Monopoly: Geschichte eines gestohlenen Spiels
19. März 2025
Sie träumte von einer Welt, in der Gerechtigkeit herrscht und in der Reichtum und Land gleichmäßig verteilt sind. Elizabeth Magie Phillips lebte Ende des 19. Jahrhunderts in den USA - und ihr Traum ist bislang nicht wahr geworden. Auch ihr Spiel wird heute anders gespielt, als sie es sich wohl erhofft hatte. Bei ihr hieß es nicht "Monopoly", sondern "Landlord's Game".
Alle spielen, alle gewinnen
"In Magies Monopoly-Version gab es zwei Regelsets: Eins, indem es darum ging, Monopole aufzubrechen. Und eins, in dem es darum ging, zu zeigen, wie schädlich Monopole sind. Letzteres sind die Regeln, mit denen wir heute spielen", sagt Mary Pilon, Autorin des Buches "The Monopolists". Nur liegt der Fokus heute nicht, wie von Magie vielleicht erhofft, auf der Betrachtung des Schädlichen als schädlich.
Das "idealistische" Regelset basierte auf der Theorie der Einheitssteuer des US-amerikanischen Ökonomen Henry George (1837- 1897), der vorschlug Land zu besteuern, und zwar hoch, um dann die Einnahmen umzuverteilen. In Magies "Landlord’s Game" sollten demnach alle Spielerinnen und Spieler Abgaben auf ihren Besitz zahlen. Wenn also jemand Geld verdiente, wurden die Gewinne umverteilt, sodass am Ende alle etwas davon haben.
Dieses Regelset setzte sich aber nie durch. Dafür aber das, was wir heute spielen: Wer am Ende am meisten Besitz und Geld angehäuft hat, gewinnt. Wer pleite geht, verliert.
1904 meldete Magie ein Patent für das "Landlord's Game" an. Das Spiel verbreitete sich unter Studierenden an der Ostküste und bekam schließlich den Namen Monopoly.
Dreiste Kopie eines Verkäufers
In den 1930er Jahren spielte eine Gruppe Quäker eine Partie mit dem arbeitslosen Verkäufer Charles Darrow. Darrow war begeistert. Er kopierte das Spiel, gab es trotz Patent als seine eigene Kreation aus und verkaufte die Rechte an den Spielehersteller Parker Brothers.
Über 275 Millionen Exemplare sollen laut Hersteller bis 2010 weltweit verkauft worden sein. Magies antikapitalistisches Spiel machte den arbeitslosen Verkäufer zum Millionär - sie selbst ging leer aus.
Dass diese Geschichte überhaupt ans Tageslicht kam, ist der Autorin und Journalistin Mary Pilon zu verdanken. 2009 arbeitete sie an einem Artikel für das Wall Street Journal über Monopoly. Doch während ihrer Recherche wurde sie skeptisch: Sie konnte keine Primärquellen finden.
"Das Patent von Darrow war viel zu professionell und künstlerisch für einen arbeitslosen Verkäufer", sagt Pilon im Gespräch mit der DW. "Und niemand konnte mir die richtigen Daten sagen. War es 1924, 1931 oder doch 1934?"
"Es war alles eine Lüge"
Die einzige lebende Person, die zu diesem Zeitpunkt von Monopolys wahrer Geschichte wusste, war der Wirtschaftsprofessor Ralph Anspach, Erfinder eines Anti-Monopoly Spiels. Anspach befand sich in den 1970er Jahren wegen seines Spiels in einem Rechtsstreit mit Parker Brothers und fand so zufällig heraus, dass nicht Charles Darrow, sondern Elizabeth Magie Monopoly erfunden hatte.
"Ich habe 40 Jahre lang darauf gewartet, dass jemand mich fragt", soll Anspach laut Pilon gesagt haben, als sie Kontakt mit ihm aufnahm. Schnell wurde Pilon klar: Alles, was sie im Internet über die Geschichte von Monopoly gelesen hatte, war falsch. So wurde aus ihrem Artikel ein Buchprojekt, für das die Journalistin fünf Jahre durch Archive in den USA reiste.
Auf den Spuren von Lizzie Magie
Elizabeth Magie Phillips wurde 1866 in Macomb, Illinois, in einen politischen Haushalt geboren. Schon der Vater warb in seiner Zeitung für die Abschaffung der Sklaverei, die erst ein Jahr vor Magies Geburt ratifiziert wurde.
Auch Magie engagierte sich politisch, Jahrzehnte bevor Frauen in den USA wählen durften. Als sie um 1890 mit ihrer Familie nach Washington D.C. zog, trat sie ganz im Geiste von Henry George dem "Woman's Single Tax Club" (Frauenclub für die Einheitssteuer) bei.
Magie arbeitete in Washington D.C. als Stenographin bei der Post. Sie trug ihr braunes, gelocktes Haar in einem Kurzhaarschnitt und zeichnete sich durch vielfältige Hobbys und Berufe aus: Sie publizierte Essays, Gedichte und Kurzgeschichten, stand im Theater auf der Bühne und patentierte im Alter von 26 Jahren ein von ihr erfundenes Gerät, mit dem Papier leichter durch Schreibmaschinen glitt.
Irgendwann schenkte der Vater ihr eine Ausgabe von Henry Georges "Fortschritt und Armut". In dem Werk legt George den Grundstein für Magies Spiel, als er schreibt: "Was jede Zivilisation vor uns zerstört hat, war die ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht". Ein Satz, der Magie inspirierte.
Höhepunkt der sozialen Ungleichheit
Das Washington, in dem Magie Ende des 19. Jahrhunderts lebte, war geprägt von der Industrialisierung, von Ungleichheit und Aufbruch. Laut Zensus wuchs die Stadt innerhalb von nur zwanzig Jahren von 178.000 auf fast 280.000 Einwohner im Jahr 1900 an. Während Industriemagnaten wie John D. Rockefeller, Andrew Carnegie und J.P. Morgan Reichtum anhäuften, lebte die Arbeiterklasse in prekären Verhältnissen.
Magie sprach sich gegen diese Lebensrealität aus: In einem ihrer Gedichte beschrieb sie das sich industrialisierende Washington als einen "dunklen und tristen Ort", an dem "alle egoistisch sind".
Über ihr "Landlord's Game" sagte sie in einer Ausgabe der "Single Tax Review" im Jahr 1902: "Es ist eine praktische Demonstration des gegenwärtigen Systems von Landraub mit allen [...] Konsequenzen. Es hätte auch 'Das Spiel des Lebens' heißen können, weil es alle Elemente des Erfolgs und Misserfolgs in der echten Welt enthält, und das Ziel ist dasselbe wie das der Menschheit im Allgemeinen, nämlich die Anhäufung von Vermögen."
Lizzie Magie kämpfte für ihr Spiel
Ironischerweise häuften Charles Darrow und Parker Brothers ein Vermögen durch ihr Spiel an - mitten in einer Weltwirtschaftskrise. Magie, die zu diesem Zeitpunkt bereits eine ältere Dame war, erfuhr davon in der Presse.
"Lizzie war wütend", erzählt Pilon. Und sie wehrte sich. Sie wendete sich selbst an die Presse, mit dem originalen Spielbrett und ihrem Patent, für das sie damals ein paar hundert Dollar bekommen hatte.
Daraufhin machte der Spielhersteller mit ihr einen Deal, den Ralph Anspach laut Pilon später eine "Vertuschung" nannte: Parker Brothers bot Magie an, als Entschädigung zwei Spiele von ihr zu veröffentlichen. "Aber es gibt keine Beweise dafür, dass das jemals passiert ist", sagt Pilon. "Bis heute erkennt Parker Brothers immer noch nicht an, dass Lizzie die Erfinderin von Monopoly ist."
Was Magie wohl über die heutige Zeit denken würde? Eine Zeit, in der die soziale Ungleichheit wächst und Politiker wie Donald Trump Monopoly mit der Welt spielen? Laut aktuellen Daten von Oxfam besitzt das oberste Prozent der Weltbevölkerung mehr Vermögen als die unteren 95 Prozent zusammen.
"Lizzie würde bestimmt sehr kritisch auf die Gegenwart blicken, vor allem auf die soziale Ungleichheit", sagt Pilon. Elizabeth Magie starb 1948, im Alter von 81 Jahren, in Staunton, Virginia. Sie lebte zwar lange genug, um den Erfolg ihres Spiels zu sehen, nicht aber, um die Anerkennung ihres Werks zu erleben.