1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Karlspreis an Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt verliehen

9. Mai 2024

In dramatischen Zeiten für die jüdische Gemeinschaft geht eine der wichtigsten europäischen Auszeichnungen an einen Rabbiner. Wer ist Pinchas Goldschmidt?

Deutschland, Aachen | Internationaler Karlspreis 2024
Karlspreis an Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt verliehenBild: Henning Kaiser/dpa/picture alliance

Der Aachener Karlspreis gilt als eine der ehrenvollsten Auszeichnungen Europas und wird Persönlichkeiten oder Institutionen zugedacht, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben. Seit 1950 bekamen ihn die Gründerväter des gemeinsamen Europas, auch Könige und Regierungschefs, Staatspräsidenten und Päpste, die Opposition in Belarus und das ukrainische Volk. Am 9. Mai geht der Preis erstmals an einen Rabbiner.

Deutschland ehrt Rabbiner Goldschmidt

02:20

This browser does not support the video element.

Pinchas Goldschmidt ist seit bald 13 Jahren Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER), der rund 800 orthodoxe jüdische Gelehrte angehören. Der 60-Jährige ist der wohl prominenteste Rabbiner Europas. "Das Karlspreisdirektorium will mit dieser Auszeichnung das Signal setzen, dass jüdisches Lebens selbstverständlich zu Europa gehört und in Europa kein Platz für Antisemitismus sein darf", heißt es in der Begründung.

"Eine Explosion von Antisemitismus"

"Die Realität ist leider genau umgekehrt", sagt Goldschmidt der Deutschen Welle. "Wir haben seit dem 7. Oktober geradezu eine Explosion von Antisemitismus." Der Terror der islamistischen Hamas gegen Israel brachte den größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust. An die 1200 Menschen wurden ermordet, tausende verletzt, rund 240 wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel reagiert seitdem mit einer großangelegten Militäroffensive in Gaza. 

Viele Synagogen in Deutschland werden rund um die Uhr bewacht Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Seither nimmt in vielen Teilen der Welt Judenhass zu. Jüdische Eltern, sagt Goldschmidt, hätten Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Jüdische Männer, Jugendliche und Kinder scheuten sich, mit einer Kippa als Kopfbedeckung über die Straße zu gehen. Jüdisches Leben findet oft unter Polizeischutz statt.

Antisemitismus, so der Rabbiner, "wurde wieder salonfähig und politisch korrekt". Das müsse sich wieder ändern. Die Regierungen müssten deutlich machen, dass sie Judenhass nicht akzeptierten, "nicht im Schulwesen, nicht auf der Straße, nicht in der Kultur". Solange offener Judenhass geduldet werde, "haben wir ein schweres Problem". Wenn Goldschmidt da "wir" sagt, meint er nicht etwa allein oder vorrangig die Jüdinnen und Juden. Für ihn geht es um die Zukunft Europas.

Zur europäischen Geschichte der Familie Goldschmidt gehört das Grauen von Auschwitz. Pinchas Goldschmidt wurde 1963 in Zürich geboren - weil die Großeltern wegen einer Erkrankung der Großmutter gerade noch rechtzeitig 1938 aus Wien in die Schweiz übersiedelten. Seine Urgroßeltern mütterlicherseits starben in Auschwitz, auch deren Geschwister, auch die Schwestern und Brüder seines Großvaters, mehr als 40 seiner Verwandten, sagt der Rabbiner. 

Flucht vor Putins Angriffskrieg

Von 1993 bis 2022 war Goldschmidt Oberrabbiner von Moskau. Wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 verließ er fluchtartig Russland, weil der Kreml die Religionsvertreter auf seine Linie verpflichten wollte. Seit seinem Abschied von Moskau hätten mehr als hunderttausend Juden Russland verlassen, erläutert der Rabbiner. "Die politische Situation in Russland wird immer schwieriger. Das Land kehrt zurück in die totale Isolation, in die Sowjetunion ohne Kommunismus. Und Antisemitismus ist wieder ein Teil der Regierungspolitik geworden."

"Das Ende kennen wir ja"

04:05

This browser does not support the video element.

Seitdem leben Goldschmidt und seine Frau, die sieben Kinder und zahlreiche Enkelkinder haben, in Jerusalem. In einem seit dem 7. Oktober 2023 veränderten Land. "Ich bin von einem Krieg in den anderen Krieg geraten", meint er. Krieg, sagt er, sei "schrecklich, eine der schrecklichsten Sachen, die die Menschheit erfunden hat". Aber Israel habe wie jedes Land das Recht auf Selbstverteidigung. Und in Gaza kämpfe Israel nicht gegen eine Armee, sondern gegen eine Guerilla-Truppe.

Und er kommt auf die Rolle des Iran, der die Hamas und die Hisbollah-Miliz, beide von der EU als Terrororganisationen eingestuft, stütze. "Es ist eine große Stunde für Europa. Europa muss sich wehren gegen diese Angriffe. Diese Angriffe gegen die Demokratie und die Freiheit, die von einer Seite aus Russland kommen und von der anderen Seite aus Iran."

Rabbiner Goldschmidt im Oktober 2022 zu Gast bei Papst FranziskusBild: Vatican Media/picture alliance

Eigentlich ist der vielsprachige Rabbiner ein Meister des Dialogs. Er steht mit vielen führenden Politikern im Austausch, war öfter im Kanzleramt zu Gast, besuchte mehrmals Papst Franziskus. Seitdem er Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz ist, etablierte er einen Dialog führender rabbinischer Gelehrter und muslimischer Imame aus europäischen und nordafrikanischen Ländern. Diverse Treffen und wachsendes Vertrauen, die es eher selten in die Medien schafften, aber ungemein wichtig sind. Die Rabbinerkonferenz hat inzwischen ihren Sitz im süddeutschen München.

Der Islam und Europa

"Anstatt den radikalen Islam zu bekämpfen, bekämpft man einfach die islamische Religion. Das ist ein großer, ein sehr großer Fehler", so Goldschmidt. Man müsse den radikalen Islam bekämpfen, aber es sei zugleich klar: "Der Islam als solcher kann ein wertvoller Bestandteil von Europa werden, wenn seine Gläubigen und Vertreter genauso europäische Werte wie Freiheit, Demokratie und Toleranz aktiv leben."

Ein Festtag für Europas Rabbiner: Im September 2023 enthüllte Goldschmidt (vorne rechts) mit anderen das Büro-Schild der Europäischen Rabbinerkonferenz CER in München Bild: Leonhard Simon/Getty Images

Über den Karlspreis freut er sich. "Für mich persönlich wie für die jüdische Gemeinschaft in Europa ist gerade das ein schönes Zeichen. Denn wir wünschen uns mehr Unterstützung der jüdischen Gemeinden aus der Zivilgesellschaft. Es wäre so wichtig."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen