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90 Jahre nach Penicillin: Artilysine statt Antibiotika

3. September 2018

Am 3. September 1928 hat Alexander Fleming zufällig das Penicillin entdeckt. Schon damals warnte er vor Resistenzen. Nun gibt es Artilysine - antibakterielle Moleküle, gegen die Bakterien nicht resistent werden.

Alexander Fleming
Alexander Fleming experimentierte mit Bakterien-Kulturen in Petri-SchalenBild: Getty Images

Es war ein Zufallsfund: Als der britische Mediziner Alexander Fleming am 3. September 1928 von einem Urlaub nach Hause kam und seine zuvor angesetzten Bakterienkulturen überprüfte, stimmte damit scheinbar etwas nicht.

Ein Laborfehler führte zur Entdeckung

Schimmelpilze waren unbeabsichtigt in eine Staphylokokken-Kultur eingedrungen und hatten diese zurückgedrängt. Das war die Entdeckung des Penicillins.

"Fleming hat für unser Gesundheitswesen Großes geleistet", sagt der Molekularbiologe Martin Grießl. "Heutige Organtransplantationen oder die Chemotherapien wären ohne Penicillin in diesem Umfang gar nicht möglich."

Aber noch etwas ist Grießl bei der Würdigung von Flemings Lebensleistung wichtig: "Er hat in seiner Dankesrede zum Nobelpreis schon vor Antibiotika-Resistenzen gewarnt, die wir heute ja deutlicher sehen als je zuvor. Er hat also neben seinen wissenschaftlichen Leistungen auch großen Weitblick erkennen lassen."

Dr. Martin GrießlBild: Lysando

Grießl arbeitet mit demStart-up Unternehmen Lysando 

daran, dass diese gefährliche Schwäche der heutigen Antibiotika überwunden wird. Und vielleicht könnte es schon zum 100. Jahrestag der Entdeckung von Penicillin soweit sein, dass es auch neuartige Therapien für Menschen auf dem Markt gibt, die keine Resistenzen mehr bilden. 

Mehr zu Bakteriellen Infektionen: Die Syphilis ist wieder da

Natürlich vorkommende Eiweiße – zielgenau modifiziert

Die Moleküle der Zukunft nennen sich Artilysine. Das sind im Labor nach Bedarf modifizierte Lysine - Eiweiße, die von Bakteriophagen gebildet werden. Bakteriophagen wiederum sind Viren, die auf Bakterien als Wirtszellen spezialisiert sind.

"Lysine kommen vielfältig in der Natur vor" erklärt Grießl. "Bakteriophagen verwenden Lysine, um die Zellwand ihrer Wirtszelle zu lysieren [aufzulösen] - sich quasi aus dem Zellinneren ihren Weg nach außen zu bahnen."

Die Artilysine gestaltet Lysando für ganz spezifische Anwendungen und jeweils wirksam gegen bestimmte Krankheitserreger. Sie destabilisieren die Zellwand der Bakterien und zerstören die Zellen. 

Dabei sind Artilysine keine Antibiotika. Die Moleküle sind gut 100 mal größer und funktionieren nach einem vollkommen anderen Wirkmechanismus. 

Wirksam gegen fast alle Arten von Bakterien

Artilysine können gegen beide großen Bakterien-Klassen wirken: gramnegative und grampositive. Die Moleküle können sehr sparsam eingesetzt werden.

Besonders wichtig: Auch gegen persistente Zellen – also Erreger, denen es gelingt, sich vor der Immunantwort des Körpers zu verstecken – wirken Artilysine. 

"Wir haben im Moment um die 450 Prototypen entwickelt und auf Lager. Sie sind für ganz bestimmte Keime und Anwendungsfelder gedacht", sagt Grießl. Die Forscher können Moleküle bauen, die für jedes Anwendungsfeld und jeden Keim spezifisch sind.

So lassen sich etwa Artilysine herstellen, die sehr breit gegen viele Bakterientypen wirken. Diese könnte man etwa bei einer Sepsis einsetzen, einer Blutvergiftung also, bei der das Leben des Patienten in Gefahr ist und es keine Zeit gibt, um den Erreger erst aufwändig zu bestimmen.

An anderer Stelle – etwa bei einer weniger dramatischen Hautinfektion – möchte man vielleicht nur einen Keim abtöten und das Mikrobiom - also die natürliche Bakterienvielfalt der Haut – erhalten. Weil auch das Mikrobiom vor Infektionen schützt, hilft es dabei, eine Neuinfektion zu verhindern.

Bakterien in einem Biofilm: Artilysin greift die Zellwand an und zerstört die KeimeBild: Imago/Science Photo Library

Kein Angriff auf den Metabolismus der Zellen - keine Resistenzen

Aber wieso bilden Bakterien gegen diese neuartige Molekül-Klasse eigentlich keine Resistenzen aus? Anders als Antibiotika setzen die Artilysine an der Zellwand an. Die können Bakterien aber nur sehr schwer umbauen – sie mutieren dort praktisch nicht. Antibiotika wirken hingegen am Metabolismus der Bakterien. Mit Hilfe von Mutationen im Erbgut können sich Bakterien anpassen – die Bildung der Resistenz. Artilysine hingegen wirken vollständig unabhängig vom Metabolismus.  

Zudem halten sich die Artilysine in der Umwelt nicht sehr lange. "Artilysine sind ganz normale Proteine, und überall in der Umwelt kommen Proteasen vor, die die Proteine abbauen" sagt Grießl. "Auch Umwelteinflüsse helfen, die Proteine zu zerlegen, und diese sind dann irgendwann einfach nicht mehr vorhanden." Damit können die Bakterien in der Umwelt sich auch nicht daran anpassen. 

Langwierige Zulassungsprozesse

Und wenn die neuartigen antibakteriell-wirkenden Moleküle nun schon existieren und so gut funktionieren, warum gibt es sie dann noch nicht als Medikament?

Das hat etwas mit den langwierigen und komplexen Zulassungsverfahren zu tun. "Es gibt natürlich viele Regularien, bis man Moleküle auf den Markt bringen kann. Einerseits wird immer nach Innovationen gerufen, aber die Regularien verhindern die Innovation dann", sagt Grießl.

Im Falle der Artilysine geht es trotzdem schrittweise voran: "Für Medikamente dauert der Prozess sehr lange. Es gibt aber andere Anwendungsfelder, wo es schneller geht." Ein solcher Bereich könnte etwa die Tiermedizin sein. Zwar gibt es auch dabei strenge und aufwändige Regeln für die Zulassung, aber so kompliziert wie in der Humanmedizin ist das Verfahren dann doch nicht. 

Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen
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