Abschiebung mitten im Wahlkampf
12. September 2017Mehrere Monate lang waren Abschiebungen ausgesetzt - doch nun wird wohl wieder ein Flieger mit Afghanen Richtung Kabul starten. Nach Angaben von Flüchtlingshelfern soll am frühen Abend am Düsseldorfer Flughafen eine Maschine Richtung Hindukusch abheben. An Bord: mehreren abgelehnte Asylbewerber. Es ist offenbar ein extra für diesen Zweck gecharterter Jet, denn auf dem offiziellen Flugplan des Airports DUS ist keine Verbindung in die afghanische Hauptstadt verzeichnet.
Laut des nordrhein-westfälischen Flüchtlingsrats haben mehrere Bundesländer die Sammelabschiebung vorbereitet. Mindestens zwölf Afghanen, darunter vier aus Nordrhein-Westfalen, sechs aus Bayern und einer aus Hamburg, sollen demnach nach Kabul geflogen werden. Das nordrhein-westfälische Landesministerium für Flüchtlinge und Integration äußerte sich nicht dazu und das Bundesinnenministerium lehnt generell jede Aussage zu anstehenden Abschiebeaktionen ab.
150 Tote Ende Mai
Es wäre die erste Sammelabschiebung nach Afghanistan seit dem schweren Anschlag vom 31. Mai in Kabul in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft. Durch die Explosion waren mindestens 150 Menschen ums Leben gekommen, Hunderte wurden verletzt und es gab schwere Schäden auf dem Gelände der Botschaft.
Nach dem Anschlag hatten Bund und Länder die Abschiebungen nach Afghanistan auf drei Gruppen beschränkt: Straftäter, "Gefährder", denen die Sicherheitsbehörden einen Terrorakt zutrauen, und jene, die "hartnäckig ihre Mitarbeit an der Identitätsfeststellung" verweigern. Hilfsorganisationen lehnen Abschiebungen in das Land generell ab, weil sie die Situation in Afghanistan für lebensgefährlich halten.
Dass Ausgerechnet jetzt die Flüge an den Hindukusch wieder aufgenommen werden, halten Menschenrechtler und Opposition für ein Wahlkampfmanöver. "Man will ein Signal der Härte setzen, um kurz vor der Bundestagswahl im flüchtlingsfeindlichen Milieu nach Stimmen zu fischen", sagte der Geschäftsführer der Organisation "Pro Asyl", Günter Burkhardt, der Deutschen Presse-Agentur. Er warf Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und dessen Amtskollegen in den Ländern vor, die Lage in Afghanistan komplett zu ignorieren.
Zynismus-Vorwurf
Auch die Linke und die Grünen reagieren mit scharfer Kritik. "In ihrer rigorosen Abschiebepolitik hat die Bundesregierung sichtlich jede Scham verloren", sagt Innenpolitikerin Ulla Jelpke von den Linken. Mit dem geplanten Abschiebeflug gehe es de Maizière allein darum, vor der Bundestagswahl noch ein Zeichen zu setzen: "Das ist eine menschenrechtliche Kapitulationserklärung sondergleichen."
Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Luise Amtsberg, warf de Maizière "zynisches" Verhalten vor: "Afghanistan ist seit Anfang Juni dieses Jahres nicht sicherer geworden und das weiß auch die Bundesregierung."
Pro-Asyl-Chef Burkhardt warnt, die Sicherheitslage in dem Land habe sich enorm verschlechtert. Die US-Regierung habe gerade erst entschieden, ihre Militärpräsenz dort wieder auszubauen. Deutschland schiebe dennoch dorthin ab. "Das passt nicht zusammen", beklagte er. "Gegenläufig zur Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan wird versucht, hier ein Exempel zu statuieren." Dies sei nicht zu rechtfertigen.
Machtkampf zwischen Bund und Bayern?
Burkhardt sprach von einem "Machtkampf" zwischen de Maizière und dem CSU-Spitzenkandidaten, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, nach dem Motto: "Wer ist der härteste Sheriff in Deutschland?" Neben dem Versuch, rechte Stimmen zu fangen, gehe es den Innenministern wohl auch darum, Panik in der afghanischen Community zu schüren. "Die Abschiebungen führen zu einer enormen Verunsicherung unter den hier lebenden Afghanen", sagte Burkhardt.
Deutschland hatte im vergangenen Oktober ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan geschlossen, im Dezember wurde mit ersten Sammelabschiebungen an den Hindukusch begonnen, die dann nach dem Anschlag auf die Botschaft in Kabul weitgehend ausgesetzt wurden.
Unveränderte Zwischenbilanz
Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium verständigten sich im Anschluss darauf, zunächst ein neues Lagebild zu erstellen. Ein für Juni geplanter Abschiebeflug fand nicht statt - Medienberichten zufolge wegen der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit der deutschen Botschaft in Kabul.
In der Ende Juli vorgelegte Zwischenanalyse für Afghanistan nahm die Bundesregierung keine wesentlichen Veränderungen an ihrer Einschätzung vor. Die Sicherheitslage für die Menschen am Hindukusch sei regional unterschiedlich und hänge stark von individuellen Faktoren wie Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Beruf und Geschlecht ab, hieß es.
Auf Grundlage der Analyse entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seit Mitte August wieder uneingeschränkt über Abschiebungen nach Afghanistan. Der nächste turnusgemäße Lagebericht zu Afghanistan wird im Oktober erwartet.
AR/stu (dpa, AFP, KNA)