80 Jahre nach Kriegsende: Wenden sich die USA von Europa ab?
7. Mai 2025
Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht. Der Zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit dem deutschen Einmarsch in Polen begonnen hatte, war in Europa zuende; in Asien ging er noch einige Monate bis zur Kapitulation Japans weiter. Adolf Hitler hatte wenige Tage zuvor im "Führerbunker" in Berlin Selbstmord begangen.
Die Bilanz des Krieges stellte an Grauen alles bisherige in den Schatten: Rund 60 Millionen Tote weltweit, sechs Millionen von den Nationalsozialisten ermordete Juden, weite Teile Europas zerstört, Millionen Menschen verschollen oder vertrieben.
Mit dem Untergang des nationalsozialistischen Deutschlands entstand 1945 eine neue, bipolare Ordnung in Europa und darüber hinaus, die gut 40 Jahre bestehen sollte. Während des Krieges hatten die westlichen Alliierten - die USA, Großbritannien und Frankreich - noch mit der Sowjetunion zusammengearbeitet, um gemeinsam den Sieg zu erringen.
Aber noch vor Kriegsende zeigten sich Spannungen: Die Westmächte standen für Demokratie, sie strebten ein freies Bündnis mit den besiegten Staaten an, während die Sowjetunion alle bei ihrem militärischen Vormarsch besetzten Länder einem kommunistischen System unterwarf.
1947 verkündete US-Präsident Harry Truman das, was später die Truman-Doktrin genannt wurde. Es gehe für die USA jetzt darum, "freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen". Ziel war, die Expansion der Sowjetunion aufzuhalten. Europa wurde geteilt in eine sowjetische Ost- und eine amerikanisch dominierte Westhälfte.
Auf den Schutz der USA war Verlass
Deutschland wurde zum Brennpunkt dieses Gegensatzes: Eine Grenze ging bald mitten durch das Land und durch Berlin. Es war die Zeit des Kalten Kriegs. Die gegenseitige Abschreckung zwischen den beiden atomaren Militärblöcken der NATO unter Führung der USA und des Warschauer Pakts unter sowjetischer Herrschaft sorgte dafür, dass er nicht offen ausbrach. Allerdings stand die Welt mehrmals kurz vor einem Atomkrieg.
Die Bundesrepublik, der westliche Teil des bis 1990 geteilten Deutschlands, konnte sich als Teil der NATO auf den Schutz der USA verlassen.
Das blieb auch so nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation 1989/90, der deutschen Wiedervereinigung und der Auflösung der Sowjetunion. Einige Jahre sah es so aus, als würde sich der gesamte Kontinent einschließlich Russlands friedlich und demokratisch entwickeln. Immer mehr Länder, die früher zur Sowjetunion gehörten, traten der NATO bei. Auch der unabhängigen Ukraine wurde zugesagt, sie könne irgendwann zur NATO gehören.
Trump wechselt die Seiten
Spätestens seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 sind die Illusionen geplatzt. Einer der Grundsätze der bisherigen Ordnung, dass Grenzen nur noch friedlich verändert werden dürfen, gilt nicht mehr.
Auf der anderen Seite stellt US-Präsident Donald Trump den Schutz der NATO infrage. "Wenn sie (andere NATO-Länder) nicht zahlen, werde ich sie nicht verteidigen", sagte Trump im März noch einmal ausdrücklich.
"Wir stehen mitten in einem historischen Umbruch, vergleichbar den großen politischen Zäsuren im 20. Jahrhundert, besonders jener von 1945 und 1989/91", schreibt der Historiker Norbert Frei von der Universität Jena der DW. "Die nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem von den USA begründete transatlantische Ordnung, von der Deutschland - zuerst im Rahmen der westeuropäischen Einigung, dann aber auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Integration Osteuropas - in besonderem Maße profitiert hat, löst sich vor unseren Augen auf."
Sein Kollege, der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker, sagt der DW, die Präsidentschaft Trumps habe gezeigt, "dass die Europäer unter Hinweis auf die Amerikaner ihre eigene Verteidigung vernachlässigt haben". Trump habe eine Illusion zerstört.
Der Republikaner Trump war nicht der erste Präsident, der den Europäern mehr eigene Verteidigungsausgaben abverlangt. Schon 2016 sagte der Demokrat Barack Obama: "Europa war manchmal zu selbstgefällig bei seiner Verteidigung."
Aber Trump geht viel weiter. Im Ukraine-Krieg stellt er sich inzwischen praktisch auf die Seite Russlands. Die Ukraine soll bei einem Friedensschluss weder ihr gesamtes Territorium zurückbekommen noch der NATO beitreten können. Gute Nachrichten sind das für Russlands Präsident Wladimir Putin. "Das gesamte euroatlantische Sicherheitssystem zerbröselt vor unseren Augen", sagte Putin schon im vergangenen Jahr.
Merz will "Unabhängigkeit" von Washington
Manche in Deutschland hoffen für eine Zeit nach Trump auf eine Rückkehr zur alten transatlantischen Ordnung. Ob das realistisch ist? Norbert Frei ist skeptisch: "Wieviel davon nach einer Präsidentschaft Trumps noch übrig sein wird, lässt sich derzeit kaum sagen - und noch weniger, ob danach noch etwas rekonstruiert werden kann."
Sein Rat für die Bundesregierung: "Deutschland ist seit Konrad Adenauers Politik der unbedingten Westbindung fest verankert in Europa. Und Deutschland sollte jetzt alles dafür tun, dass die Europäische Union notfalls auch ohne die USA politisch, ökonomisch und militärisch bestehen kann."
Das sieht auch Deutschlands neuer Bundeskanzler Friedrich Merz so. Europa müsse sich sicherheitspolitisch von Amerika unabhängig machen, sagte er gleich nach der Bundestagswahl.
Ein Gedanke, vor dem Manfred Görtemaker warnt: "Die Unabhängigkeit von den USA ist eine völlige Illusion." Ein eigener Weg der Europäer werde nicht funktionieren, "denn die atomare Abschreckung muss weiter durch die Amerikaner gewährleistet werden. Sinnvoll ist also eine Rückkehr zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa auf der Basis eines neuen realpolitischen Kalküls."
Er hoffe sehr, dass Merz als Bundeskanzler möglichst bald nach Washington reise und "dass diese Zusammenarbeit, die ja in der Vergangenheit immer sehr gut funktioniert hat, tatsächlich weitergeht".
Mehr Europa als Ersatz für eine USA, auf die man sich 80 Jahre nach Kriegsende nicht mehr verlassen kann? Oder doch ein neuer Schulterschluss mit Washington? Diese Frage wird die neue Bundesregierung beantworten müssen.