1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Deutschland ringt um härteren China-Kurs

19. September 2022

Deutschland rückt von seinem wichtigsten Handelspartner ab. Robert Habeck will das China-Geschäft weniger attraktiv machen. Die Wirtschaft hält dagegen.

 Containerschiff der Reederei COSCO wird am Container Terminal Tollerort im Hamburger Hafen abgefertigt.
Wieviel - und welche - Geschäfte mit China sind gut? COSCO Schiff im Hamburger Hafen Bild: intern + HHLA Presse/Thies Rätzke

Der Hamburger Hafen gilt als Deutschlands Tor zur Welt. Er ist vor allem ein Tor nach China. Der Wirtschaftsgigant aus Fernost ist der größte Kunde des Hamburger Hafens. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres kamen mehr als 1,3 Millionen China-Container in der Hansestadt an. Viele davon am Containerterminal Tollerort (Artikelbild).

Jetzt möchte sich der chinesische Reederei-Riese COSCO mit 35 Prozent an dem Terminal beteiligen. Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) möchte das auch: Damit würde der Containerterminal Tollerort für die größte Reederei der Welt zu einem bevorzugten Umschlagplatz in Europa. Aber Mitte August wurde bekannt: Das Wirtschaftsministerium in Berlin hat Bedenken gegen den Einstieg von COSCO in Hamburg. Die Bundesregierung, so berichtet die Nachrichtenagentur Reuters, sei uneins in der Frage, ob sie die Beteiligung genehmigen soll.

Der Streit um das COSCO-Engagement zeigt beispielhaft: Mit den Wirtschaftsbeziehungen zu China steht eine Säule des deutschen Geschäftsmodells in Frage. Nachdem sich die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas nach Russlands Angriff auf die Ukraine als Schwachpunkt erwiesen hat, ringt Deutschland um sein Verhältnis zu China: Wie umgehen mit einer Autokratie, die seit Jahren der größte Handelspartner Deutschlands ist, in dem rund 5000 deutsche Firmen aktiv sind? Wie umgehen mit dem Land, das EU-Dokumente zugleich als Partner, Konkurrenten und strategischen Rivalen bezeichnen - wobei sich die Gewichte immer stärker Richtung Rivalität verschieben?

Autokraten und Systemrivalen - Wladimir Putin und Xi Jinping Bild: Alexei Druzhinin/AP/picture alliance

"Ende der Naivität"

Robert Habeck, grüner Wirtschaftsminister und Vizekanzler, hat schon einmal eine "robustere Handelspolitik" gegenüber China angekündigt. Zum Abschluss der G7-Konferenz der Handelsminister erklärte Habeck Mitte September, "die Naivität gegenüber China ist vorbei".

Bereits Ende Mai hatte Habeck dem VW-Konzern Garantien für Investitionen in China verweigert. Ein Schock: Jahrzehntelang waren die Geschäfte deutscher Unternehmen in China mit Investitions- und Exportbürgschaften erleichtert worden. China-Experte Tim Rühlig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zum Kurswechsel: "Das könnte bald Methode sein. Deutsche Unternehmen dürften in naher Zukunft, wenn sie investieren wollen, wenn sie Handel mit China treiben, dies auf eigenes Risiko tun und nicht mehr auf staatliche Garantien und Absicherungen setzen können." Der deutsche Staat, so Rühlig im DW-Gespräch, wolle "keine Anreize mehr für deutsche Unternehmen setzen, das China-Geschäft auszubauen".

Die tun das trotzdem. Laut einer Studie von Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat die deutsche Wirtschaft im ersten Halbjahr rund zehn Milliarden Euro in China investiert - eine Rekordsumme, mit weitem Abstand. Allerdings konzentriert sich das auf einige Branchen: Vor allem Autohersteller und Chemiefirmen suchen weiter Anschluss an den chinesischen Markt, zeigt eine Mitte September veröffentlichte Studie der Rhodium Group. Allein auf die vier deutschen Industriegiganten VW, BMW, Mercedes und BASF entfällt ein Drittel der europäischen Direktinvestitionen in China, schreiben die Rhodium-Autoren.

VW gehört zu den größten Investoren in China Bild: Xing Yun/Costfoto/picture alliance

Überschätzte Abhängigkeit?

Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China, bestätigt den Befund der Rhodium-Experten, demzufolge 80 Prozent der europäischen Investitionen von gerade einmal zehn großen europäischen Unternehmen getätigt werden. Wuttkes Schlussfolgerung gegenüber der DW: "Damit zeigt sich, dass der Rest der europäischen Wirtschaftsfirmen China zwar nicht verlässt, sich aber momentan bei neuen Investitionen für andere Länder interessiert und auch an Diversifizierung denkt."

Wuttke gesteht die ausgeprägte Abhängigkeit der zehn großen europäischen Unternehmen von China ein. Und er sieht die Abhängigkeit bei den Importen von Seltenen Erden, Vorprodukten für die Pharmaindustrie oder für Photovoltaikanlagen. Für die Wirtschaft insgesamt aber hält er den Vergleich mit Russland für schief: "Wir haben eine Pipeline mit Öl und Gas aus Russland. Aus China haben wir eine Pipeline mit Spielzeug, Möbeln, Sportequipment, Kleidung, Schuhen. Die meisten dieser Produkte - ich würde sagen 90 Prozent - sind leicht replizierbar woanders."

Wichtig für die Energiewende: Solarzellen aus ChinaBild: dpa/picture alliance

Wie sieht es beim Export nach China aus? IW-Experte Matthes zufolge hängen daran rund drei Prozent der deutschen Arbeitsplätze. "Das sind über eine Million Jobs. Das ist eine erhebliche Zahl, steht aber in Relation zu den insgesamt über 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland", sagt Matthes gegenüber der DW. Der IW-Experte folgert: "Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ist die Abhängigkeit von China als Exportmarkt zwar relevant, aber sie ist nicht so groß, wie medial oft behauptet wird."

Grüne machen Druck

Dennoch: Innerhalb der Regierung machen vor allem die Grünen Druck beim China-Geschäft. Anfang September warnte Außenministerin Annalena Baerbock in einer Rede vor Unternehmensvertretern: "Das Prinzip Hoffnung - 'Mit diesen autokratischen Regimen wird es schon nicht so schlimm werden' - können wir uns nicht ein zweites Mal leisten." Die Grünen-Politikerin kündigte die Ausarbeitung einer China-Strategie an, als Teil der in Arbeit befindlichen Nationalen Sicherheitsstrategie: "Der deutschen Bundesregierung und mir ist wichtig, dass wir das, was wir aus unserer Russland-Abhängigkeit gelernt haben, in der China-Strategie verankern."

Im Wirtschaftsministerium wird nach Reuters-Informationen geplant, wie man Firmen dazu bringen kann, sich statt China anderen asiatischen Staaten zuzuwenden. Da stehen nicht nur die staatlichen Investitions- und Exportgarantien zur Disposition. Die bundeseigene KfW-Bank soll prüfen, ob sie nicht ihr China-Programm zurückfahren und stattdessen vermehrt Kredite für Geschäfte in Ländern wie Indonesien anbieten kann. Auf dem Prüfstand stehen zudem auch kleinere Programme wie etwa die Messeförderung.

Die deutsche Wirtschaft ist längst sensibilisiert. Bereits letztes Jahr hat der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) über die außenwirtschaftspolitische Zusammenarbeit mit Autokratien nachgedacht. Ergebnis: Ein "Diskussionspapier zur Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen im internationalen Systemwettbewerb". Die BDI-Autoren plädieren darin für ein "Konzept der verantwortungsvollen Koexistenz in der Außenwirtschaftspolitik und eine Zusammenarbeit mit klaren Grenzen".

Beim Tag der Industrie im Juni bekam Janka Oertel, China-Expertin beim Think-Tank European Council on Foreign Relations, ECFR, Gelegenheit, die anwesenden Manager vor den innenpolitischen Entwicklungen in China zu warnen: Lange habe in der chinesischen Politik die Wirtschaft im Vordergrund gestanden. Jetzt aber sei ganz klar: Politische Ziele stünden vor wirtschaftlichen Zielen.

Vielen Managern gehen die Kursänderungen im Wirtschaftsministerium dennoch zu weit. "Die staatliche Förderung und Absicherung des China-Geschäfts deutscher Unternehmen muss grundsätzlich erhalten bleiben", forderte der Hauptgeschäftsführer des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft (APA), Fridolin Strack, gegenüber Reuters. Auch chinesische Investitionen sollten aus Sicht des APA in Deutschland und Europa willkommen sein. Zum konkreten Fall des COSCO-Einstiegs im Hamburger Hafen allerdings wollte Strack sich nicht äußern.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen