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PolitikNahost

7. Oktober: Ein Jahr später im Nahen Osten

5. Oktober 2024

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel und der darauffolgende Krieg im Gazastreifen haben viele Veränderungen in Ländern des Nahen Ostens ausgelöst. Ein Überblick.

Gaza | Gazastreifen | Rückkehr vertriebener Palästinenser in den Norden des Gazastreifen
Im Gazastreifen wurden bisher über 41.000 Menschen getötetBild: Yasser Qudihe/Middle East Images/IMAGO

Seit Saudi-Arabien nach den Ereignissen vom 7. Oktober 2023 die Gespräche über eine Normalisierung mit Israel eingefroren hat, ist das potenzielle Abkommen zu einem Verhandlungsinstrument in den Friedensgesprächen zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas geworden. Gleichzeitig habe der 7. Oktober auch auf gesellschaftlicher Ebene die Solidarität mit den Palästinensern neu belebt, sagt Sebastian Sons. Er ist leitender Forscher in der deutschen Denkfabrik "Center for Applied Research in Partnership with the Orient" (CARPO).

Politisch und wirtschaftlich hingegen wird der Israel-Hamas-Konflikt als direkte Bedrohung für die ehrgeizigen sozioökonomischen Ziele des Königreichs gesehen, so Sons weiter. "Infolgedessen hat sich die saudi-arabische Politik im vergangenen Jahr auf einen diplomatischen Balanceakt konzentriert", sagt Sons.

Ein Jahr später im Libanon

Kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel begann die einflussreiche Hisbollah im Libanon - von der Europäischen Union, den USA und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft - mit Angriffen auf den Norden Israels. "Anfangs wurde die Hisbollah dafür kritisiert, dass sie den Libanon in einen Krieg mit Israel hineinzieht", sagt Kelly Petillo, Nahostforscherin beim Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen.

Israel bombardiert seit September nicht nur Ziele im Süden des Libanon, auch in der Bekaa-Ebene, im Süden Beiruts und auch Ziele nahe des Beiruter Zentrums, auch im Norden kam es zu ersten Bombardierungen Bild: Mohammed Zaatari/AP Photo/picture alliance

"Dennoch genießt die Hisbollah seit dem 7. Oktober auch wachsende Unterstützung in der libanesischen Bevölkerung", fügte sie hinzu. Viele Libanesen sind empört über Israels Vorgehen im Gazastreifen und die Erfolglosigkeit der internationalen Diplomatie. "Sie sehen in der Hisbollah den einzigen Garanten für Solidarität mit den Palästinensern", sagt Petillo.

Nach fast einem Jahr "eingeschränkter Kampfhandlungen" - als hauptsächlich militärische Infrastruktur angegriffen wurde -  eskalierte die Lage jedoch im September, als Israel mehrere Hisbollah-Kommandeure tötete, darunter auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Anfang Oktober begann Israel schließlich mit Bodeneinsätzen im Süden des Libanon.

Ein Jahr später in Jordanien

Das Nachbarland Jordanien, das 1994 einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnete, balanciert seit einem Jahr auf einem politischen Drahtseil. "Seit dem 7. Oktober versucht Jordanien, die starke innenpolitische Unterstützung für die palästinensische Sache mit seinen Beziehungen zu Israel in Einklang zu bringen", sagte Petillo der DW.

König Abdullah II. und Königin Rania, die selbst Palästinenserin ist, haben wiederholt betont, dass sie nicht bereit seien, weitere palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen. Dies würde nicht nur die palästinensische Sache gefährden, sondern auch gegen den Friedensvertrag verstoßen, so die Nahostforscherin.

"Nun aber, da sich neue Konfliktfronten nicht nur im Libanon, sondern auch im Westjordanland auftun, sieht sich Jordanien mit seinem Albtraumszenario konfrontiert", sagt Petillo. "Die anfängliche Angst nach dem 7. Oktober, dass der Konflikt auf Jordanien übergreift und Palästinenser nach Jordanien flüchten könnten, ist wieder aufgeflammt."

Ein Jahr später im besetzten Westjordanland

"Die Situation im Westjordanland war schon vor dem 7. Oktober äußerst angespannt", sagt Peter Lintl, Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Palästinensische Autonomiebehörde sei seit Jahren schwach, jüdische Siedler attackierten Palästinenser, und die rechtsgerichtete israelische Regierung verschärfe die Spannungen weiter, indem sie in ihrem Koalitionsvertrag erklärte, das Westjordanland gehöre ausschließlich dem jüdischen Volk, so Lintl.

Die Gewalt durch jüdische Siedler gegen palästinensische Zivilisten im besetzten Westjordanland hat seit dem 7. Oktober zugenommenBild: Mamoun Wazwaz/APA Images/ZUMAPRESS/picture alliance

"All dies hat sich nach dem 7. Oktober weiter zugespitzt", so Lintl. Extremistische israelische Siedler greifen palästinensische Zivilisten an, während die Spannungen zwischen Israels Streitkräften und palästinensischen Milizen im besetzten Westjordanland im September einen neuen Höhepunkt erreichen.

"Das Westjordanland ist ein Pulverfass, das jederzeit explodieren könnte", warnt Lintl. "In normalen Zeiten würde man sagen: Hier herrscht bereits ein untragbarer Zustand mit einer unglaublich hohen Zahl von Toten, nur das wird alles überschattet von dem Krieg im Gazastreifen und dem 7. Oktober."

Ein Jahr später in Syrien

"Der Krieg hat die Medienaufmerksamkeit weiter von Syrien und dem über 13 Jahre andauernden Konflikt abgelenkt", sagt Lorenzo Trombetta, Nahost-Analyst und Berater für UN-Organisationen, der DW. Der Syrien-Krieg werde zunehmend von ausländischen Mächten wie Russland, dem Iran, der Türkei, Israel und den USA dominiert, so Trombetta.

Syriens Präsident Bashar al-Assad (rechts) wurde wieder in die arabische Gemeinschaft aufgenommen, auch von Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin SalmanBild: Saudi Press Agency/UPI Photo/Newscom/picture alliance

"Alle Beteiligten behaupten, den Terrorismus zu bekämpfen und für Stabilität und Sicherheit zu sorgen", so Trombetta. Syriens Präsident Baschar al-Assad, der zunächst aufgrund seiner brutalen Unterdrückung der Bevölkerung international isoliert war, wird mittlerweile wieder zunehmend in die arabische und europäische Gemeinschaft aufgenommen.

"Im Inland scheint Assads Machtstellung unangefochten", sagt Trombetta. Assad habe sich in den vergangenen Jahren weitgehend zu den Ereignissen und deren Folgen seit dem 7. Oktober zurückgehalten. "Sein Ansatz ist eine stille Diplomatie, abseits der Medien, mit langfristigen innenpolitischen Zielen."

Ein Jahr später in Ägypten

Von allen Ländern in der Region hat Ägypten es als einziges geschafft, die Krise seit dem 7. Oktober zu nutzen, um seine geopolitische Bedeutung zu stärken, sagt Timothy E. Kaldas, stellvertretender Direktor des Tahrir-Instituts für Nahost-Politik.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi kooperiere mit Israel bei der Regelung der Warenlieferungen nach Gaza und trage zur Aufrechterhaltung der Belagerung bei, so Kaldas. Zudem habe Ägyptens zentrale Rolle bei den Waffenstillstandsverhandlungen seine Bedeutung auf der internationalen Bühne gestärkt.

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sissi hat die Position des Landes gegenüber den USA und westlichen Partnern zu seinem Vorteil genutztBild: Egyptian President Office/APAimages/IMAGO

"Dafür hat Kairo viel zusätzliche Unterstützung aus Washington erhalten", sagt er. Das Weiße Haus bewilligte 2024 die gesamten 1,3 Milliarden US-Dollar (1,16 Milliarden Euro) an Militärhilfe. "Es ist das erste Mal, dass die Biden-Regierung den vollen Betrag ausgezahlt hat", so Kaldas. In der Vergangenheit wurde oft ein Teil der Hilfe aufgrund von Menschenrechtsfragen einbehalten.

"Tatsächlich hat sich Ägyptens Menschenrechtssituation jedoch verschlechtert", fügt Kaldas hinzu. Vor dem 7. Oktober waren die Ägypter stark auf die wirtschaftlichen Probleme ihres Landes fokussiert. "Doch die schrecklichen Kriegsverbrechen Israels an palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen haben ihre Aufmerksamkeit geteilt", sagte Kaldas.

Er erwartet, dass sich die öffentliche Meinung weiter verändern könnte, da die Ägypter zunehmend ihre eigene Regierung als Teil des Problems sehen. "In Zukunft wird es für die ägyptische Führung ein heikler Balanceakt, da sie versuchen wird, die Unterstützung des Westens aufrechtzuerhalten", schließt Kaldas.

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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