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Politik

INF: Trump kündigt, Europa schweigt

Teri Schultz AR
25. Oktober 2018

Dem Atomabrüstungsvertrag INF droht das Aus. Die NATO sperrt sich gegen eine diplomatische Lösung und gibt Russland die Schuld. Könnte ein Gipfel von Trump und Putin den Vertrag retten? Von Teri Schultz, Brüssel.

Auf dem militärischen Testgelände der US-Armee in Cape Canaveral (Florida) hebt im Mai 1988 eine Mittelstreckenrakete vom Typ Pershing II von der Startrampe ab
Bild: picture-alliance/dpa

Trotz der wiederholten Frage, ob die USA es noch einmal mit diplomatischen Mitteln versuchen sollten, den INF-Abrüstungsvertrag zu retten, blieb NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg dabei: Es sei Russlands Schuld, dass die Grundlage des Vertrages nicht mehr gelte, so Stoltenberg am Mittwoch. Kein Wort zu einer Verhandlungslösung.

Das zwischen den USA und der Sowjetunion 1987 geschlossene INF-Abkommen regelt, dass beide Mächte keine landgestützten, atomar bestückbaren Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern in ihren Arsenalen haben.

Aus Sicht der Europäischen Union ist das Abkommen ein "Beitrag zum Ende des Kalten Krieges, zum Ende des atomaren Wettrüstens". Der INF-Vertag sei "einer der Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur". Die Sprecherin der Europäischen Kommission, Maja Kocijancic, sagte, die USA und Russland müssten weiterhin einen konstruktiven Dialog führen, um den Vertrag zu erhalten und seine "vollständige und nachprüfbare Umsetzung zu gewährleisten", die für die Sicherheit Europas und der Welt von entscheidender Bedeutung sei.

Warum jetzt Aussteigen?

Dennoch hat kein europäisches NATO-Mitglied einen Sondergipfel gefordert, um über eine Kündigung des Vertrages durch US-Präsident Donald Trump zu debattieren. Dieser plötzliche Schritt hat viele überrascht. Erklärungen, was das Weiße Haus dazu gerade jetzt veranlasst hat, gab es bislang aus Washington nicht.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg: "Russlands Schuld"Bild: picture-alliance/dpa/F. Seco

Die USA werfen Russland seit längerem vor, mit der Entwicklung eines Marschflugkörpers mit dem Namen "9M729" gegen den Vertrag zu verstoßen. Nach Angaben von NATO-Generalsekretär Stoltenberg befürchten die Mitgliedsstaaten dadurch "Auswirkungen auf ihre Sicherheit". Allein der neue Raketentyp sei bedrohlich, nicht aber der plötzliche Ausstieg aus dem INF-Vertrag. Dennoch laufen seit Trumps Ankündigung am vergangenen Wochenende nervöse Diskussionen auf den Fluren des NATO-Hauptquartiers in Brüssel.

Katarzyna Kubiak, Expertin für Nuklear- und Rüstungskontrollpolitik bei der Londoner Denkfabrik "European Leadership Network", rät den Europäern, ihre eigenen Sicherheitsinteressen im Zusammenhang mit dem INF nachdrücklich zu unterstreichen - ein Abkommen, das noch beim NATO-Gipfel im Juli 2018 als "richtungsweisender Rüstungskontrollvertrag" bezeichnet wurde.

Bundesaußenminister Maas: Enttäuschung und BesorgnisBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Zwar hätten Deutschlands Außenminister Heiko Maas und der französische Präsident Emmanuel Macron ihre Enttäuschung und Besorgnis über Trumps Schritt zum Ausdruck gebracht, so Kubiak. Doch aus europäischen Hauptstädten kämen keine Signale des Missfallens und erst recht kein Druck, den Vertrag noch zu retten.

Trump-Tiraden verhindern

Auch hat sich keine europäische Regierung sich hinter die Behauptung von Trumps Sicherheitsberater John Bolton gestellt, dass einige von ihnen "sehr glücklich" über die Entscheidung des US-Präsidenten gewesen seien. Abrüstungsexpertin Kubiak räumt ein, dass einige NATO-Mitglieder Ärger mit der Trump-Administration auf jeden Fall vermeiden wollen. Die nationalen Interessen seien dann oft wichtiger, als für den INF einzutreten und so vielleicht Trumps Zorn auf sich zu ziehen.

Kubiak hält das für kurzsichtig: Die Länder könnten unter Druck geraten, neue Verteidigungsmaßnahmen zu entwickeln und auch umzusetzen. In der Trump-Administration werde laut darüber nachgedacht, der russischen "9M729" etwas entgegenzusetzen und außerdem neue seegestützte Marschflugkörper zu entwickeln.

US-Sicherheitsberater Bolton in Moskau: "Sehr glücklich über Trumps Entscheidung"Bild: Reuters/Russian Defence Ministry Press Service

"Es geht also nicht nur um die aktuelle Krise in Sachen INF", so die Expertin, "sondern auch darum, Krisen zu verhindern, die sich bei der Diskussion um Neu-Stationierungen in Europa entwickeln werden".

Ein Szenario zu dem es nach Angaben des NATO-Generalsekretärs nicht kommen wird: "Ich gehe nicht davon aus, dass die europäischen Partner als Antwort mehr Atomwaffen stationieren", sagte Jens Stoltenberg am Mittwoch in Brüssel.

ICAN warnt Europäer

Für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen - ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis - ist der INF-Streit ein mahnendes Beispiel. Er zeige, "dass sich die Europäer in Sicherheitsfragen nicht auf bilaterale Abkommen zwischen den USA und Russland verlassen sollten", sagt der ICAN-Beauftragte in der EU, Leo Hoffmann-Axthelm.

Seine Organisation setzt sich für die Verabschiedung des UN-Atomwaffensperrvertrags von 2017 ein, der von mindestens 50 Nationen ratifiziert werden muss. Erst dann wird er gültig. Hoffmann-Axthelm hofft, dass europäische Nationen die Vorreiter sein werden. Dies sei der bessere Weg, um Sicherheit in Europa zu gewährleisten.

"Der springende Punkt ist, das Atomwaffen-Tabu zu stärken", so der ICAN-Beauftragte. "Wir alle werden unter den schrecklichen Folgen leiden, wenn etwas schief geht", warnt er vor Verschiebungen beim nuklearen Gleichgewicht zwischen Russland und den USA.

Der frühere NATO-Top-Diplomat Jamie Shea, der jetzt in Brüssel bei der Denkfabrik "Friends of Europe" tätig ist, sieht da allerdings die Regierung in Moskau in der Pflicht: "Die Russen haben gesagt, dass der INF-Vertrag wichtig ist. Wenn sie wollen, dass er weiter gilt, sollten sie alles tun, um ihn zu befolgen."

Die Londoner Abrüstungsexpertin Katarzyna Kubiak hofft, dass die USA die formelle Benachrichtigung über den Austritt aus dem INF zurückhalten werden, bis Trump am 11. November den russischen Präsidenten Wladimir Putin trifft. Das wäre eine Chance für eine diplomatische Lösung. "Es ist nicht so, dass es keine Lösungen mehr gibt", sagte sie. Es sei aber die Frage, ob es auf beiden Seiten die Bereitschaft gibt, sich wirklich hinzusetzen und eine Lösung für das Problem zu erarbeiten.

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