Japan will sich nicht ewig entschuldigen
14. August 2025
Trotz des runden 80. Jahrestages verzichtet Japan am Freitag (15.08.) auf eine offizielle Regierungserklärung zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Pazifik. Am 15. August 1945 hatte der damalige Kaiser Hirohito Japans Kapitulation im Radio verkündet. Premierminister Shigeru Ishiba gibt keine persönliche Erklärung am Jahrestag ab, wenn auch möglicherweise später. Damit bricht der Regierungschef mit der 1995 begonnenen Praxis, dass das Kabinett zu jedem zehnten Jahrestag eine Stellungnahme veröffentlicht.
1995 hatte der damalige Premier Tomiichi Murayama sich als erster japanischer Regierungschef "für Kolonialherrschaft und Aggression von ganzem Herzen entschuldigt" und seine "tiefe Reue" ausgedrückt. Das Außenministerium in Tokio veröffentlichte die Stellungnahme auch in Chinesisch, Koreanisch und Englisch.
Abkehr vom Pazifismus
Ishibas Verzicht überrascht auch, weil Japan sich in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik neu ausgerichtet hat. Sein Kabinett hätte diesen Kurswechsel anlässlich des 80. Jahrestags erklären können. Immerhin hat sich die Inselnation de facto von ihrer pazifistischen Außenpolitik, die sie als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg darstellte, verabschiedet.
Die japanischen Ausgaben für Verteidigung werden bis 2027 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Hinter den USA, China und Deutschland ist Japan die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Tokio weichte auch das selbst auferlegte Verbot von Waffenexporten auf. Anfang August sicherte sich Mitsubishi Heavy Industries Japans den ersten Rüstungsgroßauftrag seit dem Krieg und stach dabei die deutsche Thyssenkrupp Marine Systems aus. Der Konzern baut für umgerechnet 5,6 Milliarden Euro elf Fregatten für die australische Marine.
Mit seinem Schweigen nimmt der 68-jährige Premier Ishiba Rücksicht auf den konservativen Flügel der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP), um nach der verlorenen Oberhauswahl im Juli seine Position als Regierungs- und Parteichef nicht zu gefährden. Die LDP-Rechten meinen, dass Japan mit dem Statement vom damaligen Premier Shinzo Abe im Jahr 2015 alles Notwendige zum Kriegsende gesagt hätte.
Am 70. Jahrestag hatte Abe die Entschuldigungen seiner Vorgänger Tomiichi Murayama (1995) sowie Junichiro Koizumi (2005) bekräftigt, aber weitere Abbitten abgelehnt. "Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Kinder, Enkel und sogar die noch künftigen Generationen, die mit diesem Krieg nichts zu tun hatten, durchgehend gezwungen sind, sich zu entschuldigen", sagte Abe.
"Flucht vor der Verantwortung"
In dieser Aussage erkennt der deutsche Historiker Torsten Weber vom Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio eine "Schlussstrich-Mentalität". "Aus deutscher Sicht wirkt sie wie eine Flucht vor der Verantwortung oder gar eine Leugnung der Schuld, aber im ostasiatischen Kontext ist diese Haltung durchaus nachvollziehbar", sagt Weber im Interview mit der Deutschen Welle. Viele Japaner würden sich als Opfer überzogener Kritik aus China und Südkorea sehen, weil diese Länder ihre Geschichte "nationalistisch und anti-japanisch instrumentalisierten". Eine intensivere Auseinandersetzung mit den Kriegsursachen und den eigenen Kriegsverbrechen würde auch zu einer kritischen Hinterfragung der Rolle des Tennos und der kaiserlichen Familie während des Kriegs führen. Das wäre für die breite Öffentlichkeit in Japan ein Tabubruch, meint Weber.
Ideologischer Kampf um Schulbücher
Nach der Murayama-Entschuldigung 1995 setzten sich rechtskonservative Gruppen wie Nippon Kaigi und die Japan Society for History Textbook Reform dafür ein, den Zweiten Weltkrieg gegenüber der Jugend revisionistischer darzustellen. In der Folge genehmigte das Bildungsministerium in Tokio mehr Schulbücher mit entsprechenden Inhalten. Sie stellen Japan als Opfer dar, das sich gegen ausländische Aggression verteidigen musste, und beschönigen oder verschweigen eigene Kriegsverbrechen. Über die 2018 zu einem vollwertigen Unterrichtsfach hochgestufte "Moralbildung" erreichen solche Darstellungen auch Kinder im Grund- und Mittelschulalter.
Vor zwei Jahren änderten einige Verlage ihre Schulbücher zur Schlacht von Okinawa. Damals marschierten die US-Soldaten auf die südjapanische Insel Okinawa im April 1945 ein. Die Insel galt als die letzte Verteidigungslinie von Japan. In den Lehrbüchern wird die Schlacht dargestellt, dass japanische Zivilisten Massensuizide begingen, weil sie von den "US-Militärangriffen in die Enge getrieben wurden". Die Textpassagen erwähnen die Rolle japanischer Streitkräfte nicht mehr, dass das japanische Militär selbst die japanischen Zivilisten zum Suizid drängte und sie als menschliche Schutzschilde benutzte. Trotz der rechtskonservativen Beeinflussungen stellt die Mehrheit der tatsächlich benutzten Schulbücher in Japan den Weltkrieg aber immer noch vergleichsweise neutral dar.
Liberale Zeitung kritisiert Ishiba
Regierungschef Ishiba bekannte sich in der Vergangenheit zur Auseinandersetzung mit Japans Kriegsvergangenheit. Nach seinem Amtsantritt im Jahr 2024 sagte er Vertrauten, der 80. Jahrestag werde "der letzte große Meilenstein sein, solange noch Menschen leben, die den Krieg erlebt haben". Vor diesem Hintergrund kritisierte ihn die liberale Zeitung Asahi dafür, aus Angst vor einer Anti-Ishiba-Bewegung in der LDP an dem historischen Datum zu schweigen. "Mit Murayama hatte Japan einen Premierminister, der bereit war, sein Amt zu riskieren, um eine solche Erklärung abzugeben", schrieb die Zeitung. "Heute hat Japan einen Premierminister, der auf eine Erklärung verzichtet, um nicht aus dem Amt gedrängt zu werden."
Trotz solcher intensiven Medienberichterstattung zu den Jahrestagen, in Japan "August-Journalismus" genannt, kann einer Umfrage zufolge über ein Viertel der Befragten das Datum des Kriegsendes nicht nennen. "Aufgrund der Rolle von sozialen Medien im Medienkonsum ist davon auszugehen, dass dieser Anteil weiter zunehmen wird", meint Historiker Weber.