Filmgeschichte: Roman Polanskis "Was?"
3. Januar 2016Längst schon halten sich die Nachrichten über lange zurückliegenden Delikte des Filmregisseurs Roman Polanski mit Berichten über sein künstlerisches Werk und seine berühmten Filme die Waage. Manchmal hat man gar das Gefühl, über Polanski werde mehr auf den Gesellschaftsseiten der Gazetten berichtet, von den zahllosen Meldungen im Internet ganz zu schweigen, als im Kulturteil der Medien. Wenn dann eines der Werke des bekannten Regisseurs auf DVD veröffentlicht wird, einer seiner unbekanntesten Filme zudem, ist das erst schon mal eine der seltenen guten Nachrichten zu seiner Person.
"Was?" diente Polanski auch als Erholung
Ausgang der 1960er Jahre war Roman Polanski einer der berühmtesten und meistgefeierten Filmregisseure der Welt. Mit seinen beiden Publikums- und Kritikererfolgen "Tanz der Vampire" und "Rosemaries Baby" hatte er die Kinowelt international begeistert. Doch dann kam der Schock. Der brutale Mord an seiner damaligen Frau Sharon Tate durch die Mordbande um Charles Manson zerrte den Regisseur in den Mittelpunkt des Interesses eines ganz anderen Teils der Öffentlichkeit. Die "Yellow Press" berichtete ausgiebig über die Mordtat.
Seine erste Filmarbeit nach dieser bestialischen Tat war eine äußerst blutrünstige Version des Shakespeare-Dramas "Macbeth". Für viele Experten war das auch eine filmische und persönliche Verarbeitung des realen Schreckens, den Polanski in diesen Jahren durchlebte. Danach musste sich Polanski auch als Regisseur erholen - so scheint es zumindest im Rückblick: Sein nächster Film, die Komödie "Was?", ist ein luftiges, surreales Stück Kino, ein buntes Popmärchen und ein burlesker Schwank vor attraktiver Kulisse.
"Ein Film ohne Kleider..."
Polanski selbst schrieb später in seiner Autobiografie: "Nach 'Macbeth' hatte ich das Bedürfnis, etwas völlig Entgegengesetztes zu machen, ohne Pferde, Speere, Burgen, Spezialeffekte, Kostüme, am liebsten sogar überhaupt ohne Kleider, einen leichten und vergnüglichen Film."
"Was?" (Originaltitel: "Che?") erzählt vor traumhaft schöner Mittelmeer-Kulisse von dem unfreiwilligen Aufenthalt einer jungen Amerikanerin in einer schneeweißen Villa, die ein Dutzend seltsamer Gäste beherbergt. Die junge Nancy (Sydne Rome) entkommt zu Beginn des Films während ihres Italien-Urlaubs nur knapp einer Vergewaltigung. Sie flüchtet sich in die blumengeschmückte, über den Klippen des Mittelmeers thronende Villa eines reichen, aber sterbenskranken Kunstsammlers.
Marcello Mastroianni im Zentrum eines verrückten Figurenarsenals
Dort trifft sie: einen alternden Gigolo mit Zuhälter-Vergangenheit (Marcello Mastroianni), ein liebeshungriges Pärchen, einen müden Koch, zwei lesbische Frauen, einen wütenden Hausangestellten, der ständig mit einer geladenen Harpune herumfuchtelt (Polanski selbst), und weitere extravagante Charaktere. Polanski entwickelt über 100 Filmminuten einen heiter-surrealen Reigen zwischenmenschlicher Begegnungen, der von sinnfreien Dialogen, viel Erotik und manchmal auch philosophisch angehauchten Monologen geprägt ist.
"In 'Was?' spiegele sich die Absurdität und Extravaganz der ausklingenden sechziger Jahre wider", so Polanski später, der in einer kleinen Nebenrolle in der Gesellschaftssatire auftritt. Der Film versprüht aber auch den Charme der frühen '70er‚ vor allem, was das von Polanski zitierte "Kleiderlose" betrifft: Die (damals noch) provozierende Freizügigkeit der Zeit wird ausgiebig vor der Kamera zelebriert. Die 22jährige US-Schauspielerin Sydne Rome, die mit der Rolle bei Polanski schon ihren Karrierehöhepunkt erklomm, hüpft die Hälfte des Films nackt durch die Szenerie.
Für Polanski war "Was?" ungewöhnlich bieder
Vielen Sequenzen in diesem frühen Polanski-Film sieht man die Nähe zum biederen Sexfilm der 1960er Jahre an. Dass leichtbekleidete oder gar nackte Schauspieler damals eine Art Revolution auf der Kino-Leinwand darstellten, ist heute kaum noch nachzuvollziehbar.
"Was?" ist aber auch eine Auseinandersetzung mit Kunst und Pop-Kultur, mit der Welt der Malerei, der Popmusik und des Kinos der Zeit. Polanski spielt hier mit Zitaten, Anspielungen und Verweisen: "Künstlichkeit ist die Signatur des Films", ordnete der Kritiker Karsten Visarius den Film später ein: "Polanski will den Film als ein Kunstmärchen in der Art von Lewis Carrolls 'Alice's Adventures in Wonderland' verstanden wissen."
Anspielungen auf die Kinogeschichte (Orson Welles "Citizen Kane") sind ebenso zu sehen wie zahlreiche Verweise auf die Geschichte der Malerei. Der Film sei ein "Steinbruch der abendländischen Kulturgeschichte", so Filmkritiker Visarius: "Müßiggängerische Dekadenz, Verramschung der Kultur als Dekoration und Floskel, Sex als konsumistischer Zeitvertreib einer schmarotzenden, 'spätromantischen" Bourgeoisie, betrachtet durch die naiv-staunenden Blauaugen einer blonden Pin-up-Schönheit."
"Was?" gehört sicher nicht zu den stärksten Filmen im Oeuvre des Regisseurs. An dem Film hat zudem der Zahn der Zeit genagt. Das lässt sich von den anderen Werken des begnadeten Regisseurs Roman Polanski kaum sagen.
Roman Polanski: Was?, Italien/Frankreich/Deutschland 1972, mit Sydne Rome, Marcello Mastroianni u.a. (110 Minuten), auf DVD bei "koch Media" erschienen. Weitere DVD-Tipps bei unserem Partner Film-Dienst.