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70 Jahre Leo Baeck Institut: Widerstand gegen das Vergessen

Sabine Kieselbach
17. Juni 2025

Die Nazis wollten jüdisches Leben in Deutschland vernichten. Um das vielfältige deutsch-jüdische Erbe zu retten, gründeten jüdische Intellektuelle zehn Jahre nach dem Ende des Holocaust das Leo Baeck Institut.

Aufschrift auf einer Glas: "Center for Jewish History", im Hintergrund sind Bücherregale und Schreibtische zu sehen
Das Leo Baeck Institut in New York - eine renommierte Dokumentations- und ForschungsstätteBild: Max Stein/Imago

Als der deutsche Rabbiner Leo Baeck am 8. Mai 1945, dem Tag des Kriegsendes, aus dem Konzentrationslager Theresienstadt befreit worden war, glaubte er nicht mehr an eine Zukunft für jüdische Menschen in Deutschland. Wer wollte noch in dem Land leben, das die Vernichtung geplant und Millionen von ihnen ermordet hatte? "Die Epoche der Juden in Deutschland", sagte Baeck damals, "ist ein für alle Mal vorbei". Diese Einschätzung teilten damals die meisten Überlebenden.

Aber was würde aus der Kultur des deutschen Judentums? Wer würde erinnern an die Musik eines Mendelssohn Bartholdy, eines Arnold Schönberg? Was würde aus den Büchern von Joseph Roth, Franz Kafka, Alfred Döblin oder Else Lasker-Schüler? Noch während der Jahre der Verfolgung hat jüdischer Widerstand auch darin bestanden, das kulturelle deutsch-jüdische Erbe zu erhalten, sagt der israelisch-österreichische Historiker Doron Rabinovici der Deutschen Welle. Nach 1945, als das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar wurde, schien diese Aufgabe umso dringlicher: "Die Erinnerung war auch Widerstand gegen das Vergessen, gegen das Auslöschen."

Doron Rabinovici - Schriftsteller und Historiker Bild: Tobias Steinmaurer/APA/picture alliance

Zeigen, was die Nazis zerstört haben

1955, fast auf den Tag zehn Jahre nach Kriegsende, gründete eine Gruppe deutschsprachiger, jüdischer Intellektueller – unter ihnen die Philosophin Hannah Arendt und der Historiker Gershom Scholem - das Leo Baeck Institut, "um das zu zeigen, was die Nazis zerstört haben: diese großen kulturellen Leistungen, aber auch das Alltagsleben der deutschen Juden. Das Institut widmet sich dem, was in Wien oder in Prag existierte, also dem gesamten deutschsprachigen jüdischen Leben", erklärt Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und seit 2013 Präsident des Leo Baeck Institutes, im Gespräch mit der Deutschen Welle.

New York, London und Jerusalem waren damals die wichtigsten Zentren der Emigration, und hier waren von Anfang an auch die drei Standorte des Leo Baeck Institutes (LBI), das benannt ist nach dem Rabbiner Leo Baeck, der "großen religiösen und geistigen Lichtgestalt des liberalen deutschen Judentums", so Brenner. Baeck wurde der erste Präsident, starb aber bereits 1956, ein Jahr nach der Institutsgründung.

Michael Brenner ist seit 2013 Präsident des Leo Baeck InstitutsBild: Stephan Rumpf/SZ Photo/picture alliance

Forschungsinstitut für das Erbe des deutschen Judentums

Was das LBI von Anfang an besonders machte, ist seine Sammlungsgeschichte. Der Großteil der dort erhaltenen Objekte stammt von jüdischen Flüchtlingen oder ihren Nachkommen: Bücher, Briefe, Fotos, und auch Kunstwerke. Heute ist das LBI das wichtigste Forschungsinstitut für das Erbe des deutschen Judentums. Mit mehr als 3,5 Millionen Seiten wurde der Hauptteil der Sammlungen des Leo Baeck Instituts digitalisiert und online zugänglich gemacht, weltweit nutzen vor allem Wissenschaftler, aber auch Nachfahren jüdischer Überlebender das Angebot.

Darüber hinaus erscheint jährlich ein Jahrbuch, werden Veranstaltungen organisiert, junge Menschen in der Wissenschaft gefördert. Im LBI entstand auch das vierbändige Standardwerk "Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit". Gegenwärtig arbeitet man an einer Geschichte der deutsch-jüdischen Diaspora.

Niemand hätte vor 70 Jahren gedacht, dass das Leo Baeck Institut so lange bestehen würde. Und schon gar nicht, dass es eine Dependance in Berlin geben würde. Weil Zeitzeugen aussterben und die Nachfahren den Bezug zu ihrer Herkunft verlieren, versucht man beim LBI das Interesse am deutsch-jüdischen Kulturerbe mit neuen Projekten wachzuhalten. An ein jüngeres Publikum richtet sich zum Beispiel der Podcast "Exil", gesprochen von der Schauspielerin Iris Berben, der auf Briefen, Tagebüchern und Interviews aus dem Archiv des LBI basiert. Erzählt wird darin von Menschen, deren Leben von Exil, Flucht oder Verfolgung geprägt wurde.

Im Visier der Trump-Regierung: Die Harvard University in den USABild: Xinhua/dpa/picture alliance

Angriffe auf das akademische Leben bedrohen auch das LBI

Das Leo Baeck Institut hat sich immer wieder verändert in den vergangenen 70 Jahren. Auch dafür feiert man 2025 den 70. Geburtstag der renommierten Forschungseinrichtung. Das aber soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Menschen sich auch dort - wie an vielen anderen Universitäten in den Vereinigten Staaten - in ihrer wissenschaftlichen Arbeit bedroht fühlt.

"Die Situation in den USA", sagt LBI-Präsident Michael Brenner, "ist durch die Angriffe auf das akademische Leben nicht leichter geworden." Und auch in Israel sieht man manche politische Initiative mit Sorge. Die aktuelle Regierung plant, Förderungen durch ausländische Regierungen zu unterbinden. Die leistet aber bislang das Bundesinnenministerium in Berlin an das Leo Baeck Institut in Jerusalem. Sollte diese Förderung wegfallen, wäre das Institut in seiner Existenz bedroht.

Eine weitere Bedrohung sieht der Historiker und Schriftsteller Doron Rabinovici zudem von der Seite der rechten Parteien, die weltweit immer mehr Zulauf erfahren. Die Einschätzung Leo Baecks von 1945, dass jüdisches Leben in Deutschland vorbei sei, hat sich nicht bewahrheitet. Was aber bringen die nächsten Jahre? Eine "wiedererblühende jüdische Existenz" sei nur möglich in einer offenen Gesellschaft, in der Antisemitismus bekämpft werde, warnt Rabinovici. Und Antisemitismus zu bekämpfen sei nicht möglich mit Rechtsextremen.

In Deutschland wird der 70. Geburtstag des Leo Baeck Instituts unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit einem Festakt begangen. Redner auf dieser Veranstaltung sind der Präsident des LBI, Michael Brenner, und der österreichische Historiker und Schriftsteller Doron Rabinovici.

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