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Politik

"Abschottung hilft nur den Menschenhändlern"

25. April 2019

Jeder dritte Flüchtling weltweit lebt in Afrika. Während Europa sich abschottet, professionalisieren sich Schleusernetzwerke bis hin zu neuen Mafiastrukturen wie der "Schwarzen Axt", sagt Jan-Philipp Scholz im Interview.

Kongo | Aus Angola abgeschobene illegale Flüchtlinge
Migration innerhalb Afrikas: Nach ihrer Abschiebung aus Angola müssen diese Flüchtlinge zurück in den KongoBild: Reuters/G. Paravicini

Beim Thema afrikanische Migration dürften die meisten Europäer wohl zuerst an Menschen denken, die in Schlauchboote gepfercht aufs Mittelmeer herausfahren. Allerdings haben zu diesem Zeitpunkt fast alle bereits eine weite und gefährliche Reise hinter sich. Und viele Menschen innerhalb Afrikas, die ihre Heimat verlassen müssen, kommen gar nicht aus ihrem Land oder ihrer Region heraus. Jan-Philipp Scholz, Nigeria-Korrespondent der DW von 2014 bis 2018, hat immer wieder zu den komplexen Strukturen auf dem Kontinent recherchiert. Seine Erkenntnisse hat er im Buch "Menschenhandel, Migrationsbusiness und moderne Sklaverei" niedergeschrieben.

Jan-Philipp Scholz arbeitet derzeit für ein Ausbildungsprojekt der DW Akademie

Deutsche Welle: Sie haben sich über Jahre, nicht nur für Ihr Buch, sehr intensiv mit Migration in Afrika beschäftigt. Welche Entwicklungen haben sich in dieser Zeit abgezeichnet?

Jan-Philipp Scholz: Sowohl die Netzwerke der Menschenhändler als auch die Netzwerke der Schlepper haben sich in den letzten Jahren eindeutig professionalisiert. Vor einigen Jahren dominierten noch die Gelegenheitsschleuser, die sich mit dem Schleusertum letztendlich etwas dazuverdient haben und vielleicht noch sogar einen anderen Job hatten. Seitdem stellen wir zunehmend fest, dass mit den gestiegenen Gewinnen, die man in diesem Geschäft machen kann, sich die Schleuserbanden auch professionalisiert haben.

Ist das Schleusertum, gerade weil es so lukrativ geworden ist, auch skrupelloser geworden?

Die Ausbeutung hat in den letzten Jahren stark zugenommen, vor allem in den typischen Transitländern Mali, Libyen und Niger. Da haben sich Strukturen gebildet, die eindeutig im Mittelpunkt ihrer Geschäftsidee die Ausbeutung der Migranten haben, sei es durch Lösegeldforderungen oder sklavereiähnliche Zustände.

In Ihrem Buch erwähnen Sie in diesem Zusammenhang auch die nigerianische Mafia-Organisation "Schwarze Axt". Was hat es damit auf sich?

Die "Schwarze Axt" hat sich ursprünglich als eine Art Burschenschaft an Universitäten in Nigeria gegründet. Allmählich ist sie jedoch zu einem Netzwerk der organisierten Kriminalität geworden, das auch im Menschenhandel aktiv ist. Vor allem in Südeuropa hat sie in den letzten Jahren sehr stark an Einfluss gewonnen. Das reicht so weit, dass Mafiastrukturen wie zum Beispiel die Cosa Nostra wohl schon Deals mit der Schwarzen Axt eingegangen sind, um sich die Zwangsprostitution in Italien untereinander aufzuteilen. Und es gibt auch erste Hinweise aus polizeilichen oder geheimdienstlichen Kreisen, dass die "Schwarze Axt" weit über Italien hinaus in Europa ausgreift bis hin nach Deutschland.

Immer wieder werden junge Nigerianerinnen in Italien gezwungen, sich zu prostituierenBild: picture-alliance/ROPI

Für Italien, aber auch die Migration im gesamten Mittelmeerraum von zentraler Bedeutung ist Libyen. Dort rennt der Warlord General Haftar gerade mit einiger militärischer Macht gegen die international anerkannte Regierung in Tripolis an. Was bedeutet das für Libyen als Drehscheibe der Migration nach Europa?

Nach Gaddafis Sturz 2011 hat man gesehen, dass Schleusernetzwerke von fehlender Staatlichkeit ganz eindeutig profitieren. Wenn es irgendwo einen vermeintlich rechtsfreien Raum gibt, wird er genutzt - das war nicht nur in Libyen so, sondern auch in anderen Transitländern. Prognosen anzustellen, wie sich die Migration über Libyen weiter entwickelt, ist in der momentanen Lage sehr schwierig.

Solche kriminellen Netzwerke haben also ihre Leute in Europa, aber auch in den nordafrikanischen Transitländern. Was wird dort von staatlicher oder internationaler Seite getan, um den menschenverachtenden Praktiken von Schleuserbanden Einhalt zu gebieten?

Das ist sehr schwierig zu verallgemeinern. Natürlich versucht Europa gerade ganz intensiv mit diesen Transitländern im Rahmen von Migrationspartnerschaften zu kooperieren, damit diese Netzwerke bekämpft werden - aber letztendlich auch, damit die Migranten auf ihrem Weg aufgehalten werden. Da gibt es Länder wie Niger, die deutlich stärker mit Europa kooperieren. Aber es gibt eben auch Länder wie Mali, wo es vor allem im Norden des Landes überhaupt gar keine richtigen staatlichen Strukturen gibt.

Als UN-Generalsekretär Antonio Guterres Anfang April Libyen besuchte, machten Migranten mit diesen Pappschildern auf ihre Lage aufmerksamBild: Getty Images/AFP/M. Turkia

Wie effizient sind die bisherigen europäischen Ansätze, Fluchtbewegungen schon im Herkunftsland einzudämmen - so wie die deutschen "Arbeitsämter" in mehreren west- und nordafrikanischen Ländern?

Der Ansatz, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern, ist erst einmal richtig. Doch diese "Arbeitsämter" in Ländern wie Ghana, haben meiner Ansicht nach oft einen gewissen Symbolcharakter, um zu zeigen, wir tun etwas. Allerdings muss sich auf grundsätzlicher Ebene etwas ändern. Europa muss vor der eigenen Haustür kehren, etwa bei der unfairen Handelspolitik durch Subventionierung unserer Landwirtschaft - und nicht zuletzt auch bei der Komplizenschaft mit manchmal auch korrupten Eliten, um Gewinne zu steigern. Mit Entwicklungspolitik alleine ist es eben nicht getan.

Die Migrationsbewegungen von Afrika nach Europa sei nur die "Spitze des Eisbergs", schreiben Sie. Wie viel stärker ausgeprägt sind Migrationsbewegungen innerhalb afrikanischer Länder und Regionen?

Das größte Flucht- und Migrationsdrama findet innerhalb des Kontinents statt - und nicht auf dem Weg nach Europa. Viele Menschen, vor allem die Kriegen und vor akutem Hunger fliehen, haben gar nicht die Mittel, eine Überfahrt nach Europa zu zahlen. Sie werden oft zu sogenannten Binnenflüchtlingen oder schaffen es gerade mal über die nächste Grenze in ein Nachbarland. Über die Zahlenverhältnisse gibt es nur Schätzungen, weil sie oft in improvisierten Camps unterkommen. Aber wenn man sich allein einen Staat wie Nigeria anschaut, wo es schon mehrere Millionen Binnenflüchtlinge aufgrund der Terrororganisation Boko Haramgibt, kann man schon sagen, dass sich die absolute Mehrheit der Menschen innerhalb des Kontinents bewegt und nicht versucht, nach Europa zu kommen.

Bei Ihren Recherchen haben Sie auch mit einigen Binnenflüchtlingen gesprochen. Wie sah deren Lebensrealität aus?

Es gibt auch vom UNHCR (dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, Anm. d. Red.) Programme für Binnenflüchtlinge, aber viele liegen in der Verantwortung des Staates, der sie zur Flucht bewegt hat. Deshalb ist das eine relativ paradoxe Situation für viele Flüchtlinge, in der sie nicht auf viele staatliche Hilfsangebote hoffen können. In der Zentralafrikanischen Republik habe ich ein provisorisches Lager in einem Hangar besucht, in dem ausrangierte Flugzeuge standen. Dort haben die Menschen unter den Flugzeugen geschlafen - zum Teil waren auch traumatisierte Frauen dort, die mehrfach vergewaltigt wurden, ohne jegliche Hilfe und ohne jegliche Unterstützung von Organisationen.

Trotzdem sind für die europäische Politik vor allem jene afrikanische Migranten Thema, die es bis nach Europa schaffen. Wie groß ist der Handlungsbedarf für Europa?

Wir brauchen eine gemeinsame Asylpolitik in Europa, daran führt gar kein Weg vorbei. Wir haben gemeinsame Außengrenzen, deshalb müssen wir diese Herausforderungen gemeinsam lösen. Ein gesamteuropäischer Lösungsansatz kommt sogar im Lissabon-Vertrag vor, aber die Umsetzung tritt seit vielen Jahren auf der Stelle. Genauso notwendig ist aber auch, legale Wege für Menschen zu finden, die weder im Asylsystem im engeren Sinne Schutzstatus bekommen, noch zu den Hochqualifizierten gehören. Es muss auch für Arbeitsmigranten in einem gewissen Umfang Möglichkeiten geben, für einige Jahre nach Europa zu kommen und dort legal zu arbeiten. Die Abschottungspolitik spielt nur den Menschenhändlern in die Hände.

Das Interview führte David Ehl.

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