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Politik

Abgesang auf Martin Schulz

9. Februar 2018

Der Ausstieg von Martin Schulz aus der Politik der Sozialdemokratie in Deutschland fördert die immer gleichen Worthülsen der Politiker zutage. Für den Ex-Europapolitiker gehen indes Monate des Sturzflugs zu Ende.

Deutschland Präsentation der MCV-Motivwagen
So wird Martin Schulz von den Mainzer Karnevalisten gesehen: Als RohrkrepiererBild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Die Aussagen der SPD-Eliten zeigen deutlich die Zerrissenheit der Traditionspartei. Schulz ist weg - die Grabenkämpfe gehen weiter. Der Sprecher des konservativen Flügels in der SPD, Johannes Kahrs, spricht sich deutlich für einen Verbleib von Sigmar Gabriel im Amt des Bundesaußenministers aus. "Alles andere würde ich jetzt nicht mehr verstehen", erklärt der Sprecher des Seeheimer Kreises.

Gegenwind für den forschen Johannes Kahrs kommt von SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. "Lieber Johannes. Wir haben klar gesagt, dass wir NACH dem Mitgliedervotum über Personen reden", twittert Bartol.

Und die ehemalige Juso-Vorsitzende und SPD-Vorstandsmitglied Johanna Uekermann schreibt: "Sagt Bescheid, wenn dieser Männerzirkus vorbei ist. Ich hab's satt."

Warme Worte

Die SPD-Fraktionschefin und designierte Parteivorsitzende Andrea Nahles zollt Martin Schulz für den angekündigten Verzicht auf ein Regierungsamt Respekt und Anerkennung: "Wir alle wissen, wie schwer ihm diese Entscheidung nun gefallen ist, sich persönlich zurückzunehmen. Das zeugt von beachtlicher menschlicher Größe." Schulz habe in den Koalitionsgesprächen einen großen Verhandlungserfolg erzielt, sagte Nahles. Sie gehe davon aus, dass die SPD sich jetzt voll auf die inhaltliche Debatte konzentrieren könne.

Die geschäftsführende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sagte der Rheinischen Post: "Es zeugt von der höchsten politischen Tugend, persönliche Interessen hinter denen des Landes zurückzustellen." Kritisch merkte sie an: Nicht nur Schulz trage die Verantwortung für das schlechte Wahlergebnis und den nachfolgenden Zickzack-Kurs. Die SPD müsse das letzte Jahr "genau und ehrlich aufarbeiten: den Wahlkampf, die Aufstellung innerhalb der Partei und auch die Art und Weise des Umgangs miteinander". Es wäre falsch, das Ergebnis der Bundestagswahl und den Schlingerkurs der SPD nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen "nur einer Person in die Schuhe zu schieben".

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lobt den Entschluss des Parteichefs: "Martin Schulz stellt das Gelingen einer guten Regierung vor Amt und Person! Davor muss man Respekt haben. Wir werden an seinem Europa arbeiten!"

Der Strippenzieher aus dem Ruhrpott: NRW-SPD-Chef Michael Groschek Bild: picture alliance/dpa/M. Kusch

Treibende Kraft hinter dem Abgang von Schulz soll NRW-SPD-Chef Michael Groschek gewesen sein. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) schreibt, sei er der Anführer der Abteilung Attacke in der nordrhein-westfälischen SPD. Als Chef des mitgliederstärksten SPD-Landesverbands ist der 61-jährige ehemalige Marine-Soldat, der seit 44 Jahren in der SPD ist, ein einflussreicher Strippenzieher. Der Oberhausener mit dem kernigen Ruhrpott-Dialekt soll die treibende Kraft gewesen sein, um Martin Schulz zum Verzicht auf ein Ministeramt zu bewegen. Am Donnerstag hatte Groschek noch Schulz mühsam verteidigt, aber auch ein Glaubwürdigkeitsproblem mit dessen Ministerambitionen eingeräumt: "Ich kann die Gefühlswallung und manche Faust auf dem Tisch verstehen." Dennoch sagte auch er, Schulz gebühre für die Entscheidung großer Respekt.

"Verzeifelte Sozialdemokratie"

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bedauert die Umstände des Rückzugs von Martin Schulz. "Menschlich kann einem das für alle Beteiligten nur leid tun", sagte sie in Berlin. "Das ist eine besondere Art der Selbstgeißelung. Offensichtlich versucht die Sozialdemokratie mit einem Akt der Verzweiflung, die Reißleine zu ziehen, und opfert dafür auch den anständigen Umgang untereinander", so Göring-Eckardt.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sieht im Rückzug von Martin Schulz keine große Hilfe für die SPD. "Es wäre besser gewesen, Schulz hätte diese richtige Entscheidung souverän selbst getroffen und nicht erst unter Druck", sagte Wagenknecht. "Der SPD wird dieser Schritt aber auch nicht viel helfen."

Breite Ablehnung von Schulz

Ein Wechsel von Martin Schulz ins Außenamt trifft einer Umfrage zufolge bei den Deutschen überwiegend auf Ablehnung. Drei von vier Befragten (72 Prozent) hielten das für einen falschen Schritt, wie eine am Freitag veröffentlichte Forsa-Erhebung im Auftrag von RTL und n-tv ergab. 26 Prozent hielten es für richtig. Auch 60 Prozent der SPD-Anhänger wollen Schulz nicht in einer Regierung unter Angela Merkel sehen.

Entsprechend sind auch die Erwartungen an einen Außenminister Schulz: 54 Prozent aller Befragten geben an, er würde keine gute Arbeit machen, 35 Prozent er wäre ein guter Minister. Schulz selbst hatte zunächst gesagt, er würde einem Kabinett Merkel keinesfalls angehören.

Will die erste SPD-Parteivorsitzende werden: Andrea NahlesBild: Reuters/H. Hanschke

Aber auch die sich abzeichnende Beförderung von Andrea Nahles zur SPD-Parteichefin stößt nach einer Umfrage in der Bevölkerung überwiegend auf Skepsis. 52 Prozent der Befragten gaben in einer repräsentativen Forsa-Befragung für die TV-Sender RTL und N-TV an, sie hielten jemand anderes für diesen Posten für besser geeignet. 42 Prozent der Befragten trauen Nahles den SPD-Vorsitz hingegen zu. Unter den SPD-Anhängern sieht eine knappe Mehrheit (49 zu 47 Prozent) in Nahles eine gute Parteichefin.

Die SPD insgesamt kann in der Umfrage auch nicht davon profitieren, dass Andrea Nahles neben der Fraktionsführung auch den SPD-Vorsitz übernehmen soll. Wäre am Sonntag Wahl, erhielten die Sozialdemokraten wie in der Umfrage der Vorwoche 18 Prozent der Stimmen. "Ein positiver Nahles-Effekt ist für die SPD zumindest bislang nicht erkennbar", sagte Forsa-Chef Manfred Güllner. Die Union würde bei der Sonntagsfrage zwei Prozent einbüßen und käme auf 31 Prozent.

cgn/rb (afp, dpa, rtr) 

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