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Abtreibung: Die USA ein Jahr nach dem Ende von Roe v. Wade

24. Juni 2023

Vor einem Jahr hat der Supreme Court in den USA das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Abtreibung aufgehoben - mit teils gravierenden Folgen für ungewollt Schwangere, wenn sie im falschen Bundesstaat leben.

USA | Roe v. Wade | Proteste vor der Jackson Women's Health Organization
Pro-Choice-Protestlerin vergangenes Jahr in Mississippi: "Abtreibung ist eine Gesundheitsleistung"Bild: Hannah Mattix/Clarion Ledger/USA TODAY Network/IMAGO

Das Grundsatzurteil "Roe v. Wade" räumte Frauen in den USA 1973 das Recht ein, bis zur 24. Schwangerschaftswoche selbst über eine Abtreibung bestimmen zu können. Doch im Juni vergangenen Jahres kippte der Supreme Court - seit der Präsidentschaft von Donald Trump mehrheitlich konservativ besetzt - die Regelung. Das Oberste Gericht des Landes spielte die Zuständigkeit in dieser Frage an die 50 Bundesstaaten zurück - ein Schock für all diejenigen, die das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch (prinzipiell) befürworten. Und das ist Umfragen zufolge konstant eine Mehrheit der US-Amerikaner.

Zwar hatte auch schon zuvor ein jahrzehntelanger Kulturkampf getobt, hatten liberal und konservativ regierte US-Bundesstaaten "Roe v. Wade" unterschiedlich ausgelegt, so dass ein Flickenteppich mit unterschiedlichen Abtreibungsregeln entstanden war. Doch die Aufhebung des grundsätzlichen Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch hat zu einer noch stärkeren Polarisierung geführt - und noch striktere Abtreibungsrestriktionen bis hin zu tatsächlichen Verboten ermöglicht. 

Ein Land driftet auseinander

Nicole Huberfeld, Professorin für (Gesundheits-)Recht an der Boston University und Co-Direktorin eines Programms für reproduktive Gerechtigkeit dort, erklärt: "Der Unterschied ist, dass die Bundesstaaten immer den Zeitpunkt im Auge behalten mussten, an dem ein Fötus außerhalb der Gebärmutter potenziell lebensfähig ist. Wenn das Gesetz eines Bundesstaates die Abtreibung vor der 24. Schwangerschaftswoche verbot, konnte das Bundesgericht es kassieren." Diese Leitplanke sei "wirklich wichtig" gewesen, so Huberfeld weiter. Unter anderem auch für die juristische Sicherheit von Ärztinnen und Ärzten, die Abtreibungen vornehmen. Nun sei sie jedoch weggefallen.

Das Guttmacher Institute, das in den USA viel zur Abtreibungsfrage forscht, hat eine Karte erstellt, die in sieben Abstufungen abbildet, wie restriktiv oder liberal Schwangerschaftsabbrüche in den einzelnen US-Bundesstaaten gehandhabt werden. Von den insgesamt 50 sind 13 rot, also "außerordentlich restriktiv". In diesen Bundesstaaten sind Abtreibungen nun weitestgehend verboten.  

Religiös-konservative Bundesstaaten wie etwa Texas, Tennessee oder Mississippi hatten schon vor der Aufhebung von Roe v. Wade strikte Regelungen für ungewollt Schwangere und Anbieter des medizinischen Eingriffs. Sie und die anderen auf der Karte roten Staaten hatten sogenannte "Trigger Laws" vorbereitet: Verbotsgesetze, die im Fall einer neuen Rechtsprechung auf Bundesebene - und die gab es ja dann - automatisch in Kraft treten würden.

Lange Wege für ungewollt Schwangere

Eine, die aus eigener Erfahrung weiß, wie belastend zusätzliche Hürden für ungewollt Schwangere sein können, ist Sarah King. Sie ließ 2006 im Alter von 17 Jahren in Alabama abtreiben. "Ich war im letzten Jahr der High School, als ich herausfand, dass ich schwanger war. Mein Freund behauptete, dass es nicht sein Baby sei, und machte mit mir Schluss. Es war eine schwierige Entscheidung, aber ich hätte meine Stipendien fürs Studium verloren, wäre in meiner Kleinstadt hängengeblieben."

Zu der Zeit waren Schwangerschaftsabbrüche in Alabama grundsätzlich noch möglich. Dennoch galt etwa die Einschränkung, dass man sich bei einer Abtreibungsklinik zunächst informieren musste, um nach 24 Stunden wiederzukommen und den Eingriff vornehmen zu lassen - kein belangloses Detail, wenn es nur wenige Abtreibungskliniken gibt und Betroffene lange Strecken zurücklegen müssen. King sagt, damals seien es drei im gesamten Bundesstaat gewesen, weshalb sie in der Klinik in Montgomery, wo sie den Abbruch vornehmen ließ, übernachtete.

"Größere Tragweite, als Menschen sich vorstellen können"

Dieses Problem der medizinischen Unterversorgung in Teilen der USA werde durch die Abtreibungs-Komplettverbote noch größer, bemängelt Nicole Huberfeld. "Wir beginnen zu sehen, dass Medizinstudierende und Ärzte in Staaten abwandern, die Abtreibungen schützen." Die Rechtsprofessorin ist überzeugt, dass "wir einige echte Verschiebungen in Bezug auf die medizinische Versorgung sehen werden".

Plakat von Abtreibungsgegnern in Illinois: "Töten Sie Ihr Baby nicht!"Bild: Chris Kenning/USA TODAY Network/IMAGO

Ein Lichtblick für diejenigen, die das Recht auf Abtreibung verteidigen: Sozusagen als Gegeneffekt haben immerhin einige (von den Demokraten regierte) US-Bundesstaaten ihre Anstrengungen in die andere Richtung verstärkt: Also etwa die Entscheidungsfreiheit in Sachen Abtreibung in die Verfassung aufgenommen oder mehr finanzielle Mittel für Schwangerschaftsabbrüche bereitgestellt. Kalifornien, Michigan, Minnesota, New York und Oregon etwa erstatten Frauen gar die Reisekosten, wenn sie dort nach Abtreibungskliniken suchen.

Insgesamt habe die Aufhebung von Roe v. Wade den Streit zwischen liberalen und konservativen US-Staaten verschärft und für große Instabilität und Verwirrung gesorgt, sagt Huberfeld. "Es gibt auch Konflikte zwischen den Bundesstaaten und der Bundesregierung über Dinge wie den Emergency Medical Treatment and Labour Act. Dieses Gesetz schreibt vor, dass Krankenhäuser unabhängig von den Gesetzen der einzelnen Bundesstaaten Notfallbehandlungen durchführen müssen", so die Juristin.

"Nicht einmal die Kontrolle über den eigenen Körper"

Sarah King erklärt, die Aufhebung von Roe v. Wade habe sie sehr wütend gemacht, sie habe an Pro-Choice-Kundgebungen teilgenommen und dort auch selbst gesprochen. "Es ist wirklich beängstigend. Ich habe das Gefühl, dass mir als Frau nicht einmal die Kontrolle über meinen eigenen Körper zugestanden wird." Es sei ok, wenn Menschen sich von ihrer Religion oder Spiritualität durchs eigene Leben führen ließen, so King. Aber sie sollten wegen ihrer Vorstellungen nicht anderen diktieren, was sie zu tun hätten.

Das Urteil hatte vergangenen Sommer auch international große Beachtung gefunden und stieß auf Kritik zahlreicher Staaten und Regierungen. Andere wie etwa Polen sahen sich in der eigenen restriktiven Handhabe bestätigt. Cristina Rosero ist für die Nichtregierungsorganisation "Center for Reproductive Rights" Senior Legal Adviser für Lateinamerika und die Karibik - und hat die Geschehnisse in den USA genau beobachtet.

"Was in den Vereinigten Staaten passiert, ist immer ein weltweiter Bezugspunkt, aber ein Jahr nach diesem Ereignis können wir sagen, dass die Garantien, die wir für den Zugang zur Abtreibung in Lateinamerika erreicht haben, immer noch gelten." Es habe auch etwas von einer kolonialistischen Sichtweise, anzunehmen, dass die im globalen Süden erzielten Fortschritte durch das, was im Norden geschieht, gefährdet seien.

"Das Supreme-Court-Urteil zeigt uns, dass wir errungene Rechte nicht einfach als gegeben hinnehmen können. Es ist eine Warnung, die uns ermutigen sollte, unsere rechtlichen und politischen Kämpfe fortzusetzen."

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