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Politik

Seehofer: Weiter nach Afghanistan abschieben

1. August 2021

Trotz des jüngsten Vormarschs der radikalislamischen Taliban will Bundesinnenminister Horst Seehofer an seiner bisherigen Linie festhalten. Das betonte der CSU-Politiker in einem Interview.

Bundesinnenministerium sitzt hinter Falschen an einem Tisch; Innenministerkonferenz in Rust
Horst Seehofer und seinen Innenministerium sehen keine "generellen Hindernisse" für Abschiebungen nach AfghanistanBild: Philipp von Ditfurth/dpa/picture alliance

"Wir verhandeln gerade mit Afghanistan, damit wir Straftäter weiterhin dorthin abschieben können", sagte Horst Seehofer der "Bild am Sonntag". "Wie will man denn verantworten, dass Straftäter nicht mehr in ihr Heimatland zurückgeführt werden können", so der Bundesinnenminister. Das gelte für alle Nationalitäten.

Zudem erwähnte Seehofer Möglichkeiten, um "die freiwillige Ausreise noch zu verstärken". Wenn ein Inhaftierter etwa einen Teil seiner Strafe erlassen bekomme, reise er möglicherweise freiwillig aus, sagte der Innenminister. "Wir sind im Gespräch mit allen Bundesländern, denn sie sind für Abschiebungen zuständig", fügte er hinzu.

Seehofer: Wieder mehr Abschiebungen nach der Pandemie

Seehofer kündigte an, dass die Zahl der Abschiebungen nach Ende der Pandemie wieder deutlich erhöht würden. "Die Corona-Zeit war nicht die Zeit für Abschiebungen. Da hat jedes Land auf dieser Welt Angst vor eingeschleppten Infektionen", sagte er. "Wir werden das nach Corona wieder deutlich steigern". Seehofer betonte: "Wir können uns nicht damit zufriedengeben, dass die Dinge schwierig sind. Wer kein Aufenthaltsrecht hat, muss das Land verlassen". Wer dieses Prinzip aufgebe, gebe den Rechtsstaat auf.

Im Bezug auf Afghanistan lassen sich nach Ansicht das Bundesinnenministerium trotz des Vormarsches der Taliban "keine pauschalen Aussagen zur Gefährdung Einzelner" treffen. So heißt es in einer Antwort des von Seehofers geleiteten Ministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen, aus der die Nachrichtenagentur AFP zitiert. Die Bundesregierung beobachte die Lage in Afghanistan "fortlaufend und sehr intensiv"; derzeit gehe sie nicht von "generellen Abschiebehindernissen" aus. 

Druck auf Kabul?

Zu einer Bitte der afghanischen Regierung, wegen der angespannten Situation auf Abschiebungen vorerst zu verzichten, schreibt das Innenministerium nur, hierzu würden weitere Gespräche geführt, auch auf EU-Ebene. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl setzt die Bundesregierung tatsächlich jedoch die afghanische Regierung unter Druck, Abschiebungen weiter zuzulassen.

"Ein Skandal": Grünen-Bundestagsabgeordnete Margarete Bause (Archivbild)Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Menschenrechte, Margarete Bause, kritisierte, die Regierung verharmlose die Lage in Afghanistan. Dies sei ein "Skandal". Bause begründete ihre Kritik auch mit einer Studie der kirchlichen Organisationen Diakonie und Brot für die Welt, wonach Abgeschobene in ihrer Heimat "gezielt bedroht werden". Zugleich verwies sie auf mehrere skandinavische Länder, die bereits einen Abschiebestopp verhängt hätten.

Landkreistag: "Keine deutschen Sonderwege"

Auch der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, bekräftigte die Forderungen. Es sei an der Zeit, die Lageeinschätzung zu revidieren "und in einem darauf folgenden Schritt auch die Abschiebepraxis", sagte Habeck der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS).

"Lageeinschätzung revidieren": Robert Habeck, Co-Vorsitzender der Grünen (Archivbild)Bild: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Der Deutsche Landkreistag verlangte indes, Deutschland und die EU müssten die Außengrenzen der Union sichern. "Den bedrohten Menschen in Afghanistan muss dringend im Land selbst oder in der Region geholfen werden", sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Kay Ruge der FAS. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen dürfe es keine "deutschen Sonderwege" geben.

2,9 Millionen Binnenvertriebene

Die Taliban, auf deren Konto zahlreiche tödliche Anschläge gehen, haben nach dem Abzug ausländischer Truppen weite Teile Afghanistans wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) gibt es mittlerweile rund 2,9 Millionen Binnenvertriebene im Land. In den Nachbarstaaten Pakistan und Iran leben demnach 1,4 beziehungsweise 0,8 Millionen Flüchtlinge. Der UN-Mission für Afghanistan zufolge wurden allein im Mai und Juni fast 2400 Zivilisten durch Terror und Gewalt verletzt oder getötet.

Vor diesem Hintergrund haben Asylbewerber aus Afghanistan auch zunehmend Erfolg vor deutschen Gerichten. Die Deutsche Presse-Agentur zitiert aus einem Schreiben des Bundesinnenministeriums an die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke, wonach von 4212 inhaltlichen Entscheidungen zwischen Januar und Mai 3203 zugunsten der Kläger ausfielen. Dies entspricht einer Erfolgsquote von 76 Prozent - während es im Vorjahreszeitraum noch knapp 55 Prozent waren.

ww/jj/sti (dpa, afp, rtr, kna)

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