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Glaube

70 Jahre Pippi Langstrumpf

4. September 2020

Oder die verschmitzt-anarchistische Rede vom biblischen Gott – Gedanken über das wahre Verhältnis von Großen und Kleinen und die Rettung der Welt durch die Kinder.

Pippi Langstrumpf
Bild: picture-alliance/dpa

…„Zwei mal drei macht vier,

widdewiddewitt und drei macht Neune,

ich mach mir die Welt,

widdewidde wie sie mir gefällt.“ …

Nicht erst seit Andrea Nahles‘ Gesangseinlage 2013 im Bundestag ist dieses Lied bekannt. Generationen von Kindern können es mitträllern. Seine Sängerin feiert in diesem Jahr einen runden Geburtstag. 70 Jahre Pippi Langstrumpf. Ursprünglich als Gute-Nacht-Geschichte für ihre Tochter ausgedacht, hat Astrid Lindgren mit Pippi etwas geschaffen, das bei Kindern und Erwachsenen ans Innerste rührt. Aus diesem Grund hat Pippi auch nach 70 Jahren nichts von ihrer Aktualität, von ihrer Witzigkeit und Spritzigkeit verloren. Denn „Die Seele der Kinder und ihre Bedürfnisse haben sich (…) nicht geändert. Deshalb finden sie es immer noch herrlich, dass es jemanden wie Pippi gibt, die sich alles erlauben kann, lustig und frei ist. Wenn Pippi übrigens jemals eine Funktion gehabt hat, außer zu unterhalten, dann war es die, zu zeigen, dass man Macht haben kann und sie nicht missbraucht. Und das ist wohl das Schwerste, was es im Leben gibt.“, so sagt es ihre Schöpferin, Astrid Lindgren. (Astrid Lindgren, Niemals Gewalt!, Oetinger Verlag, Hamburg 2017, S. 66)

Macht haben, und sie nicht missbrauchen. Größe besitzen und demütig bleiben. Die Kleinen groß rauskommen lassen und sie unterstützen. Astrid Lindgren hat mit ihrer Pippi-Figur mehr geschaffen als nur die Geschichte eines rebellischen, sich allein erziehenden Teenies. Pippi lässt sich nicht bevormunden, sie lässt sich auch nicht in eine bestimmte Richtung drängen. Denn dies ist stets die Gefahr, der die Erwachsenen erliegen: dass sie Kinder nicht ernst nehmen, dass sie versuchen, sie sich anzugleichen, dass sie wenig Geduld dabei haben, wenn Kinder ihren eigenen Lebensweg finden müssen.

Und so stellt Pippi die Welt auf den Kopf. Oder besser gesagt, vom Kopf auf die Füße. Denn es ist dieses Spiel mit Groß und Klein, mit Stark und Schwach, mit Recht und Unrecht, das sich in der Geschichte von Pippi umdreht. Die unbarmherzige Welt, die strengen und ungerechten Regeln der Erwachsenen werden zu einer herzlichen, gerechten Welt für alle. Deshalb kann man theologisch gesehen sagen, dass mit Pippi Langstrumpf Gott in einer verschmitzt-anarchistischen Weise zur Sprache kommt.

Denn das Verhältnis von Groß und Klein, von stark und schwach, wird auch in der biblischen Tradition thematisiert. An vielen Stellen der Bibel klingt dieses Thema an. Etwa in der alttestamentlichen Geschichte von David und Goliath In den neutestamentlichen Reich-Gottes-Gleichnissen, in denen das kleinste Senfkorn zum größten Baum werden kann. In den Worten Jesu an die Jünger, wenn er sagt: „wenn ihr nicht umkehrt und werdet, wie die Kinder, dann werdet Ihr nicht in das Reich Gottes gelangen“. Oder in der Menschwerdung Gottes an Weihnachten, wo der große Gott sich klein macht und als schutzbedürftiges Kind geboren wird.

Die christliche Religion bringt in das Verhältnis von Groß und Klein, von Erwachsenen und Kindern eine interessante Perspektive ein. Sie sagt nämlich, dass sich durch diesen Unterschied keine Rangordnung ergibt, keine Über- und Unterordnung, sondern eine Begegnung auf Augenhöhe. Das Kleine und das Große haben den gleichen Wert. Man muss das Große vom Kleinen her verstehen. Denn wahre Größe zeigt sich im Respekt gegenüber den Kleinen. Das Kleine ist das wertvollste, was es gibt, denn in ihm lässt sich das Große überhaupt erst finden. Das Groß-Rauskommen der Schwachen und das Vergnügt-sein der Kleinsten ist überhaupt der Sinn und Zweck des Reiches Gottes.

Indes: Das, was die biblische Tradition sagt, hat nicht nur religiöse Bedeutung. Sondern es hat ganz praktische Auswirkungen auf unseren Alltag und unser Zusammenleben. Wenn wir uns in unserem Alltag umsehen, so erleben wir an vielen Stellen, dass die Großen gewinnen und das Recht des Stärkeren sich durchsetzt. Wir erleben dies nicht nur in den Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen, sondern auch zwischen Armen und Reichen, oder zwischen Machthabern und denen, die keine Macht besitzen. Aber die Bibel entlarvt dieses weltliche Denken.

Sie revolutioniert unsere Sicht von der Wirklichkeit und den Beziehungen der Menschen untereinander. Sie fordert uns auf, dass wir Erwachsenen umdenken in allen Bereichen. Die Großen sind aufgerufen, sich am Wohlergehen der Kleinsten und Schwächsten zu orientieren. In einer Zeit, in der noch nie so viele Kinder rund um den Globus heimatlos und ohne Bildung waren, in der die Kinderarmut in unserem Land jedes Jahr weiter ansteigt, in der uns die Fridays-for-future-kids Beine machen und uns auf die katastrophalen Folgen unseres Lebensstils hinweisen, ist es höchste Zeit, ein neues Lied anzustimmen, ganz im Sinne der biblischen Tradition, das dann so lauten könnte: „… wir machen uns die Welt widdewidde wie sie den Kleinen und Schwachen gefällt….“

 

Dr. Monika Tremel ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 11 und 15 Jahren. Sie ist Pastoralreferentin in der Erzdiözese Bamberg und derzeit als geschäftsführende Leiterin in der Offenen Tür Erlangen tätig, sowie als Rundfunkbeauftragte der Erzdiözese Bamberg.