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Politik

70 Jahre UN-Menschenrechts-Charta

Helena Kaschel
10. Dezember 2018

Sieben Jahrzehnte nach der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sind deren Inhalte weltweit unter Beschuss. Gründe zum Feiern gibt es trotzdem. Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen.

Brasilien Protest nach der Ermordung von Marielle Franco
Anhängerinnen und Anhänger der ermordeten Menschentlerin Marielle Franco demonstrieren im März in Rio de JaneiroBild: Getty Images/AFP/M. Pimentel

"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren" - ein einfacher Satz, der die Welt verändern sollte. Mit der am 10. Dezember 1948 in Paris verkündeten UN-Resolution 217 einigte sich die Weltgemeinschaft erstmals auf grundlegende, für alle Menschen geltende Rechte. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist kein verbindlicher Vertrag. Dennoch hat sie nach den Worten von UN-Menschenrechtskommissar Seid Raad al-Hussein "unzähligen Menschen geholfen, mehr Freiheit und Gerechtigkeit zu erlangen".

Gleichzeitig finden Menschenrechtsverletzungen laut UN "immer noch in trauriger Regelmäßigkeit" statt. 2017 habe es "Angriffe enormen Ausmaßes auf die den Menschenrechten zugrunde liegenden Werte, nämlich die Würde und Gleichheit aller Menschen" gegeben, schreibt Salil Shetty, ehemaliger Generalsekretär von Amnesty International, in dem aktuellen Bericht der Organisation. Die NGO Human Rights Watch wiederum beobachtet, dass viele Demokratien, darunter die USA, im Zuge des "innenpolitischen Streits um die populistische Agenda" weniger bereit seien, Menschenrechte im Ausland zu fördern.

Ein Heiler der in Myanmar verfolgten Rohingya in einer provisorischen Moschee in einem Flüchtlingslager in BangladeschBild: picture-alliance/AP Photo/A. Qadri

Wie ist es um die Werte der Menschenrechtskonvention bestellt? Wo gibt es Fort-, wo Rückschritte? Wir beantworten am Beispiel von drei Menschenrechten die wichtigsten Fragen.

Kampf gegen Sklaverei

Artikel 4: Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten.

Wie verbreitet ist Sklaverei?

November 2017: Der US-Sender CNN veröffentlicht ein Video, das zeigt, wie in Libyen junge Männer bei einer mutmaßlichen Sklavenauktion verkauft werden.

Oktober 2018: Die jesidische Aktivistin Nadia Murad, die 2014 von IS-Terroristen verschleppt und versklavt wurde, wird gemeinsam mit dem kongolesischen Gynäkologen Denis Mukwege "für ihre Anstrengungen, der sexuellen Gewalt als Kriegswaffe ein Ende zu bereiten" mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

November 2018: Tech-Gigant Apple erhält für Maßnahmen gegen Ausbeutung den Stop Slavery Award. Das US-Unternehmen war in der Vergangenheit kritisiert worden, nicht genug gegen fragwürdige Arbeitsbedingungen in seiner Lieferkette vorzugehen.

Demonstranten protestieren im November 2017 vor der libyischen Botschaft in Rabat gegen SklavereiBild: Getty Images/AFP/F. Senna

Obwohl Sklaverei überall auf der Welt verboten ist, bestimmen Geschichten über sklavenähnliche Zustände immer wieder die Schlagzeilen. Dem Global Slavery Index der australischen Walk Free Foundation zufolge leben mehr als 40 Millionen Menschen weltweit in moderner Sklaverei - ein Sammelbegriff für Praktiken wie Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution.

Wo leben die meisten "Sklaven"?

Besonders stark sei moderne Sklaverei in Kriegs- und Krisengebieten verbreitet, sagt Beate Andrees, die den Zweig "Grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit" der International Labour Organization (ILO) leitet: "Es gibt viele langanhaltende Konflikte und fragile Situationen, in denen die Staatsmacht kaum einen Zugriff hat, etwa in Afghanistan oder Libyen. In diesen Ländern sehen wir ein ganz hohes Risiko und eine Ausbreitung von Sklaverei, Menschenhandel und Zwangsarbeit."

Nach einem Bericht der ILO und der Walk Free Foundation ist moderne Sklaverei am stärksten in Afrika verbreitet, gefolgt von Asien-Pazifik, Europa und Zentralasien. Die Zahlen seien jedoch aufgrund fehlender Daten vor allem im arabischen Raum und auf dem amerikanischen Kontinent mit Vorsicht zu genießen. Spitzenreiter sind Nordkorea, Eritrea und Burundi, aber auch in Deutschland und Großbritannien werden Menschen Opfer von Sklaverei. Im April schlug sogar der Europarat Alarm: Sklaverei sei in der EU auf dem Vormarsch, in einigen Ländern habe die Ausbeutung von Arbeitskräften die sexuelle Ausbeutung als häufigste Form von Menschenhandel abgelöst.

Ausgebeutet wird aber nicht nur vor der eigenen Haustür: Laut Global Slavery Index importieren die 20 größten Industriestaaten jährlich Waren im Wert von 354 Milliarden US-Dollar, die möglicherweise durch Sklavenarbeit produziert wurden.

Wie und wo gehen Länder gegen Sklaverei vor?

Nach Angaben der Walk Free Foundation versuchen 36 Länder, Zwangsarbeit in Unternehmen oder öffentlichen Versorgungsketten zu untersuchen - ein deutlicher Anstieg seit 2016. Im September einigten sich die G20-Arbeitsminister auf eine Strategie zur Bekämpfung moderner Sklaverei - aus Sicht von Andrees ein "großer Schritt nach vorne". Auch Unternehmen stellten sich immer mehr ihrer Verantwortung. 

Doch es sind nicht nur Industrieländer, die der Sklaverei den Kampf ansagen: "In den Textilfabriken in Bangladesch oder Jordanien finden sich heute kaum noch sklavenähnliche Verhältnisse", erklärt Andrees. Dort habe es "in den letzten zehn bis zwanzig Jahren signifikante Fortschritte gegeben - auch aufgrund von internationalem Druck".

Ob die moderne Sklaverei weltweit bis 2030 beseitigt werden kann, wie es sich die UN vorgenommen haben, ist allerdings fraglich. "Wenn der politische Druck weiter anhält, werden wir Richtung 2030 eine deutliche Reduzierung der Zahlen sehen", prophezeit Andrees. "Aber der Wille muss da sein, und das ist die große Frage."

Kampf gegen Folter

Artikel 5: Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Wo findet Folter statt?

Schläge, Elektroschocks, Isolationshaft: Trotz eines weltweiten absoluten Verbots wird in zahlreichen Ländern gefoltert, meist staatlich legitimiert. Zwischen 2009 und 2014 dokumentierte Amnesty International in mehr als 140 Ländern Folter und andere Formen der Misshandlung.

Im November warfen Menschenrechtsorganisationen Saudi-Arabien vor, inhaftierte Aktivistinnen zu foltern (Archivbild)Bild: Getty Images/M. Al-Shaikh

Jüngere, ähnlich umfangreiche Studien gibt es nicht. "Folter findet immer hinter verschlossenen Türen statt, deshalb ist es wahnsinnig schwierig, genaue Daten zu bekommen", sagt Maria Scharlau, Referentin für Internationales Recht bei Amnesty International in Deutschland. Es sei allerdings nicht von einem Rückgang auszugehen, weil "insgesamt mehr Staaten wieder repressiver gegen ihre eigene Zivilbevölkerung vorgehen".

Immer mehr Länder unterzeichnen Anti-Folter-Verträge. Trotzdem wird weltweit gefoltert. Wie passt das zusammen?

"Staaten stehen gerne als Menschenrechtschampions da", sagt Scharlau. "Es ist relativ risikoarm, solche Verträge zu unterzeichnen und dann nicht einzuhalten, weil es sehr schwer ist, nachzuvollziehen, ob Staaten foltern". Aufklärung fände "über staatliche Mechanismen statt und selbst Deutschland hat keinen unabhängigen Untersuchungsmechanismus zum Beispiel für Fälle von Polizeigewalt".

Gleichzeitig verliere das Völkerrecht zunehmend an Bedeutung. "Das sieht man an Politikern wie US-Präsident Donald Trump oder ähnlichen Formaten, die relativ nonchalant zum Beispiel zum Thema Folter sagen: 'Das ist vielleicht nicht vereinbar mit Völkerrecht, aber wir machen es trotzdem so.'" Häufig werde versucht, Folter formal zu rechtfertigen, etwa mit Terrorismusbekämpfung. Erst 2017 brachte Trump die Wiedereinführung der von seinem Amtsvorgänger Barack Obama Anfang 2009 verbotenen Foltermethode Waterboarding ins Gespräch.

Wo hat sich die Lage verschlechtert, wo verbessert?

Unter anderem ist Ägypten in den Fokus von Menschenrechtsorganisationen gerückt. Das Land sei "ein interessanter Fall, weil es im arabischen Frühling die große Hoffnung gab, dass man von staatlicher Willkür wegkommt. Das hat sich ins genaue Gegenteil verkehrt", so Scharlau. Seit der Machtübernahme von Präsident Abdel Fattah al-Sisi 2013 habe es einen "unfassbaren Anstieg von politischen Gefangenen gegeben", der UN-Antifolterausschuss gehe von einer systematischen Folterpraxis aus.

Auch in der Türkei seien nach dem Putschversuch 2016 Zehntausende Menschen festgenommen und davon sehr viele gefoltert worden, "etwa durch die Verweigerung von Essen und Trinken, Schläge oder Vergewaltigung", erklärt Scharlau.

Als positives Beispiel nennt die Völkerrechtsexpertin Usbekistan. Lange seien Menschenrechtsbeobachter nicht in das zentralasiatische Land hineingelassen worden, in den Gefängnissen habe massive Folter stattgefunden. "Seit Shavkat Mirziyoyev Präsident ist, gibt es zumindest deutliche Zeichen, dass die Regierung die Menschenrechtsbilanz verbessern möchte. Mirziyoyev hat beispielsweise eine Verordnung verabschiedet, die die Verwendung von erfolterten Beweisen in Strafverfahren verbietet."

Asyl und Flüchtlinge

Artikel 14: (1) Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.

Wie viele Menschen fliehen vor Krieg, Konflikten und Verfolgung?

Weltweit sind 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten im eigenen Land. 2017 ist die Zahl derer, die Krieg und Verfolgung ihr Land verlassen mussten, so stark gestiegen wie in keinem anderen Jahr seit 1951. Auch die Zahl der Asylsuchenden ist zuletzt wieder gestiegen - auf 3,1 Millionen. "Welchen Maßstab man auch nimmt, diese Zahl ist nicht zu akzeptieren", hatte UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi im Sommer 2017 gesagt. Die Welt befinde sich "an einem Scheideweg".

Wer in seinem Land verfolgt wird, darf nach der UN-Menschenrechtscharta in einem anderen Land Schutz suchen. Einen international anerkannten Rechtsanspruch auf Asyl gibt es allerdings nicht - auch, wenn die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet, Geflüchtete in Verfolgerstaaten abzuschieben.

Wie reagiert die Welt auf die steigenden Flüchtlingszahlen?

"Wir sehen in vielen Ländern, dass die Möglichkeit, Menschen Schutz zu gewähren, in der politischen Debatte eingeschränkt wird, dass darüber stark diskutiert wird, dass sich Staaten auch aus den Verpflichtungen des Flüchtlingsschutzes zurückziehen", sagt Martin Rentsch, Pressereferent des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Deutschland. Derzeit beherbergen nur zehn Länder, darunter Deutschland, 80 Prozent aller Flüchtlinge. Die Mehrheit lebt in Entwicklungsländern. Wichtigstes Aufnahmeland ist die Türkei, gefolgt von Pakistan, Uganda und dem Libanon.

Eine Frau, die vor der Gewalt im Kongo geflohen ist, erreicht ein Flüchtlingscamp im ugandischen KyangwaliBild: Reuters/J. Akena

Für Europa ist der Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen zur Zerreißprobe geworden. Während die EU-Mitgliedstaaten im Juni eine Verschärfung der Asylpolitik beschlossen, ist eine Regelung für eine gerechte Verteilung Geflüchteter auf dem Kontinent nicht in Sicht - auch, weil sich Länder wie Ungarn, Tschechien und Polen der Mitverantwortung entziehen.

Weniger festgefahren ist die Situation laut UNHCR in anderen Teilen der Welt, wo an innovativen Lösungen im Flüchtlingsschutz gearbeitet werde. In vielen Ländern würden Flüchtlingen etwa Dokumente ausgestellt, mit denen sie Zugang zum Arbeitsmarkt und zu grundlegender Bildung hätten, so Rentsch. In Uganda gebe man ihnen durch die Bereitstellung von Land die Möglichkeit, sich selbst zu versorgen. 15 Staaten, darunter Äthiopien, Ruanda und Honduras, setzen seit 2016 mithilfe verschiedener Akteure Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Flüchtlingen um. Erfahrungen aus der Pilotphase sind in den UN-Flüchtlingspakt eingeflossen, der unter anderem den Druck auf die Aufnahmeländer mindern soll.

Migranten fliehen an der US-mexikansichen Grenze vor dem Tränengas der US-GrenzschützerBild: Reuters/A. Latif

Nur ein Land hat gegen den nicht bindenden Pakt votiert: die USA. Der angestrebte globale Lösungsansatz widerspreche den "souveränen Interessen meiner Regierung", so US-Botschafterin Kelley Currie. Das Einwanderungsland schlechthin fährt unterdessen einen erbarmungslosen Kurs gegen Migranten an der US-mexikanischen Grenze. Nach den Worten von US-Präsident Donald Trump sollen Asylsuchende die Grenze nicht überqueren dürfen, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist. Zur Not, twitterte Trump im November, werde die Grenze geschlossen.

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