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Politik

"Absturz der Medienfreiheit" in Bulgarien

8. Oktober 2018

Nach der Ermordung der Journalistin Viktoria Marinowa in Bulgarien fordert Daniel Kaddik von der Friedrich-Naumann-Stiftung, Bulgarien in Haftung zu nehmen. Die EU sollte genauer hinschauen, wohin ihre Gelder fließen.

Bulgarien - Journalistenaktion vor dem bulgarischen Parlament für Presse- und Meiningsfreiheit
Bild: BGNES

DW: Herr Kaddik, kann man davon ausgehen, dass die Ermordung von Viktoria Marinowa in Zusammenhang mit ihrem Beruf steht?

Daniel Kaddik: Wir können noch nicht genau sagen, was es ist. Die Polizei hat gesagt, dass Viktoria Marinowa vergewaltigt und brutal zugerichtet worden ist. Interessant ist allerdings, dass die gesamte Zivilgesellschaft Bulgariens sofort auf diesen Fall angesprungen ist und dass in Bulgarien niemand einen Zweifel daran hat, dass es eventuell eine politisch motivierte Tat sein könnte. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es tatsächlich eine Beziehungstat oder ein anders gearteter Mord ist, müssen wir doch konstatieren, dass es so schlecht bestellt ist um die Medienfreiheit in Bulgarien, dass jeder sofort davon ausgeht, dass es eine politische Tat ist.

Medienfreiheit: "Bulgarien ist Schlusslicht in der EU"

Sie beobachten schon seit längerer Zeit die Situation der Medien in Bulgarien. Warum ist es dort so schlecht bestellt um die Medien?

In der Tat ist Bulgarien weltweit auf Platz 111 der Medienfreiheit. Damit ist Bulgarien nicht nur das Schlusslicht in der EU, sondern auf dem ganzen Balkan. Das hat mehrere Gründe. Auf der einen Seite haben wir zwar auf dem Papier freie Medien, aber wir haben eine stark zentralisierte Eigentumsstruktur. Wenige Besitzer haben die Medienhäuser unter ihrer Kontrolle. Wir haben einen nicht funktionierenden Anzeigenmarkt. Ein großer Teil der Finanzierung läuft mit EU-Geldern, die nur vom Ministerrat weitergegeben werden. Damit haben wir eine starke Selbstzensur innerhalb der Medien. Und dazu gibt es viele Fälle von extremer Korruption, wodurch es auch viel Bedrohung von Journalisten gibt, insbesondere von investigativen Journalisten.

Journalistin Viktoria Marinowa - ihre Leiche wurde am Samstag in einem Park in der Stadt Ruse gefundenBild: BGNES

Die Journalistin Viktoria Marinowa hat in ihrer Fernsehsendung über eine Affäre berichtet, die von einer investigativen Website recherchiert worden ist. Die Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützt diese Website teilweise. Ist das korrekt?

Wir arbeiten in der Tat mit investigativen Journalisten der Seite Bivol zusammen. Wir haben hier in Bulgarien ein Schwarzbuch, in dem wir Fälle von Steuerverschwendung aufdecken, und da kooperieren wir mit diesen Journalisten. Einer von ihnen, Dimitar Stojanow, ist vor wenigen Wochen bei einer Recherche zusammen mit einem rumänischen Kollegen verhaftet worden, wo sie in einem Fall von Verschwendung von EU-Mitteln bzw. von Korruption im Zusammenhang mit EU-Mitteln ermittelt haben.

"Bulgarien in Haftung nehmen"

Welche Entwicklungen erwarten Sie für die Medien in Bulgarien in Zukunft? Welche Hilfe könnten bulgarische Journalistinnen und Journalisten - beziehungsweise die freien Medien, soweit es sie überhaupt gibt in Bulgarien - von außen erwarten und bekommen?

Daniel Kaddik ist Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in SofiaBild: BGNES

In der Tat erwarte ich nicht allzu viel, was die Entwicklung der Medienfreiheit angeht. Das International Press Institute hat vor wenigen Tagen einen Brandbrief an den Premierminister Boiko Borissow geschrieben, in dem es den Schutz von Journalisten und mehr Medienfreiheit im Land anmahnt. Seit dem Beitritt Bulgariens zur EU sehen wir ein permanentes Abstürzen der Medienfreiheit. Ich sehe da leider keine positiven Entwicklungen. Es ist inzwischen so schlimm, dass Radio Free Europe nach Bulgarien zurückkehrt.

Was von europäischer Seite getan werden könnte, ist auf der einen Seite, zu schauen, wohin die EU-Mittel bei der Medienförderung, bzw. wohin die entsprechenden PR-Mittel gehen. Auf der anderen Seite braucht man ein klares Bekenntnis der europäischen Mitgliedstaaten zur Medienfreiheit. Das heißt auch, Bulgarien gegebenenfalls in Haftung zu nehmen.

Und der dritte und vielleicht auch wichtigste Punkt ist, eine europäische Öffentlichkeit zu schaffen. Der Fall jetzt hat es in die europäischen und internationalen Medien geschafft, aber es ist wieder ein Strohfeuer, das wahrscheinlich nächste Woche schon wieder vorbei ist, und dann interessiert sich niemand mehr für Bulgarien. Bulgarien als Mitgliedstaat der EU und immer noch Mitglied der Trojka und muss weiter im Fokus der europäischen Öffentlichkeit sein, denn sonst passiert nichts im Bereich der Medienfreiheit oder im Bereich der Korruptionsbekämpfung.

Daniel Kaddik ist Medienexperte der Friedrich-Naumann-Stiftung und Leiter des Büros der Stiftung in Sofia.

Das Gespräch führte Alexander Andreev.

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