Abschiebungen nach Syrien sorgen für Kritik
24. Oktober 2025
Millionen Syrer leben weiterhin in prekären Verhältnissen: Zerstörte Städte, kaputte Infrastruktur und fehlende Wohnungen prägen den Alltag. Dennoch plant die Bundesregierung, ein Abkommen mit der Übergangsregierung in Damaskus zu schließen, um die Rückführung syrischer Kriegsflüchtlinge zu beschleunigen. Ende September erklärte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), er wolle "noch in diesem Jahr eine Vereinbarung mit Syrien treffen und dann zunächst Straftäter und später Personen ohne Aufenthaltstitel abschieben".
Doch das dürfte leichter gesagt als getan sein - aus rechtlichen wie aus humanitären Gründen. "Syrien ist am Limit; die Kapazität, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, ist längst erschöpft", sagte Gonzalo Vargas Llosa, Leiter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) in Syrien, kürzlich der Süddeutschen Zeitung. "Wir haben es dort mit einer der größten Flüchtlingskrisen der Welt zu tun." Eine Rückführung weiterer Syrer würde die Lage nur noch verschärfen, warnte er.
Leben zwischen Ruinen und Hoffnungslosigkeit
Nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind rund sieben Millionen Menschen innerhalb Syriens auf der Flucht. Hinzu kommen etwa eine Million Kriegsflüchtlinge, die seit dem Sturz der Regierung von Baschar al-Assad im Dezember vergangenen Jahres aus den Nachbarländern Libanon, Jordanien und der Türkei zurückgekehrt sind. Im August erklärte das Bundesinnenministerium, dass seit Assads Fall rund 1300 Syrer aus Deutschland in ihre Heimat zurückgekehrt sind.
Sich selbst ein Bild von der Situation im Land machte sich kürzlich Tareq Alaows. Er war bereits 2015 nach Deutschland geflohen, weil er ein Kritiker des Assad-Regimes war. Heute ist er Sprecher der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Ende vergangenen Jahres reiste er für Recherchen nach Syrien. Die Einschätzung des UNHCR habe genau das bestätigt, was er dort gesehen habe, sagt er.
"Es gibt keine Wohnungen für Rückkehrer", so Alaows gegenüber DW. "Was ich in Damaskus gesehen habe, war, dass mehrere Familien eine Wohnung teilen, und die Wohnungen, die bestehen, auch unbezahlbar sind. Deswegen teilen sich vier oder fünf Familien vier- oder fünf-Zimmer-Wohnungen."
Die syrische Infrastruktur und die Lebensmittelversorgung müssen dringend wiederaufgebaut werden. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind 16,7 Millionen der insgesamt 25 Millionen Einwohner auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Unsicherheit und Gewalt prägen Alltag in Syrien
Die humanitäre Krise wird durch eine äußerst fragile Sicherheitslage verschärft - unter anderem, weil nach dem Krieg unzählige Schusswaffen im Umlauf geblieben sind. "Es gibt kaum noch einen Haushalt in Damaskus oder anderen Städten, in dem keine Waffe liegt", berichtet Alaows. "Und wenn die Lage eskaliert, kann das ganze Land explodieren."
Tatsächlich gab es bereits zahlreiche Gewalttaten gegen Minderheiten, darunter Drusen, Alawiten und LGBTQ-Personen.
"Was wir brauchen, ist langfristige Sicherheit im Land, dann würden viele Menschen freiwillig zurückkehren", sagt Alaows. Doch Menschen unter diesen Bedingungen zurückzuschicken, nur um "symbolische Politik" zu betreiben, werde die Lage in Syrien weiter verschlechtern und letztlich wieder neue Fluchtbewegungen auslösen.
In einer Stellungnahme gegenüber der DW bestätigte die Bundesregierung, dass sie mit der neuen syrischen Regierung unter der Führung des ehemaligen Rebellenkommandeurs Ahmed al-Scharaa im Kontakt stehe. "Das Bundesministerium des Innern hält es auch für geboten, dass Personen, die in Deutschland Straftaten begehen und über kein Aufenthaltsrecht verfügen, in ihre Heimatländer zurückkehren", heißt es in der Mitteilung weiter.
Doch selbst wenn ein Rückführungsabkommen zustande käme, würde dieses lediglich die praktischen Abläufe regeln - nicht aber bedeuten, dass sofort mehr Menschen abgeschoben werden könnten. "Auch ein solches Abkommen ändert nichts daran, dass jeder Einzelfall geprüft werden muss", sagt Valentin Feneberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Politik an der Leuphana Universität Lüneburg, der DW.
Wer in Deutschland Asyl beantragt, dessen Fall wird zunächst vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geprüft. Wird der Antrag abgelehnt, kann dagegen geklagt werden - und auch die Gerichte müssen jeden Fall individuell bewerten. Wer das Verfahren verliert, verliert seinen Aufenthaltsstatus. Doch die Entscheidung über eine tatsächliche Abschiebung ist davon getrennt - und die humanitäre Lage im Herkunftsland spielt dabei eine zentrale Rolle.
"Dass jemand eine Straftat begangen hat, heißt nicht automatisch, dass er abgeschoben werden kann", erklärt Feneberg. "Diese Entscheidung hängt immer von der Situation im Herkunftsland ab." Nach deutschem Recht darf also auch ein verurteilter Straftäter nicht abgeschoben werden, wenn ihm in seinem Land Folter, Hinrichtung oder andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen.
Rechtliche Grenzen der Abschiebung
Daniel Thym, Professor für Öffentliches, Europäisches und Internationales Recht an der Universität Konstanz, bestätigt dies, erwartet aber, dass künftig weniger Syrer in Deutschland Schutzstatus erhalten werden, da der Krieg formal beendet sei. "Dann stellt sich die politische Frage, welche Gruppen man priorisieren will", sagt Thym gegenüber der DW. "Und da erklären Politiker - verständlicherweise vielleicht -, dass man sich zunächst auf Straftäter konzentrieren will. Aber das ist eine politische Prioritätensetzung, keine juristische."
Der Plan, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen, stößt jedoch auch aus moralischen und wirtschaftlichen Gründen auf Kritik. "Wer jetzt Menschen nach Syrien abschieben will, ist nicht nur moralisch bankrott, sondern hat auch keinerlei Ahnung, weder von der Lage in Syrien noch von der hier in Deutschland", erklärt der Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, Jan van Aken, in einer Stellungnahme.
Immer mehr Syrer arbeiten inzwischen in Deutschland - ein wichtiger Beitrag angesichts der alternden Bevölkerung. Laut der Bundesagentur für Arbeit sind derzeit rund 236.000 syrische Staatsbürger in Beschäftigung und zahlen Sozialabgaben.
Juristische Realität trifft politische Rhetorik
Nach aktuellen Zahlen des Innenministeriums sind etwas mehr als 225.000 Menschen verschiedener Nationalitäten in Deutschland ausreisepflichtig. Rund 40.000 von ihnen sind Studierende, Beschäftigte oder Touristen, deren Visa abgelaufen sind.
Die Mehrheit besitzt jedoch den Status der sogenannten Duldung - das bedeutet, sie werden nicht abgeschoben, entweder weil sie keine gültigen Papiere haben, ihre Identität nicht eindeutig festgestellt werden kann, oder sie an Krankheiten leiden, die im Herkunftsland nicht behandelt werden können. Laut offiziellen Angaben leben derzeit etwa 9600 Syrer mit Duldung in Deutschland. Theoretisch jene Gruppe, die abgeschoben werden könnte.
Doch auch hier gibt es rechtliche Einschränkungen, wie Feneberg erklärt: "In Deutschland und Europa besteht die Möglichkeit, Schutz zu erhalten, wenn die humanitäre Lage im Herkunftsland so gefährlich ist, dass sie das Leben bedroht." Das könne auch dann gelten, wenn etwa extreme Armut im ganzen Land oder in bestimmten Regionen herrsche. "Das könnte - und das ist nur meine Prognose - künftig eine wichtige Rolle bei Entscheidungen über Syrien spielen."
Mit anderen Worten: Einschätzungen wie die des UNHCR und anderer internationaler Organisationen dürften weiterhin Einfluss auf die Urteile deutscher Gerichte haben.
Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.