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Politik

Brain Drain im Maghreb

8. Februar 2019

In den Maghreb-Staaten machen sich immer mehr gut Ausgebildete auf den Weg nach Europa. Dadurch verschlechtert sich die wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsländern zunehmend. Nun soll der Trend gestoppt werden.

Tunesien Proteste in Tunis
Recht auf Arbeit: Demonstration junger Tunesier in Tunis, Januar 2016Bild: Reuters/Z. Souissi

Die Zahlen sind alarmierend. Jahr für Jahr verließen über 600 marokkanische Ingenieure ihre Heimat, gab im Sommer 2018 Said Amzazi, Innenminister des nordafrikanischen Königreichs, bekannt - ein gewaltiger professioneller Aderlass, der der infrastrukturellen Modernisierung des Landes schwer zusetzt. Dabei sind die Ingenieure nur Teil eines viel umfassenderen Brain Drains, mit dem das Land zu kämpfen hat: Jedes Jahr kehrten dem Land auch rund 8000 Informatiker den Rücken zu, so der Präsident des Marokkanischen Verbandes für Informationstechnologie, Salwa Belkeziz-Karkari. Dies geschehe nicht zuletzt aufgrund der regen Abwerbepolitik französischer Unternehmer, die das Land regelmäßig besuchten, so Belkeziz-Karkari laut der Digitalzeitung "Morroco World News".

Besonders in den letzten Jahren habe sich die Entwicklung noch einmal zugespitzt, sagt Fatima Ait Madani, Migrationssoziologin am Institut für Afrikanische Studien in Rabat. "Die letzten drei Jahrgänge der Ingenieur-Hochschule sind komplett ausgewandert - insgesamt 750 Ingenieure.

Zudem mache sich in den letzten Jahren eine weitere neue Tendenz bemerkbar: "Es wandern nicht nur Studenten oder neue Absolventen aus, sondern auch bereits etablierte Arbeitskräfte. Sie arbeiten zwar bereits in Marokko, streben aber nach besserer Lebensqualität in Europa, vor allem nach besseren Bildungschancen für ihre Kinder", so Madani im DW-Interview.

Unter Druck: das marokkanische Gesundheitssystem, hier ein Krankenhaus in NadorBild: Getty Images/AFP

Algerische Ärzte in Europa und am Golf

Ähnlich sieht es auch in anderen Maghrebstaaten aus. In Tunesien haben seit 2011 rund 10.000 Ingenieure das Land verlassen. Zugespitzt hat sich die Situation besonders seit dem Jahr 2015, als viele Tunesier die Hoffnung auf ökonomische Verbesserung im Land aufgaben. Seitdem seien 69.000 Tunesier aufgebrochen, um anderswo Arbeit zu suchen, so Lorena Llando, Leiterin des Büros der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Tunis, laut der Nachrichtenagentur epd. Dies entspreche rund 1,7 Prozent der aktiven Bevölkerung.

In Algerien ist das Thema des Akademikerschwunds qua Auswanderung nun sogar zu einem Thema im Wahlkampf der für April angesetzten Präsidentschaftswahlen geworden. Allein in Frankreich arbeiten derzeit rund 15.000 algerische Ärzte, 4000 weitere haben Anträge gestellt, um das Land absehbar verlassen zu können. Die Gründe für den professionellen Aderlass lägen auf der Hand, so Mohamed Yousfi, Präsident des algerischen Verbandes im Öffentlichen Gesundheitswesen arbeitender Ärzte (SNPSSP). "Die Gehälter und Arbeitsbedingungen sind schlecht", so Yousfi gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Die algerischen Mediziner füllen die medizinische Wüste in westlichen Ländern wie Frankreich, Kanada und Deutschland. Auch in den Golfstaaten sind sie präsent", so Yousfi weiter.

Stagnierendes Gesundheitssystem

Zwar verfügt Algerien über ein breites staatliches Gesundheitssystem, in dem über 50.000 Ärzte arbeiten und 150.000 Betten bereitstehen. Doch diesem staatlich betriebenen System steht keine private Konkurrenz gegenüber. Die Folge: Das System ist überaltert und wenig effizient. Nach seinem Besuch im Frühjahr 2016 bescheinigte der Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit beim UN-Menschenrechtsrat, Dainius Puras, dem Land zwar kontinuierliche Fortschritte beim Ausbau des Gesundheitsdienstes seit der Unabhängigkeit im Jahr 1992. Er beobachtete aber auch "einen Mangel an guter Verwaltung und fehlende Anreize, um die einzelnen Sektoren des Gesundheitssystems angemessen zu pflegen."

Konstanter Frust: Demonstration gegen hohe Arbeitslosigkeit in Algier, 2011Bild: DW/Toufik Bougaada

Die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen wie auch der Honorierung treibt immer mehr gutausgebildete Menschen außer Landes. Insgesamt arbeiteten einer OECD-Studie zufolge im Jahr 2010 rund fünf Millionen gut ausgebildete Menschen - das entspricht etwa 20 Prozent der Akademiker - aus den drei Maghreb-Ländern im Ausland. Zum Vergleich: 1990 waren es zehn Prozent. Die höchste Steigerungsrate verzeichnete Algerien: Dort hatte sich die Zahl der im Ausland arbeitenden Akademiker im genannten Zeitraum vervierfacht.

Die anhaltende Abwanderung macht inzwischen auch dem staatlichen Erdöl- und Gaskonzern Sonatrach zu schaffen, einem der ökonomisch bedeutendsten Unternehmen des Landes. In den vergangenen acht Jahren habe man 16.000 bestens ausgebildete Mitarbeiter verloren, gab das Unternehmen im August vergangenen Jahres in einer Presseerklärung bekannt.

Längst ist die konstante Abwanderung in einen Teufelskreis gemündet: Junge Talente wandern ab, weil sie zu Hause nicht die Bedingungen finden, die sie sich vorstellen. Durch ihren Fortgang tragen sie dann aber dazu bei, dass sich die Umstände in der alten Heimat nicht ändern, sondern sich im Gegenteil womöglich weiter verschlechtern. Die Folge: es wandern noch mehr Menschen ab.

Chronisch unterbesetzt: die algerische ErdölindustrieBild: picture-alliance/ dpa

Der "Marschallplan" für Afrika

Wie lässt sich der Brain Drain aufhalten? Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat darauf in seinem "Marschallplan für Afrika" Antworten gegeben. Dieser umfasst zunächst wirtschaftliche Hilfe. So werden etwa junge Unternehmensgründer unterstützt. Dies geschieht allerdings nicht durch schlichten Geldtransfer. Stattdessen entwickelt das BMZ mit Partnern - etwa Banken - vor Ort speziell zugeschnittene Finanzdienstleistungen, wie Kredite, Lokalwährungsdarlehen und Risikoabsicherungen. Auf diese können junge Unternehmensgründer dann zurückgreifen. Zudem macht sich das BMZ für eine verlässliche Energieversorgung stark: Gerade Industrieunternehmen sind darauf zwingend angewiesen. Mit Blick auf den Export nach Europa soll eine Infrastruktur zur Qualitätssicherung errichtet werden, so dass die produzierten Waren auch die europäischen Importvoraussetzungen erfüllen.

Doch die Förderung beschränkt sich nicht auf unmittelbar ökonomische Faktoren. Investitionen in Sicherheit, Frieden und Stabilität sollen ebenfalls zu einer günstigen Entwicklung des Arbeitsmarktes beitragen, ebenso auch Investitionen in demokratische, rechtstaatliche und Menschenrechtliche Standards. Transparenz und Korruptionsbekämpfung gelten als weitere Voraussetzung, um die hochgebildeten Arbeitskräfte im Land zu halten, wo sie dringend gebraucht werden.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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