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PolitikPolen

Streit um Abtreibungsrecht in Polen

Jacek Lepiarz Warschau
1. Februar 2023

Zwei Ärzte hatten es abgelehnt, die Schwangerschaft eines Vergewaltigungsopfers abzubrechen. Das befeuerte den Streit um Polens restriktive Gesetze. Feministinnen fordern die Liberalisierung, Hardliner härtere Strafen.

Polen Protest gegen verschärftes Abtreibungsgesetz in Krakau
Proteste gegen das verschärfte Abtreibungsverbot in Krakau im Januar 2021Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

In Polen beschäftigt der Fall einer 14-Jährigen, die Opfer einer Vergewaltigung wurde, Öffentlichkeit und Politik. Das geistig behinderte Mädchen aus der nordostpolnischen Region Podlasien wurde vom eigenen Onkel vergewaltigt und in Folge des Missbrauchs schwanger. Ihre Tante, die die Schwangerschaft bemerkte, drängte auf einen Abbruch.

Doch obwohl die Jugendliche eine staatsanwaltliche Bestätigung der Straftat besaß, die zum legalen Schwangerschaftsabbruch berechtigte, verweigerten zwei Krankenhäuser in der Region den Eingriff. Die Woiwodschaft Podlasien an der Grenze zu Belarus gilt als Hochburg der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit 2015 in Polen regiert.

Gewissensklausel gegen Recht auf Abtreibung

"Die Ärzte haben die Ablehnung mit einer Gewissensklausel begründet", berichtet am Mittwoch die Wochenzeitschrift Polityka. Das restriktive polnische Abtreibungsrecht sieht vor, dass Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch ablehnen können, falls dies ihren religiösen Überzeugungen widerspricht. Und so war es auch in diesem Fall. Die Abweisung des Krankenhauses war drastisch: "Geht weg von hier", hieß es knapp. "Wir wissen nicht, wohin", so die Jugendliche und ihre Tante. Antwort: "Das ist nicht unser Bier."

Doch ganz so einfach ist es nicht: Laut Vorschriften soll ein Arzt, der eine Abtreibung verweigert, einen anderen Arzt nennen, der den Eingriff übernehmen kann. Die Gewissensklausel ist individuell und kann nicht für das ganze Krankenhaus gelten. Doch dies, so die Zeitschrift Polityka, wurde ignoriert.

Aktivistinnen demonstrieren im Oktober 2022 vor einem Gericht, in dem eine Frau der Beihilfe zur Abtreibung angeklagt istBild: Monika Sieradzka/DW

Als letzte Rettung erwies sich in diesem Fall, wie so oft, die Stiftung für Frauen und Familienplanung FEDERA. Höchste Eile war geboten, denn: "Die 12. Woche näherte sich. Wir mussten schnell handeln", erklärte FEDERA-Chefin Krystyna Kacpura im Interview mit der Zeitung Gazeta Wyborcza am Mittwoch. "Der Abbruch wurde erfolgreich in Warschau durchgeführt."

Die Frauenaktivistin lehnte es ab, Journalisten Details über das Mädchen preiszugeben. "Die Familie wohnt in einem kleinen Ort. Sie will nicht zum Ziel von Angriffen werden", erklärte sie. Stattdessen rief sie die Behörden auf, die Situation in allen Krankenhäusern der Region zu überprüfen. Sie bemängelte, dass der Arztberuf "politisch" geworden sei: "Statt sich um die Gesundheit der Patientinnen zu kümmern, versteckt sich der Arzt hinter Gewissensklausel und Gesetz."

Gesundheitsminister entsetzt

Inzwischen hat sich auch Gesundheitsminister Adam Niedzielski eingeschaltet. "Wir sind entsetzt über diesen Fall und unsere Reaktion darauf ist eindeutig", sagte er am Montag (30.01.2023) vor Journalisten. "Das Verhalten (der Ärzte) war inakzeptabel." Niedzielski kündigte an, dass der Fall überprüft werde.

Frauenrechtsgruppen und die Opposition im Land fordern derweil erneut lautstark, das polnische Abtreibungsgesetz zu lockern, das einen Schwangerschaftsabbruch nahezu unmöglich macht.

Abtreibungsgegner werben mit krassen Motiven für die Durchsetzung des AbtreibungsverbotsBild: Monika Sieradzka/DW

Die Gewissensklausel, die viele Ärzte ins Feld führen, um einer möglichen Strafverfolgung zu entgehen, sei "barbarisch und unmenschlich" und müsse abgeschafft werden, sagte Katarzyna Kotula von der linksliberalen Partei Wiosna. Mitte-Links-Politikerin Barbara Nowacka von der Bürgerkoalition (PO) kündigte einen Gesetzentwurf der Opposition zur Abschaffung der Gewissensklausel im Sejm an.

Abtreibungsrecht verschärft

Polens Verfassungsgericht hatte 2020 die Abtreibung schwer fehlgebildeter Föten für verfassungswidrig erklärt und damit den Weg für eine Verschärfung des auch zuvor schon sehr restriktiven Abtreibungsrechts freigemacht. Zur Zeit ist ein Abbruch nur dann legal, wenn die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückgeht oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. In der Praxis werden auch diese Vorschriften mit Verweis auf religiöse Überzeugungen nicht immer eingehalten. Bei einem illegalen Eingriff drohen Ärzten bis zu drei Jahre Haft.

Nach der Verschärfung des Abtreibungsrechts fiel die Zahl der offiziell durchgeführten Abbrüche von 1076 im Jahr 2020 auf 107 ein Jahr später. Laut FEDERA werden außerhalb des offiziellen Systems 150.000 Eingriffe jährlich durchgeführt. "Kein restriktives System kann Frauen von Abtreibung abhalten, wenn sie entschlossen sind, die Schwangerschaft abzubrechen. Die Frage lautet nur, ob sie das unter sicheren oder weniger sicheren Bedingungen machen",  sagt Frauenrechtlerin Kacpura.

Nach dem Tod einer 30-Jährigen, die in der 22. Schwangerschaftswoche starb, protestieren Demonstranten in Posen im November 2021 gegen das strikte Abtreibungsverbot. Ärzte hatten ihr die möglicherweise lebensrettende Abtreibung verweigert.Bild: JAKUB ORZECHOWSKI/Agencja Wyborcza/REUTERS

Nach Angaben des Europäischen Parlaments vom 6. November 2022 sind seit der Verschärfung des Rechts mindestens sechs Frauen in Polen an den Folgen eines unterlassenen Schwangerschaftsabbruchs gestorben.

Hardliner aus Polens Pro-Life Bewegung sind mit dem derzeitig geltenden strikten Abtreibungsrecht immer noch nicht zufrieden. Ihre Chefin Kaja Godek will alle Informationen über Abtreibungsmöglichkeiten verbieten. Ein Gesetzentwurf, den 150.000 Personen unterzeichnet hatten, sieht zwei Jahre Haft für Herstellung und Verbreitung solcher Informationen vor. Der Titel des Papiers: "Abtreibung ist Totschlag".

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.