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Politik

Die Abtreibungsdebatte spaltet Polen

26. März 2018

Das polnische Parlament will über eine Verschärfung des bereits restriktiven Abtreibungsgesetzes abstimmen. Immer mehr Polinnen treiben im Ausland ab, da viele Ärzte auch den legalen Schwangerschaftsabbruch verweigern.

Polen Proteste gegen Abtreibungsgesetz
Proteste gegen das Abtreibungsgesetz in WarschauBild: picture-alliance/Zumapress/I. Berezowska

"Vor genau drei Jahren entschloss ich mich zur Abtreibung, weil meine Tochter keine Schädelknochen hatte. Ich habe es getan, obwohl ich gläubig bin. Das konnte ich für mein Kind tun: Sie nicht leiden lassen. Aber ich konnte auch etwas für meine älteren Kinder tun: Sie nicht der Mutter berauben. Mein Leben war auch in Gefahr", schreibt Julita, 36 Jahre alt, in einem der zahlreichen polnischen Frauenportale.

Gewissensklausel geht vor Gesetz

"Die Tatsache, dass du abgetrieben hast, macht aus dir keinen Monster", so wird Julita schnell von einer anderen Frau getröstet, die gleich auch die Geschichte ihrer Schwester erzählt. Deren Schwangerschaft sei für ihre eigene Gesundheit gefährlich gewesen, doch sie sei zur Geburt gezwungen worden. Alle Frauenärzte in ihrer südpolnischen Heimatstadt seien stramme Katholiken und beriefen sich auf die sogenannte Gewissensklausel. "Es ist ein Skandal, dass Ärzte das Recht haben, die gesetzlich erlaubte Abtreibung zu verweigern", empört sich eine Schülerin aus Krakau. Die Abtreibungsdebatte ist in Polen wieder im vollen Gange.

Die Volksinitiative "Stoppt Abtreibung"

Schon jetzt hat Polen eines der restriktivsten Gesetze in Europa. Die Abtreibung ist nur bei Lebensgefahr für die Mutter, bei schweren Fötusschäden und bei Straftat wie Vergewaltigung oder Inzest zugelassen. Ein Arzt, der die Abtreibung vornimmt, muss theoretisch mit der Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und acht Jahren rechnen.

Jaroslaw Kaczynski, der starke Mann Polens, verlangt die Verschärfung des AbtreibungsrechtsBild: imago/Eastnews

Der Volksinitiative "Stoppt Abtreibung", der 800.000 Menschen angehören, sind auch die wenigen Ausnahmen zu liberal. Vorige Woche hat der Rechtsausschuss des Parlaments dem Gesetzentwurf zugestimmt, laut dem künftig auch schwer kranke und missgebildete Föten nicht mehr abgetrieben werden dürften. Es würden nur zwei Ausnahmen bleiben: Lebensgefahr für die Mutter und Straftat.

Wie vor 100 Jahren

Am vergangenen Freitag gingen 90.000 Menschen in ganz Polen auf die Straßen, um gegen die drohende Verschärfung des Gesetzes zu protestieren. Eine von ihnen war Anita Kucharska-Dziedzic, Univerisitäts-Dozentin im Fach Polnische Literaturgeschichte, die zudem ehrenamtlich die NGO "Baba" im westpolnischen Grünberg (pl. Zielona Góra) betreibt. Das Wort "Baba" bedeutet im Polnischen "Weib" und soll in diesem Fall die Kraft der Frauen ausdrücken.

Anita Kucharska-Dziedzic, Gründerin und Leiterin der NGO "Baba"Bild: Privat

Wenn die NGO "Baba" ihre Demonstrationen organisiert, kommen viele Frauen in einer Verkleidung als Feministinnen von Anfang des 20. Jahrhunderts - mit Hüten, Korsetts und Regenschirmen. Die Botschaft lautet: 1918 hat Polen seine Unabhängigkeit erreicht und seit dieser Zeit hat sich in Sachen Frauenrechte nichts geändert.

Ein Instrument der Macht

In der wieder aufkochenden Abtreibungsdebatte ginge es den Politikern nicht wirklich darum, die Anzahl der Eingriffe zu reduzieren, sondern darum, "mit Angst zu regieren", meint die Gründerin von "Baba" im Gespräch mit DW. "Wer die Macht über intime Entscheidungen des Menschen gewinnt, der hat die ganze Macht über ihm", sagt sie.

Die angestrebte Verschärfung des Abtreibungsrechts ist dabei nur eine der Maßnahmen, mit denen die national-konservative PiS versucht den bisher einigermaßen offenen und liberalen Charakter der polnischen Gesellschaft zu verändern. Nach der Machtübernahme durch die PiS haben hochrangige Politiker, darunter Präsident Andrzej Duda und der Gleichberechtigungsbeauftragte der Regierung Adam Lipinski den Sinn der Europakonvention gegen häusliche Gewalt in Frage gestellt. Die PiS hat auch fast alle Subventionen an die unabhängigen NGOs, die sich mit Frauenrechten beschäftigen, gestrichen und damit viele Projekte lahmgelegt. In manchen Schulen wird die früher obligatorische Sexualkunde stark reduziert.

Hilfe in Deutschland

Laut offiziellen Statistiken würden ungefähr 1000 Polinnen jedes Jahr legal abtreiben. Die Warschauer NGO "Föderation zur Familienplanung" schätzt die Zahl aller Schwangerschaftsabbrüche hingegen auf 150.000 pro Jahr, von denen 15 Prozent im Ausland stattfinden würden.

In Deutschland kann eine schwangere Polin auf Hilfe eines informellen Berliner Netzwerks "Ciocia Basia" rechnen. "Ciocia Basia" bedeutet auf Polnisch "Tante Barbara". Ein Name, der nicht besonders auffällt, wenn er auf dem Handydisplay erscheint, da viele Polen Tanten mit Namen Barbara haben. Die Aktivisten von "Ciocia Basia" schaffen Kontakte zu Ärzten, können aber auch eine Übernachtung bei Privatpersonen organisieren oder sogar finanziell unterstützen, falls die Frau aus Polen die Summe zwischen 300 und 500 Euro selbst nicht aufbringen kann. Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland bis zur 12. Woche aus medizinischen und sozialen Gründen möglich.

"Mein Körper - meine Wahl" steht auf dem TransparentBild: Getty Images/AFP/J. Skarzynski

Polarisierung der Gesellschaft

Die Abtreibungsdebatte polarisiert die Gesellschaft und viele Menschen in Polen identifizieren sich nicht mit aktuellen Frauenprotesten. Das hat auch eine Frau erlebt, als sie nach einer Demonstration in Warschau in der Straßenbahn nach Hause fuhr. Wie sie in einem Leserbrief in der liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza schrieb, fielen laute Kommentare wie "Diese Feministinnen sind zum Kotzen" oder "Wenn ich eine solche Tochter hätte, würde ich sie verprügeln" als man sie als eine Teilnehmerin der Proteste identifizierte. Sie wurde sogar direkt als "Hure" beschimpft.

Die Abstimmung über das restriktive Gesetz ist für Mitte April geplant, davor soll es weitere Demonstrationen der liberalen Kritiker, aber auch der Pro-Life-Organisationen geben. Eine Abstimmung über eine mögliche Liberalisierung der aktuellen Gesetzgebung ist im Januar im Parlament gescheitert.

Falls die Verschärfung des Gesetzes angenommen wird, müssten Frauen auch Kinder austragen, die keine Überlebenschance nach der Geburt hätten. Diese Kinder könnten dann im katholischen Sinne "getauft und beerdigt werden, und sie könnten einen Namen tragen", meint der Vorsitzende der Regierungspartei PiS Jaroslaw Kaczynski. Laut einer Umfrage vom Januar 2018 möchten aber über 70 Prozent der Polen lieber die jetzigen Regelungen bestehen lassen.

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