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Glaube

„86 Jahre habe ich ihm gedient“

23. Februar 2018

„Dieser zerstört unsere Götter“: Christian Feldmann von der katholischen Kirche erinnert an den Märtyrer Polykarp von Smyrna und dessen bemerkenswertes „Outing“ zu Jesus Christus.

Türkei, Ruinen in Smyrna (Izmir)
Ruinen der Agora des antiken Smyrna, dem heutigen Izmir in der TürkeiBild: picture-alliance

Es ist eine der frühesten Reportagen aus der Christentumsgeschichte, und sie liest sich wie das Drehbuch zu einem historischen Thriller: Um das Jahr 155, es kann auch zehn Jahre später gewesen sein, das Datum ist nicht sicher, wird der greise Bischof der kleinasiatischen Hafenstadt Smyrna – heute das türkische Izmir – zur Hinrichtung geführt. Er trägt den Namen Polykarp und ist ein Schüler des Apostels Johannes, der Jesus noch persönlich gekannt hat, mit ihm durch Galiläa gewandert ist und Mahl gehalten hat. Am 23. Februar ist sein Festtag.

„Schwöre ab!“

Polykarp „hätte fliehen können, aber er wollte es nicht“, heißt es in dem Augenzeugenbericht. Als die Häscher ihn erblickten, „waren sie betroffen über sein hohes Alter und seine Ruhe darüber“. Als Polykarp in die Rennbahn hineingeführt wurde, „war ein solcher Lärm, dass man nichts verstehen konnte. […] Als er vorgeführt wurde, wollte ihn der [römische] Prokonsul bereden zu verleugnen und sagte: ,Bedenke dein hohes Alter‘, und: ,Schwöre beim Glücke des Kaisers! Gehe in dich, sprich: ,Weg mit den Gottlosen!‘‘ [Er meinte die Christen.] Polykarp aber schaute mit finsterer Miene über die ganze Masse der in der Rennbahn versammelten heidnischen Scharen hin, streckte die Hand gegen sie aus seufzte und sprach ,Ja, weg mit, den Gottlosen!‘ Der Prokonsul aber drang noch mehr in ihn und sprach: ,Schwöre ab und ich gebe dich frei, fluche Christo!‘ Da entgegnete Polykarp: „86 Jahre diene ich ihm, und er hat mir nie ein Leid getan; wie könnte ich meinem König und Erlöser lästern?“

„Da schrie die ganze Menge der Heiden in unverhohlener Wut: ,Dieser ist der Zerstörer unserer Götter‘. […] Die Volksmassen trugen auf der Stelle aus den Werkstätten und Bädern Holz und Reisig zusammen. Sofort wurde das Material, das für den Scheiterhaufen zubereitet war, um ihn herumgelegt. Sie banden ihn fest. Mächtig loderte die Flamme empor, er aber stand in der Mitte nicht wie bratendes Fleisch, sondern wie Brot, das gebacken wird, oder wie Gold und Silber, das im Ofen geläutert wird.“1

Sich als Christ outen

Der Bericht über Polykarps Märtyrertod ist echt; die Gemeinde von Smyrna verschickte die Nachricht, die zu den ältesten Märtyrerakten gehört, an die Gemeinde zu Philomelium. Gestorben ist der greise Bischof übrigens an einem Dolchstoß, weil ihn die Flammen des Scheiterhaufens angeblich nicht verletzten.

Es lohnt sich, über die schaudererregende Geschichte nachzudenken. Uns schleppt niemand zum Scheiterhaufen, weil wir unsere Kinder taufen lassen oder am Grab ein Vaterunser beten. Zumindest in Europa passiert uns nichts. Aber manchmal kostet es tatsächlich Mut, uns als Christen zu bekennen. Wenn am Stammtisch über Menschen auf der Flucht geredet wird, als handle es sich um Ungeziefer. Wenn beim Geburtstagsfest in der Familie alle über den alkoholkranken Onkel herziehen und keiner danach fragt, wie man ihm helfen kann. Wenn ein lieber Mensch gestorben ist und niemand ein Wort der Hoffnung sagt.

Im Dschungelcamp und in der Talkshow kann das „Outing“ nicht bizarr genug sein, jeder schaut gebannt zu. Sich als Christ zu outen, ist möglicherweise auch nicht ganz uninteressant – und könnte ein Segen sein.

1 Bibliothek der Kirchenväter, Märtyrerakten, Martyrium des Hl. Polykarp, www.unifr.ch/bkv/buch54.htm.

 

Bild: privat

Christian Feldmann, Theologe, Journalist, Rundfunkautor, 1950 in Regensburg geboren, publizierte mehr als 50 in viele Sprachen übersetzte Bücher, vor allem Porträts klassischer Heiliger und frommer Querköpfe aus Christentum und Judentum.