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PolitikEuropa

75 Jahre NATO: Das Auf und Ab der Allianz

3. April 2024

Von ursprünglich zwölf auf 32 Mitglieder ist die Allianz gewachsen. Russland ist nicht mehr Partner, sondern wieder Feind. Ein Rückblick auf Sinnkrisen und Solidarität zum runden Jubiläum am 4. April.

BdTD Schweden | Eine Frau aus einer Nähwerkstatt in Schweden schneidet die Stoffbahnen für eine blaue NATO-Flagge zu
Gefragt, auch nach 75 Jahren: Produktion von NATO-Flaggen im jüngsten Mitgliedsland SchwedenBild: Anders Wiklund/TT News Agency/AFP/Getty Images

Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg

Am 4. April 1949 unterzeichnen zehn europäische Staaten sowie die USA und Kanada in Washington den Nordatlantik-Vertrag. Dies gilt als die Geburtsstunde der NATO.

Das Militärbündnis soll den Expansionsbestrebungen der kommunistischen Sowjetunion begegnen, nationalistischen Militarismus in Westeuropa verhindern und gleichzeitig ein dauerhaftes Engagement der USA in Europa vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges garantieren.

1945 setzten die USA ihre ersten Atombomben in Japan ein. 1949 zündet die Sowjetunion (UdSSR) ihre erste Atombombe. Die NATO setzt auf massive Vergeltung. Jeder Angriff auf NATO-Gebiet würde mit einem möglichst großen Atomschlag beantwortet.

Am 9. Mai 1955 tritt nach kontroverser Debatte die Bundesrepublik, also der westliche der beiden deutschen Staaten, der NATO bei. Nur fünf Tage später wird der Warschauer Pakt gegründet, das osteuropäische Militärbündnis unter Führung der Sowjetunion.

Der östliche deutsche Staat, die DDR, ist Teil des Warschauer Paktes. Westdeutsche und Ostdeutsche stehen sich am Eisernen Vorhang in unterschiedlichen Bündnissen gegenüber.

Von Konfrontation zu Entspannung

Die Kubakrise 1961 führte die Supermächte USA und Sowjetunion an den Rande eines Atomkriegs. Die Führung in Moskau lenkte ein und stoppte die Stationierung von Atomwaffen auf Kuba, weil sie vom damaligen Präsidenten John F. Kennedy mit einem nuklearen Schlag bedroht wurde.

Geschockt von diesem Beinahe-Krieg und der erneuten Konfrontation beim Bau der Berliner Mauer 1961, entschlossen sich NATO und Warschauer Pakt, einen sehr vorsichtigen Kurs der Entspannung einzuschlagen.

Der Kalte Krieg sollte kein heißer werden. Die NATO änderte ihr Konzept. Von jetzt an sollte es auf einen sowjetischen Angriff eine "flexible Antwort" geben, also abgestufte militärische Aktionen. Ein Atomschlag blieb zur Abschreckung das letzte Mittel.

US-Präsident Kennedy stellte der Sowjetunion ein Ultimatum in der Kubakrise - die Welt schrammt am Atomkrieg knapp vorbei. Bild: AP Photo/picture-alliance

1966 kam es zum halben Bruch zwischen der NATO und Frankreich. Präsident Charles de Gaulle pochte auf seine Unabhängigkeit bei militärischen Entscheidungen.

Frankreich verließ die NATO-Kommandostrukturen, nicht aber die politische Allianz. Das NATO-Hauptquartier musste von Paris nach Brüssel umziehen. Erst 2009 kehrte Frankreich vollständig in die militärische Allianz zurück.

Neuer Kalter Krieg, Ende des Warschauer Paktes

1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein und stationierte in Europa SS20-Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen. Die NATO reagierte mit einer intern umstrittenen Nachrüstung von Mittelstreckenraketen.

1985 kam der sowjetische Reformer Michail Gorbatschow in das höchste Amt der UdSSR. Mit ihm veränderte sich der Kurs der Sowjetunion dramatisch.

Die Konfrontation zwischen Ost und West ließ nach und Abrüstungsverträge konnten geschlossen werden. Der damalige US-Präsident Ronald Reagan (1981 bis 1989) forderte Gorbatschow auf, die Mauer in Berlin einzureißen.

Ende einer Mitgliedschaft: Die ehemalige DDR wechselt vom Warschauer Pakt in die NATO - 1990 als Teil der Bundesrepublik. (Damaliger DDR-Verteidigungsminister Eppelmann re., Sowjet-General Luschew li.)Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Zuerst brach Polen aus der Phalanx der kommunistischen Staaten aus. 1989 implodierte die DDR. Die Sowjetunion griff nicht ein.

Die NATO stellte sich die Frage, ob ein wiedervereinigtes Deutschland dem westlichen Militärbündnis angehören sollte. Die Frage wurde von der Sowjetunion, den USA, Frankreich und Großbritannien - den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs - mit Ja beantwortet. 1991 wurde der Warschauer Pakt aufgelöst, weil sich die ehemals kommunistischen Mitgliedstaaten von der Sowjetunion lossagten.

"Grundakte" zwischen NATO und Russland

Statt sich selbst aufzulösen, definierte die NATO unter Führung der USA, dass sie weiterhin nötig sei, um militaristischen Nationalismus in Europa zu unterbinden und Demokratie und Menschenrechte in Europa zu garantieren. Der Feind Sowjetunion zerfiel.

Mit Russland wurde eine neue Art strategischer Partnerschaft angestrebt. 1997 unterzeichnen beide Seiten in Paris die "NATO-Russland-Grundakte", in der Russland kein Veto gegen die Ost-Erweiterung einlegt und die NATO garantiert, keine Truppen dauerhaft in neuen Mitgliedsstaaten zu stationieren.

Bereits 1991, als die Sowjetunion aufgelöst wurde, dachte der Präsident Russlands, Boris Jelzin darüber nach, ob sein Land nicht selbst der NATO beitreten sollte. Dieser Gedanke wurde 2000 noch einmal vom neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgegriffen.

Vor 25 Jahren: Die NATO bombardiert Jugoslawien

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Im zerfallenden Jugoslawien wird die NATO in den 1990er Jahren aktiv, um Bürgerkriege zu befrieden und Europa vor einer Eskalation zu schützen. In Bosnien-Herzegowina wird 1995 eine 60.000 Mann umfassende Friedenstruppe IFOR mit einem Mandat der Vereinten Nationen stationiert.

1999 bombardiert die NATO serbische Städte, um einen Rückzug serbischer und jugoslawischer Einheiten aus dem Kosovo zu erzwingen. Dort drohte nach Einschätzung der Vereinten Nationen eine humanitäre Katastrophe durch die systematische Vertreibung von Kosovo-Albanern.

Ein Mandat für einen Einsatz der NATO erteilen die Vereinten Nationen aber nicht. Die NATO mandatierte sich selbst, was völkerrechtlich höchst umstritten ist.

Im Kosovo stationiert die Allianz die KFOR-Truppe, die bis heute aktiv ist. Der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo ist auch 25 Jahre nach dem Bombardement ungelöst.

Der Ernstfall

Nach dem Terroranschlag gegen Ziele in den USA vom 11. September 2001 erklärte die NATO das erste und bisher einzige Mal den Bündnisfall. Nach Artikel 5 stehen alle NATO-Mitglieder dem angegriffenen Land bei, und zwar mit den Mitteln, die sie für angemessen halten.

Der Kampf gegen den Terrorismus wird die NATO 20 Jahre lang beschäftigen. Nach dem Fall des Taliban-Regimes zieht eine internationale Truppe unter NATO-Führung in Afghanistan ein, um das Land zu befrieden und eine Demokratie aufzubauen.

Der Plan scheitert im Sommer 2021 grandios. Unter chaotischen Umständen müssen die letzten internationalen Truppen die afghanische Hauptstadt Kabul verlassen. Die Taliban sind wieder an der Macht.

Kein Entkommen: US-Militärmaschinen heben am 16.08.2021 in Kabul ab, tausende Afghaninnen und Afghanen bleiben verzweifelt zurück. Bild: AP/picture alliance

Die NATO gerät in eine schwere Sinnkrise. Der amerikanische Präsident Donald Trump hält die NATO für obsolet. Er will höhere Verteidigungsausgaben mit mehr Druck auf die Verbündeten durchsetzen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hält die NATO wegen möglicher mangelnder Bündnistreue der USA für "hirntot". Er will den europäischen Teil der NATO stärken.

Zurück auf Anfang: Russland ist wieder Feind

Die Frage nach Sinn und Aufgabe der NATO beantwortet der russische Präsident Wladimir Putin. Spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist der Allianz klar, dass Russland der Feind und die Landesverteidigung wieder die Hauptaufgabe der NATO sein werden - so wie bei der Gründung 1949.

Gespielte Harmonie: Beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008 sitzt Putin (3.v.li.) noch mit an der Festtafel. Im Vordergrund Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident BushBild: Vladimir Rodionov/dpa/picture-alliance

Putin spricht sich spätestens seit 2008 gegen eine Osterweiterung der NATO aus. Die Allianz sagt diesen Schritt aber im April 2008 der Ukraine und Georgien zu, allerdings ohne konkreten Daten.

1999 hatte die NATO, damals noch mit Billigung Russlands, Polen, Tschechien und Ungarn aufgenommen. 2004 folgten die drei baltischen Staaten, die einst Sowjetrepubliken waren, sowie die Slowakei, Slowenien, Rumänien und Bulgarien.

Putin, der zunehmend autokratisch regiert, fühlt sich umzingelt. 2014 lässt er die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim annektieren und steuert russische Separatisten in der Ostukraine.

Die NATO reagiert mit der Stationierung von kleinen "Kampfgruppen" an ihrer Ostflanke und erhöht die Einsatzbereitschaft einer Eingreiftruppe. Die Erweiterung geht unterdessen weiter. Kroatien, Albanien, Montenegro und Nordmazedonien treten der Allianz bei.

Helfen, so lange es nötig ist: der ukrainische Präsident Selenskyj beim NATO-Gipfel in Vilnius 2023Bild: Mindaugas Kulbis/AP Photo/picture alliance

Schweden und Finnland stärken Allianz

Nach dem Angriff auf die Ukraine 2022 stellen auch das bisher neutrale Finnland und Schweden Beitrittsanträge. Beide Staaten sind nach anfänglicher Opposition aus der Türkei und Ungarn inzwischen aufgenommen worden.

Die NATO hat nun 32 Mitglieder, 20 mehr als bei ihrer Gründung vor 75 Jahren. Wichtigste Aufgabe ist wieder die Territorialverteidigung.

Die Mitglieder der NATO, nicht die Organisation selbst, versprechen der Ukraine, sie zu finanziell zu unterstützen und auszurüsten, bis Russland den Krieg beendet. Das Bündnis will unbedingt verhindern, von Russland als Kriegspartei angesehen und angegriffen zu werden. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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