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Kultur: Nach 1945 machten Hitlers Günstlinge Karriere

Gaby Reucher
6. Mai 2025

Wieland Wagner, Herbert von Karajan oder Arno Breker: Viele Musiker, Künstler und Bildhauer profitierten vom Nationalsozialismus. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg machten sie Karriere. Wie konnte das passieren?

Ausstellung «Die Liste der "Gottbegnadeten"» mit zwei Büsten im Vordergrund und einem Großgemälde im Hintergrund.
Arno Breker-Büsten des Sammler-Ehepaars Irene und Peter Ludwig. Hier in der Ausstellung "Die Liste der 'Gottbegnadeten'". Breker arbeitete als Bildhauer auch für die Nationalsozialisten.Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Beispiele gibt es viele. Hitlers großer Architekt und späterer Rüstungsminister Albert Speer beispielsweise verbüßte zwar 20 Jahre Haft wegen seiner NS-Vergangenheit. In den 1970er Jahren aber schrieb er erfolgreich Bücher über sein Leben im Nationalsozialismus. Wieland Wagner, Zögling von Adolf Hitler, machte sich in den 1950er Jahren als großer Bühnenerneuerer der Bayreuther Festspiele einen Namen und Herbert von Karajan, der gleich zweimal in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) eintrat (einmal in Österreich und einmal in Deutschland), wurde nach dem Krieg als einer der größten Dirigenten aller Zeiten gefeiert.

Der Komponist Richard Strauss, der Dirigent Wilhelm Furtwängler, die Bildhauer Arno Breker und Willy Meller, sie alle haben vom Nationalsozialismus profitiert und konnten bis auf Ausnahmen fast nahtlos nach Kriegsende wieder an ihre Erfolge aus der NS-Zeit anknüpfen. Ihre Namen standen auf der sogenannten Liste der "Gottbegnadeten", die Adolf Hitler im August 1944, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs, noch zusammenstellen ließ. Diese begünstigten Personen aus dem kulturellen Leben standen unter besonderem Schutz und wurden nicht zum Militärdienst eingezogen.

Wilhelm Furtwängler dirigiert 1936 die Berliner Philharmoniker. Unter den Gästen Hitler und andere Nazigrößen.Bild: The Print Collector/Heritage Images/picture alliance/dpa

Der Übergang in die Demokratie nach dem Krieg

Wer Hitler so nah stand, musste ab 1945 ein sogenanntes Entnazifizierungsverfahren der Alliierten durchlaufen. Wilhelm Furtwängler durfte erst nach zwei Jahren Berufsverbot seine Berliner Philharmoniker wieder offiziell dirigieren. Die Bayreuther Festspielleiterin Winifred Wagner konnte ihre Position nach 1945 nicht behalten und musste die Leitung abgeben. 

"Es war im Zuge der Demokratisierung ein Sicherheitsverfahren, bei dem die Menschen sehr genaue Fragebögen ausfüllen mussten, um festzustellen, wer in welchen Berufen bleiben darf", erläutert die Historikerin Hanne Leßau im Gespräch mit der DW. Das galt besonders für öffentliche Bedienstete oder hochrangige Personen. Falsche Angaben in den Fragebögen, etwa zum Eintritt in die NSDAP, wurden gerade von den amerikanischen Alliierten hart bestraft.

Der Fall Wieland Wagner

Auch Wieland Wagner stand auf der Gottbegnadeten-Liste der Nationalsozialisten. Sein Großvater, der Komponist Richard Wagner, hatte die berühmten Bayreuther Festspiele gegründet, die 1876 zum ersten Mal stattfanden. 1908 übernahmen Sohn Siegfried Wagner und später die Schwiegertochter Winifred Wagner die Leitung. Bereits in den 1920er Jahren unterstützte das Ehepaar Adolf Hitler, noch bevor dieser an die Macht kam.

"Hitler hatte freundlichsten Familienanschluss. Wieland, der Erstgeborene von Siegfried und Winifred Wagner, war als designierter Kronprinz im Zentrum der Aufmerksamkeit und durch Hitler persönlich privilegiert", sagt Sven Friedrich, Leiter des Richard Wagner Museums in Bayreuth. Für Friederich war der Bühnenbildner und Opernregisseur ein typischer Vertreter seiner Generation. "Er tut genau das, was Millionen seiner Altersgenossen auch getan haben, er verdrängt alles. Er hat nach dem Krieg immer gesagt: 'Hitler ist für mich erledigt'."

An Hitlers Seite: Winifred Wagner und Sohn Wieland WagnerBild: akg-images/picture alliance

Da ist oft die Rede vom Einzelnen, der in einem totalitären System ja nichts ausrichten könne, sagt Hanne Leßau. In ihrem Buch "Entnazifizierungsgeschichten" beschäftigt sich die Historikerin damit, wie Menschen mit ihrer eigenen NS-Vergangenheit umgehen. Bei ihren Recherchen hat sie erfahren, welche Handlungsspielräume es in der Diktatur gab. "Menschen konnten sich zum Beispiel in Position bringen, um im negativen Sinne jemand anderen zu verdrängen. Sie konnten aber auch kleine Widerstände leisten, indem sie etwa Zwangsarbeitern heimlich Brot zusteckten."

Wieland Wagner gehörte zu denen, die das NS-System zu ihren Gunsten nutzten. Er wollte seinem Konkurrenten, dem erfolgreichen Bühnenbildner Emil Preetorius schaden. "Für mich ist die Grenze immer da, wo Leute Dinge zu ihrem eigenen Vorteil machen, die sie nicht hätten tun müssen. Bei Wieland Wagner war das der Umstand, dass er Emil Preetorius denunziert hat, um ihn loszuwerden", sagt Wagnerexperte Sven Friedrich. Dennoch kam Wieland Wagner im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens mit einem Bußgeld davon und übernahm zusammen mit seinem Bruder Wolfgang nach dem Krieg die Leitung der Bayreuther Festspiele. Mit seinen kargen, abstrakten Bühnenbildern erschuf er das sogenannte Neu-Bayreuth.

Probe zu Wagners Oper "Tristan und Isolde": Mit kargen abstrakten Bühnenbildern und emotionalen Lichteffekten schuf Wieland Wagner das sogenannte "Neu-Bayreuth".Bild: Karl Schnörrer/dpa/picture alliance

Neuanfang in der Kultur nach 1945?

2021 hat Wolfgang Brauneis die Ausstellung "Die Liste der ‚Gottbegnadeten Künstler' des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik" kuratiert. Er war bei Nachforschungen darauf gestoßen, das zahlreiche renommierte Akteure des nationalsozialistischen Kunstbetriebs auch nach 1945 hauptberuflich als bildende Künstler in der Bundesrepublik arbeiteten. "Der neue progressive Kunstbetrieb hat diese Künstler eigentlich ignoriert", sagt Brauneis im Gespräch mit der DW. "Diese Künstler bekamen dennoch nach 1945 im öffentlichen Raum, in Rathäusern, in Schulen, in Theatern oder Krankenhäuser und in der Industrie unfassbar viele Aufträge, die gut bezahlt wurden", sagt der Kunsthistoriker und Kurator. Die Vergangenheit spielte hier keine große Rolle, zumal auch einige Auftraggeber einen nationalsozialistischen Hintergrund hatten.

Künstler wie Hermann Kaspar oder Willy Meller profitierten in beiden Systemen. Willy Meller schuf im Auftrag der Nationalsozialisten die Monumentalfigur eines Fackelträgers für die NS-Ordensburg Vogelsang. 1962 präsentierte er im Rahmen eines Wettbewerbs seine Großskulptur "Die Trauernde" zur Eröffnung der NS-Gedenkhalle Oberhausen.

Wie konnte das passieren?

Proteste gegen diese Künstler gab es kaum. "Es hat sich keiner gemeldet, der interveniert hätte in der Kunstgeschichtsschreibung oder Kunstkritik", sagt Kunsthistoriker und Kurator Wolfgang Brauneis. 

Besonders prekär sind für Brauneis Aufträge zur Ausstattung von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, die an Künstler aus der NS-Zeit vergeben wurden. So im Fall der "Trauernden" von Willy Meller. "Da steht man vor dem ersten NS-Dokumentationszentrum, das 1962 in Oberhausen eröffnet wurdel, und dann wird eine monumentale Figur von einem der wichtigsten Vertreter aus dem Nationalsozialismus enthüllt. Das ist unbegreiflich."

In Oberhausen ist die Arbeit von Willy Meller heute von überdimensionalen Erklärungstafeln umstellt, die Zusammenhänge erklären. "Auf diese Weise steht die Arbeit an sich nicht mehr so im Zentrum", sagt Brauneis. Für ihn ein positives Beispiel der Geschichts-Aufarbeitung - das allerdings selten ist. 

Umstritten: "Die Trauernde" von Willy Meller mit ausführlichen Informationstafeln Bild: Ant Palmer/FUNKE Foto Services/IMAGO

Wie man heute mit den "Gottbegnadeten" umgehen sollte

Nach der Ausstellung zur "Gottbegnadeten"-Liste gab es viel Aufmerksamkeit für das Thema. In der lokalen Presse wurde an Stadträte appelliert zur Aufklärung über diese Werke beizutragen. "Ich habe den Eindruck, nach den drei Jahren ist das alles wieder in den Hintergrund geraten. Man lässt viele dieser Skulpturen dann doch so unkommentiert stehen", bedauert Wolfgang Brauneis. "Wenn da nichts getan wird, kann man wirklich das ein oder andere Werk abbauen. Diese Künstler werden sonst immer noch geehrt, indem ihre großen Arbeiten im öffentlichen Raum stehen."

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