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Eine faire Chance für Abdullah Gül

Bahaeddin Güngör28. August 2007

Der neue türkische Präsident gehört zur regierenden religiös-konservativen AK-Partei. Doch er ist weltoffener als Regierungschef Erdogan. Deshalb verdient der neue Präsident eine faire Chance, meint Bahaeddin Güngör.

Bild: DW

Der 11. Präsident der Republik Türkei heißt Abdullah Gül. Der 56-jährige bisherige Außenminister und Weggefährte von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist der neue Hausherr im Präsidialpalast auf dem höchsten Hügel der Hauptstadt Ankara. Gül übernimmt ein Amt, das seit dem ersten Präsidenten und Gründer der modernen türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, geradezu symbolisch eine strikte Trennung von Staatsgeschäften und Religion garantiert. Es ist ein Bollwerk im Kampf gegen den Rückfall in Strukturen des alten Osmanischen Kalifats.

Die Angst vor einem zu großen Einfluss der Religiösen auf das politische Geschäft hatte in den vergangenen Monaten die Laizisten und allen voran die türkischen Streitkräfte auf den Plan gerufen, als Gül im Frühjahr von der religiös-konservativen Regierungspartei AKP als Präsidentschaftskandidat nominiert worden war. Die Warnungen vor einem Sturz der säkularen Grundordnung, die, so wie sie formuliert waren, unmissverständlich als indirekte Putschdrohung bezeichnet werden müssen, brachte unermüdlich Generalstabschef Yasar Büyükanit einen Tag vor der endgültigen Wahl Güls erneut zum Ausdruck.

Güls Präsidentschaft völlig legitim

Güls Aufstieg zum Präsidenten ist demokratisch völlig legitim. Die AKP war aus den vorzeitigen Parlamentswahlen im Zuge der Querelen nach der Verhinderung seiner Wahl im ersten Anlauf im Mai als strahlende Siegerin mit mehr als 46 Prozent der Stimmen hervorgegangen. Damit konnte keine Kraft mehr die demokratische Entwicklung aufhalten, nachdem die Bevölkerung die AKP als Regierungspartei, Erdogan als Regierungschef und Güls Kandidatur für das Präsidialamt bestätigt hatte.

Gerade diese Klarheit aber verpflichtet einerseits dazu, Gül eine faire Chance einzuräumen. Abzuwarten bleibt, was Gül mit dieser Chance anfängt. Wird er tatsächlich wie von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung erwartet ein überparteilicher Präsident sein? Oder wird er wie befürchtet sein Amt nur dazu benutzen, eine schleichende Islamisierung durch unkritisches Absegnen von Gesetzen und Verfassungsänderungen zu billigen? Wird er ein Wächter der säkularen Grundordnung sein? Oder wird er die von seinen Gegnern so genannten "hinterhältigen Feinde der nationalen und territorialen Einheit" ohne Widerstand frei schalten und walten lassen?

Aufhebung des Kopftuchverbots wäre falsches Signal

Mit dem Präsidententitel wird Gül auch zum Oberbefehlshaber der Armee. Er wird Universitätsprofessoren ernennen, ranghohe Richterposten und Schlüsselpositionen in Verwaltung und Diplomatie besetzen. Eine Machtfülle, die eine sehr schwere Last der Verantwortung für einen Staat bedeutet, der für Europa ebenso wie für die internationale Friedenspolitik von herausragender Bedeutung ist. Diese Bedeutung ist Grund genug für den Ausschluss von Verhalten und Handlungsweisen, die bei allen notwendigen Korrekturen der Verfassung die Fundamente der säkularen Republik nicht erschüttern dürfen. Andernfalls drohen in der Türkei neue Interventionen der Armee, neue Zwangspausen für Demokratie und Rechtsstaat und Störungen der empfindlichen innenpolitischen Balance.

Gül, Erdogan und die AKP wären gut beraten, sich den historischen und traditionellen Vorgaben der Republik zu fügen. Damit könnten die Ängste vor einer Umwandlung der Türkei in einen islamischen Gottesstaat beseitigt und der Vertrauensvorschuss Europas an die Regierenden gerechtfertigt werden. Die Aufhebung des Verbots von Kopftüchern in öffentlichen Ämtern als eine der ersten Amtshandlungen wäre das falsche Signal auch an Europa, wo beispielsweise Lehrerinnen das Kopftuchtragen gerichtlich untersagt ist.

Opposition und Armee brauchen Vernunft

Nicht zuletzt aber wäre auch den Laizisten und der Armee zu empfehlen, darauf zu schauen, was Verbote bisheriger islamistischer Parteien bewirkt haben. Insgesamt vier Parteien verbot das türkische Verfassungsgericht in den letzten 27 Jahren als "Zentrum für Aktivitäten gegen die laizistische und säkulare Verfassungsordnung". Am Ende sind die damals als junge Mitglieder in diesen Parteien aktiven Personen heute bis in höchste Regierungs- und Staatsämter aufgestiegen.

Was Gül verdient, ist eine faire demokratische Chance. Was seine laizistischen Gegner und die Armee brauchen, ist Vernunft. Sie sollten den Umgang mit der Demokratie erlernen. Demokratisch gewählte Parteien und Politiker sollten mit demokratischen Mitteln entmachtet werden. Doch dazu bedarf es statt Panikmache und emotionalisierender Verbalschlachten sinnvoller personeller und programmatischer Alternativen, die bislang nicht einmal in Grundrissen zu erkennen sind.

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