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Druck zum Geburtstag

Ralf Bosen22. Oktober 2015

Im Jubiläumsjahr stehen die Vereinten Nationen vor ihren seit langem größten Herausforderungen. Aber die Zweifel wachsen, ob sie ihrer wichtigsten Aufgabe, der Sicherung des Weltfriedens, gewachsen sind.

Das UN-Gebäude in New York
Bild: picture-alliance/AA/ C. Ozdel

Islamistischer Terror, kalter Krieg um die Ukraine, ständige Atomschlags-Drohungen aus Nordkorea und ein Naher Osten, der vollends im Chaos versinkt. Das ist nur ein Bruchteil aller Konfliktherde, der die Welt in Atem hält. Wenn es nicht schon einen globalen Friedenswächter wie die Vereinten Nationen gäbe, man müsste ihn erfinden. Doch die Feiern um ihr 70jähriges Bestehen werden von der wachsenden Kritik überschattet, wonach die Organisation weniger ein Friedenswächter, sondern vielmehr ein teurer, entscheidungslahmer Debattierclub sei.

Die klimatisierten Büros der UN-Zentrale im New Yorker Stadtviertel Manhattan seien viel zu weit weg von Krisen und Kriegen, heißt es oft. Besonders wegen der Syrien-Krise hagelt es Kritik. Gleich 21 Hilfsorganisationen warfen der internationalen Staatenorganisation im März dieses Jahres völliges Versagen vor. Mitte Juli stellte der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Salil Shetty, den UN ein miserables Zeugnis aus. Angesichts der Flüchtlingskrise als eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sprach Shetty von einem “beschämenden Versagen der internationalen Gemeinschaft“.

Mangelnde Kooperation der Mitgliedsstaaten

Für diese Entwicklung macht der ehemalige deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen, Hanns Heinrich Schumacher (2001/2002), vor allem die Mitgliedsstaaten verantwortlich. Sie würden in Krisensituationen zu oft “durch Verweigerung der Kooperation und durch Blockadehaltung die Lösung eines Problems verhindern“ . Vor fünf Jahren hätten UN-Menschenrechtsrat und Sicherheitsrat Erklärungen verabschiedet“, die den Verlust von 5000 Menschenleben beklagten. Heute haben wir 250.000, wenn nicht mehr Tote“. Trotzdem scheine Syrien völlig auseinanderzufallen, die Lage sei “unübersichtlicher und verfahrener denn je“, sagt Schumacher im DW-Interview.

Der ehemalige UN-Botschafter kritisiert besonders die Struktur des UN-Sicherheitsrats. Dessen fünf ständige Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich sowie das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland können jede Beschlussvorlage mit einem Veto blockieren. Notwendige Entscheidungen bleiben in diesem Gremium oft wegen nationaler Egoismen hängen. So jüngst geschehen beim Syrien- und Ukraine-Konflikt. Gleichzeitig verhindern die ständigen Sicherheitsratsmitglieder jede Reform, die ihre Macht einschränken könnte. Seit 1990 wird deshalb über Reformen diskutiert und gestritten.

Außenminister Steinmeier hält eine Rede in der UN-Vollversammlung. Er fordert eine Reformierung des Sicherheitsrates.Bild: Getty Images/K. Betancur

Ein Privileg, das zur Untätigkeit verdammt?

Vor anderthalb Wochen erst startete der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag einen neuen Versuch, das mächtigste UN-Gremium zu überzeugen“, sich den weltpolitischen Veränderungen anzupassen“. Dazu gehöre insbesondere eine Beschränkung des Veto-Rechts. “Es kann schlichtweg nicht sein, dass dieses Privileg die gesamte Weltorganisation dazu verdammt, im Angesicht größter Verbrechen gegen die Menschlichkeit untätig zu sein“, sagte Steinmeier.

Neben der Reformunwilligkeit sorgen Berichte über sexuelle Übergriffe von UN-Helfern und Blauhelmsoldaten für negative Schlagzeilen. Gegen die UN-Missionen vor allem in Haiti, im Kongo, in Liberia und Südsudan laufen deshalb Untersuchungen. Zudem leidet das Ansehen der Vereinten Nationen immer noch unter dem Scheitern früherer Einsätze. Seit Blauhelme 1994 aus Ruanda abzogen, statt den Völkermord an den Tutsi zu verhindern, und seit UN- Soldaten 1995 im bosnischen Srebrenica Massaker an Zivilisten geschehen ließen, blickt die internationale Öffentlichkeit sehr viel kritischer auf UN-Missionen.

Blauhelm-Soldaten im Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo.Bild: Alain Wandimoyi/AFP/Getty Images

Die wichtigste Erfolgsgeschichte der UN

In der Geschichte der Vereinten Nationen habe es aber auch eine Menge Erfolge gegeben, sagt der ehemalige deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger (2002 bis 2006) im Gespräch mit der Deutschen Welle. Neben der Stärkung der Menschenrechte sei die Dekolonialisierung die längste und größte Erfolgsgeschichte. Von den 1940er Jahren bis 2002 halfen die Vereinten Nationen dabei, 120 Kolonien in die Unabhängig zu führen. Dieses Verfahren habe weitgehende Auswirkungen auch auf die allgemeine Politik gehabt, erläutert Pleuger.

Denn der Prozess und die Diskussion um die Dekolonialisierung hätten dazu geführt, dass die Anwendung von Gewalt zur Aufrechterhaltung nicht-demokratischer Herrschaft nicht mehr rechtmäßig sei. Pleuger ist davon überzeugt, dass dies “auch dazu beigetragen hat, dass die Demokratisierungsbewegungen in Osteuropa und insbesondere auch der Verzicht auf Gewaltausübung bei der Wiedervereinigung Deutschlands durchaus mit beeinflusst worden sind“. Nach Meinung des früheren Diplomaten werden die UN trotz aller Kritik weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Globale Probleme wie die Vielzahl regionaler Konflikte oder der Umweltschutz bräuchten globale Lösungen. “Kein einzelner Staat kann solche Lösungen finden. Globale Lösungen erfordern auch globale Institutionen und die einzige globale Institution, die wir haben, sind die UN.“

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