nicht." Gerade auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt sei es schwierig, auch wenn er sich bemühe und Anspruch auf eine Sozialwohnung hätte.

Oft schläft Andreas in der Berliner S-Bahn. "Die fährt am Wochenende die Nacht durch, es ist warm und es passiert nichts, weil andere Leute da sind." Manchmal finde er es beschämend, draußen schlafen zu müssen, aber einen großen Kopf mache er sich nicht. "Es geht ja nicht anders."

Zu wenige Wohnungen in deutschen Metropolen

Andreas teilt mit den syrischen Müttern und Töchtern ein Problem: Sie suchen alle nach einer Wohnung in Berlin. Gerade in der Hauptstadt und in anderen Metropolen ist der Wohnraum knapp. Auf dem Land hingegen stehen teilweise ganze Häuser leer. Die deutsche Regierung hat sich den Bau von 1,5 Millionen neuen Wohnungen bis 2021 zum Ziel gesetzt. Im vergangenen Jahr wurden nach Informationen des Statistischen Bundesamts gerade mal etwas weniger als 286.000 fertig gestellt. Dazu kommt, dass der Anteil der Sozialwohnungen am Wohnungsbau in der Vergangenheit stark gesunken ist.

Ganz unabhängig von Zahlen und Fakten: Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen oder geflüchtet sind, haben es schwerer, sich auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt in den Metropolen durchzusetzen.

Nach einer Wohnungsbesichtigung habe die Nachbarin ihr "Ausländer raus" hinterher gerufen, erzählt Huda. Andreas sagt, ein Vermieter habe ihm unterstellt, er nehme Drogen und sei deswegen nicht glaubwürdig. Ob sie nur keine Wohnung finden, weil sie geflüchtet sind oder auf der Straße leben, können sie natürlich nicht beweisen. Das flaue Gefühl aber bleibt - und wächst. Genauso wie die Frustration, keinen Ort "zu Hause" nennen zu können.

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