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PolitikEuropa

"In Griechenland wurden Hunderte bespitzelt"

15. Dezember 2022

Immer länger wird die Liste derer, die mutmaßlich vom griechischen Staat abgehört wurden. Doch der öffentliche Aufschrei bleibt aus. So bleibt fraglich, wie sich der Skandal auf die Parlamentswahlen 2023 auswirken wird.

Eine Person hält ein Smartphone mit griechischen Schriftzeihen in der Hand
Auf griechische Smartphones wurde unbemerkt eine Spionagesoftware aufgespielt

"Sie haben drei kaputte Stühle und einen kaputten Tisch gefunden", sagt Kostas Vaxevanis, Chefredakteur der regierungskritischen griechischen Zeitung Documento und lacht. Dabei kann er einen leicht zynischen Unterton nicht unterdrücken. Trotz der klaren Verdachtslage sei die Staatsanwaltschaft erst jetzt zur Tat geschritten und habe die Athener Büros der israelischen Firma Intellexa durchsuchen lassen. Das Unternehmen vertreibt die illegale Abhörsoftware Predator, die in Griechenland seit dem Sommer 2022 für Schlagzeilen sorgt, nachdem sie auf Handys von Journalisten und Politikern gefunden wurde. "Sie haben diese Show veranstaltet, neun Monate, nachdem das mit Intellexa ans Licht kam. Natürlich haben sie nichts gefunden." Für Vaxevanis ist das nicht überraschend. Kaum jemand im Staatsapparat habe Interesse daran, dem sich immer weiter zuspitzenden Abhörskandal ernsthaft auf den Grund zu gehen.

Kostas Vaxevanis ist Investitgativjournalist und Chefredakteur der Zeitung DocumentoBild: Florian Schmitz/DW

Nach ersten Berichten über die illegale Überwachung des Investigativjournalisten Thanasis Koukakis und die vom Büro des Premierministers angeordnete Überwachung des Chefs der Oppositionspartei PASOK durch den griechischen Geheimdienst EYP, hatten Vaxevanis und sein Rechercheteam bis Anfang November weitere Vorfälle ans Licht gebracht. Sie veröffentlichten eine Liste mit 33 Namen, die mit Hilfe der illegalen Abhörsoftware überwacht worden seien. Darunter sind führende Mitglieder der Regierung wie Außenminister Nikos Dendias oder Entwicklungsminister Adonis Georgadis, aber auch Medienmogul und Schiffbauer Evangelos Marinakis und der ehemalige konservative Premierminister Antonis Samaras.

Inzwischen hat Documento die Liste noch erweitert. Betroffen sind Parlamentarier, Besitzer von namhaften Medienhäusern, Journalisten, Geschäftsleute sowie Personen aus dem Umfeld der Abgehörten. Auffällig ist, dass es sich nicht nur um inner- oder außerparteiliche Gegenspieler von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis handelt, sondern auch um Vertraute. "Es geht um Hunderte", antwortet Vaxevanis auf die Frage, wie viele Menschen insgesamt betroffen sind. Er vermutet, dass die Regierung Informationen über sie gesammelt habe, mit denen sie erpressbar seien. Daher würden viele sich nicht offiziell äußern, auch wenn ihre Handys mir Predator infiziert gewesen seien. 

Gezielte Angriffe auf Kritiker?

Obwohl der Skandal in Griechenland durchaus eine gewisse Öffentlichkeit erfährt, bleibt der große Aufschrei aus. "Die Regierung versucht, bei der Bevölkerung den Eindruck zu vermitteln, es sei keine ernste Sache", so Vaxevanis gegenüber der DW. Seit drei Jahren arbeite ein Kommunikationsteam im sogenannten Maximou, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, das mit "schmutzigen und gleichzeitig altbekannten" Techniken hantiere. Sobald Recherchen veröffentlicht würden, die ernsthafte Missstände der Regierung ans Licht brächten, streue man Nachrichten, um die Aufmerksamkeit auf Themen wie die öffentliche Sicherheit oder den Dauerstreit mit dem Nachbarland Türkei zu lenken.

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, hier bei einem Besuch in London im November 2021Bild: Justin Ng/Avalon/Photoshot/picture alliance

Außerdem würde man Journalisten öffentlich diskreditieren, so Vaxevanis: "Schon wieder versucht die Regierung den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei den Enthüllungen um eine Intrige handele. Als wir den Novartis-Skandal aufgedeckt haben, haben sie in den Medien verbreitet, es sei kein Skandal sondern die schlecht gemachte Recherche irgendeines Journalisten, die von der Opposition ausgehe." Vaxevanis war maßgeblich beteiligt an den Veröffentlichungen zum Novartis-Skandal, bei dem faule Deals zwischen ranghohen griechischen Politikern und dem Schweizer Pharmakonzern ans Licht kamen. 

Sorge im Ausland wächst

Die Regierung weist die Vorwürfe von sich, mit Predator in Verbindung zu stehen. Nach der Veröffentlichung der ersten 33 Namen sagte Regierungssprecher Giannis Oikonomou, der Bericht liefere keine Beweise. Trotzdem müssten die Anschuldigungen von den griechischen Behörden und der Justiz genau untersucht werden. Seitdem warten Vaxevanis und andere Journalisten, die über das Thema berichten, vergeblich auf Antworten.

Der Abhör-Skandal sorgt vor allem im Ausland für Unbehagen. Internationale Medien, darunter die New York Times und die französische Tageszeitung Le Monde, berichten regelmäßig über die Entwicklungen. Der sogenannte Pega-Ausschuss des Europäischen Parlaments, der den Einsatz von Spionagesoftware innerhalb der Europäischen Union untersucht, stellt in einem Bericht klar, dass in Griechenland die illegale Spyware Predator genutzt wird, um Bürger auszuspähen.

Die niederländische Europaabgeordnete Sophie in´t Veld, Berichterstatterin im Pega-Ausschuss, erklärte, dass es zwar keine definitiven Beweise gebe, aber alles darauf hindeute, dass Personen aus Regierungskreisen involviert seien. Sie kritisierte zudem die fehlende Kooperationsbereitschaft der griechischen Behörden.

Regierungspartei bleibt stärkste Kraft

Obwohl sich der Druck auf den griechischen Ministerpräsidenten deutlich erhöht, ist seine Partei, die Nea Dimokratia, weiterhin stabil. Laut Umfragen von Ende November 2022 hat sie seit dem Bekanntwerden des Skandals kaum an Punkten verloren und bleibt mit knapp über 30 Prozent stärkste Kraft. Dimitris Christopoulos, Dekan der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Athener Panteion-Universität, begründet dies damit, dass die Bevölkerung eher mit der wirtschaftlichen Situation zu kämpfen habe, als sich um illegale Abhörsoftware Sorgen zu machen: "Es ist nicht das größte Problem für die Menschen in Griechenland. Ich denke nicht, dass ein Abhörskandal in einem Land, das Probleme hat, wie wir sie hier vorfinden, eine so große Stellung einnimmt." 

Dimitris Christopoulos ist Dekan der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Panteoin-Universität in AthenBild: Florian Schmitz/DW

Dies bedeute aber nicht, dass kein Schaden für die Regierung entstanden sei. "Diese Regierung hat den Zusammenhalt verloren, den sie in Europa und in der internationalen Welt bisher genoss. Mitsotakis kann sein Gesicht nicht länger wahren", so Christopoulos.

Vor allem aber sieht der Politikwissenschaftler den amtierenden Ministerpräsidenten innerhalb der eigenen Partei geschwächt: "Bis zum Sommer haben Mitsotakis und sein Team die politische Agenda bestimmt. Diesen Vorteil hat er nun verloren." Doch die Nea Dimokratia sei widerstandsfähig und könne sich von dieser Krise erholen. Um dies zu erreichen, sei es auch denkbar, dass sich die Partei von Mitsotakis distanziere.