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Absolut Kult: Die "Sesamstraße" wird 50!

Grzegorz Szymanowski
10. November 2019

Vor einem halben Jahrhundert revolutionierte die US-amerikanische Sendung das Bildungsfernsehen: mit Hilfe von Ernie, Bert und dem Krümelmonster. Als sie nach Deutschland kam, stieß sie erstmal auf Widerstand.

Sesamstrasse
Bild: picture-alliance/United Archives

Kulturell steht das Jahr 1969 in den USA für das legendäre Woodstock-Festival und den Slogan "Peace, Love and Happiness". Im gleichen Jahr begann jedoch eine weitere Revolution, die ähnlich weitreichende Konsequenzen haben dürfte - für viele Millionen Kinder.

Die erste Folge der "Sesamstraße" lief am 10. November 1969 in den USA im Fernsehen. In dem neuen TV-Format ging es auch um das friedliche Miteinander aller Menschen: Die kleine Sally ist neu in der Nachbarschaft. Sie besucht eine erfundene Sesamstraße in New York, "wo alles geschieht" und Menschen aller Hautfarben und sozialen Schichten nebeneinander leben. Und natürlich sind auch die Muppets da: Sally trifft auf den großen gelben Vogel Big Bird - in Deutschland als "Bibo" bekannt - und auf Oscar, der in einer Mülltonne lebt.

Lerninhalte wie lustige Werbespots

Die Stars der Sesamstraße: Ernie und BertBild: picture-alliance/dpa/S. Widmann

Ziel der "Sesamstraße" war es, mit Hilfe lustiger Puppen und kurzen Sketchen Bildungsinhalte wie das ABC, Zahlen oder auch wichtige Verkehrsregeln zu vermitteln. Vor allem Kinder im Vorschulalter aus ärmeren, bildungsfernen Familien sollten davon profitieren. Um ihre Aufmerksamkeit zu wecken, erinnerten die kurzen Beiträge auf den ersten Blick an Werbespots. Die wichtigsten Inhalte wurden mehrmals wiederholt. Am Ende der ersten Sendung stellte der Frosch Kermit den Kindern den Buchstaben "W" vor: "Einfach zu schreiben, wenn Du gut mit geraden Linien bist".

Es sind vor allem die Puppen, die mittlerweile mehreren Generationen in Erinnerung geblieben sind. Wie das blaue Krümelmonster, das immer auf der Suche nach Keksen ist und vor lauter Hunger auch Gegenstände verschlingt - zum Beispiel das von Kermit vorgestellte "W". Der chaotische Ernie und sein mürrischer Mitbewohner Bert werden zu den Superstars der TV-Serie. Jahre später wurde sogar spekuliert, ob sie vielleicht ein Paar sind. Was als innovative Kindersendung anfing, wurde bald zu einer Bildungsinstitution. Heute wird die "Sesamstraße" in 150 Ländern und insgesamt 70 Sprachen gezeigt.

Nur im Fernsehstudio: Die deutsche "Sesamstraße"

Schnell kam die Sendung auch nach Deutschland. Hier hatte sie jedoch keinen einfachen Start. Seit 1973 liefen die synchronisierten US-Episoden in den ARD-Anstalten, mit Ausnahme des Bayerischen Rundfunks. Der damalige BR-Fernsehdirektor Helmut Oeller vertrat den Standpunkt, die deutschen Kinder könnten sich mit den "in der Sendung auftretenden Negern" nicht identifizieren. Ausdrücken wollte er damit gewiss die zwischen den USA und Deutschland bestehenden sozialen und kulturellen Unterschiede. Dass Oeller dafür das N-Wort gebrauchte, ist spätestens aus heutiger Sicht abzulehnen.

Erst 30 Jahre später wurde die Sendung auch im größten deutschen Bundesland ausgestrahlt. Vielen Eltern und Wissenschaftlern in Deutschland war das "Ghetto-Flair" der US-amerikanischen Sesamstraße zu fremdartig. 1978 startete eine deutsche Version der Sendung. Diese spielte nicht auf der Straße, sondern in einem großen, offenen Haus, nachgebaut in einem NDR-Fernsehstudio in Hamburg. Und mit deutschen Schauspielern als Moderatoren. Speziell für den deutschen Markt waren in den USA neue Charaktere entwickelt worden: die vogelartige Tiffy und der Bär Samson.

Die Protagonisten der deutschen "Sesamstraße" (v.l.n.r.): Uwe Friedrichsen mit "Finchen" und "Tiffy", Ilse Biberti, Lilo Pulver, Horst Janson und "Samson", aufgenommen am 01.01.1980 im Studio Hamburg des NDRBild: picture-alliance/dpa/Bisagno

"Samson war ein bisschen tumb, aber nicht doof", erinnert sich Puppenbauer Peter Röders, der damals den Bären spielte. Der träge Samson war als Gegengewicht für die etwas altkluge Tiffy erdacht worden. "Das war ein gemütlicher Bär, der Kinder sehr ansprach", so Röders. "Bloß - wenn die Kinder ins Studio kamen, da haben sie Angst gekriegt, weil er zu groß war." Die zwei Meter große Figur, die er zu tragen hatte, wog etwa 20 Kilogramm. Für Röders bedeutete diese Rolle eine äußerst schweißtreibende Arbeit.

Migrationsgesellschaft, einfach erklärt

Neben den Original-TV-Clips aus der amerikanischen Sendung gab es auch lokale Geschichten aus Deutschland, die den damaligen Zeitgeist wiederspiegeln. So etwa die Szene aus einem realen Hamburger Hochhausviertel in der ersten deutschen Folge: Die fünfjährige blondgelockte Angelika und ihre Familie ziehen ein. Die Kinder aus der Nachbarschaft versammeln sich vor dem Eingang. Die eine Hälfte der Gruppe deutsche Kinder aus Hamburg, die andere Hälfte aus Ländern, aus denen Gastarbeiter nach Westdeutschland kamen - Griechenland, Spanien, Türkei.

Die Puppe "Zari" in der afghanischen Ausgabe der berühmten "Sesamstraße" (2016)Bild: picture alliance/AP Photo/R. Gul

Als die Kinder das Interesse verlieren und verschwinden, bleibt nur die kleine schwarzhaarige Filiz vor dem Hauseingang stehen: "Wollen nicht mit mir spielen. Bin aus Türkei, aus Dorf", sagt sie in gebrochenem Deutsch. Ihre Eltern sind noch auf der Arbeit in einer Fabrik. Angelika, das neu zugezogene Nachbarskind, lädt Filiz in ihre Wohnung ein, wo das türkische Mädchen auch von Angelikas Eltern freundlich empfangen wird. Als alle später auf den Umzugskartons zusammen essen, ist die Traurigkeit von Filiz schnell weg. "In den USA lag der Fokus auf dem Lernen", erinnert sich Peter Röders. "Bei uns war es mehr auf soziales Miteinander ausgerichtet. Die Geschichten sind so aufgebaut, dass es nie Ärger gibt. Und wenn doch, dann wird er ganz schnell geklärt, besprochen - und alles wird wieder gut."

So wurde die "Sesamstraße" immer wieder auf die lokalen TV-Sender und Zielmärkte angepasst. In China spielte sie in einer Fahrradwerkstatt, in der israelischen Show "Rechow Sumsum" warben die Puppen Mahmud und Noah für Verständigung zwischen Arabern und Juden, in Südafrika klärte Kami, eine HIV-positive Puppe, Kinder über die Krankheit Aids auf.

Weltweit bekannt, in New York gewürdigt

Die gemeinnützige US-Firma Sesame Workshop, die die "Sesamstraße" in den USA produziert, spricht bis heute mit der Sendung auch akute soziale Probleme an. Vor dem Hintergrund der Opioidkrise in den USA gibt es seit 2019 die neue Puppe Karli, die in einer Pflegefamilie lebt, weil ihre Mutter drogenabhängig ist. Die Firma produzierte auch eine Version der Sendung für syrische Flüchtlingskinder im Nahen Osten.

Nach fünf Jahrzehnten ist die "Sesamstraße" zu einem weltbekannten popkulturellen Symbol geworden. Prominente Musikerinnen wie Beyoncé und Feist, aber auch die ehemalige "First Lady" Michelle Obama sind in der Sendung aufgetreten. Und seit Mai 2019 ist die international bekannte Sesamstraße auch in New York zu finden. Dort wurde einem kurzen Abschnitt der 63. Straße in Manhattan, in der Nähe des Central Park, der Beiname "Sesame Street" gegeben.

Es gibt sie wirklich: die "Sesame Street" in New YorkBild: picture-alliance/dpa/DKCnews
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