Abu Ghoreib beschäftigt Militärjustiz erneut
20. September 2005Es könnte eng werden für Lynndie England, wenn jetzt ihr Fall erneut vor dem Militärgericht verhandelt wird. Im ersten Prozess wäre die 22-Jährige, die durch die Folter-Bilder aus dem irakischen Militärgefängnis Abu Ghoreib zur bekanntesten Soldatin der Welt wurde, fast mit 30 Monaten Haft davongekommen. Gegen die Zusicherung der Straferleichterung hatte England, die Zeugen als geistig zurückgeblieben beschrieben hatten, damals ein Schuldbekenntnis abgegeben - nachdem sie zuvor erklärt hatte, auf Befehl gehandelt zu haben. Der vorsitzende Richter wies das Geständnis deshalb als ungültig zurück; der Prozess war damit gescheitert. Im neuen Verfahren, bei dem der gleiche Richter den Vorsitz führen wird, wird England nun auf nicht schuldig plädieren, kündigten ihre Anwälte an. Bei einer Verurteilung drohen ihr bis zu 16 Jahre Haft.
Nur Bauernopfer?
Insgesamt wurden sieben Soldaten wegen der Misshandlungen angeklagt; die höchste Strafe erhielt Charles A. Graner, der zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Verurteilten hatten eines gemeinsam: einen niedrigen Dienstrang. "Es gab keine hinreichende Untersuchung der Rolle höherer Offiziere und Beamter", erklärt Sharon Critoph vom Internationalen Sekretariat der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Davon abgesehen hätten die Folteropfer keinerlei Entschädigungen erhalten und seien zum Teil entlassen worden, ohne je den Grund ihrer Haft zu erfahren. "Der Umgang mit dem Skandal war bisher grob unzureichend", sagt Critoph.
"Das sind isolierte Einzelfälle", hatte der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im vergangenen Jahr erklärt. Recherchen amerikanischer Zeitungen ergaben indessen ein völlig anderes Bild. Demnach wurde im August 2003 Geoffrey Miller, der damalige Chef des berüchtigten Gefangenenlagers Guantanamo Bay, in den Irak geschickt, um den Aufbau von Abu Ghoreib zu unterstützen. Später schickte er so genannte Tiger Teams von Verhörspezialisten als Berater und Ausbilder. "Innerhalb von Wochen nach seiner Abreise wurden Militärhunde in Verhören eingesetzt und nackte Gefangene von Militärpolizisten während Nachtschichten erniedrigt und missbraucht", berichtete etwa die "Washington Post".
Beratung aus Guantanamo
Im Juli 2005 hatten Armee-Ermittler dem Kongress berichtet, dass unter der Aufsicht von Miller ein Gefangener in Guantanamo mit knurrenden Hunden bedroht worden war, Damenwäsche auf seinem Kopf tragen musste und an einer Hundeleine umhergeführt wurde - Verhörtechniken, die später durch die Skandal-Bilder aus Abu Ghoreib weltweit bekannt wurden. Die Vorwürfe betreffen auch Rumsfeld selbst: Der Verteidigungsminister hatte im Dezember 2002 zahlreiche Misshandlungstechniken, darunter den Einsatz von Hunden genehmigt. Erst nach dem Protest von Militäranwälten gab Rumsfeld eine neue, leicht eingeschränkte Liste erlaubter Techniken heraus.
Inzwischen sei die Situation in Abu Ghoreib eine völlig andere, sagt Saad Sultan, im irakischen Menschenrechtsministerium zuständig für die Überwachung der Gefängnisse, am Telefon: "Alles ist verändert worden: Die Verwaltung, die Regeln, der Umgang mit den Gefangenen." Nichtregierungsorganisationen und die Medien hätten inzwischen Zugang zu den Gefängnissen. Mindestens alle zwei Wochen besuchten Vertreter des Ministeriums Abu Ghoreib und zwei weitere Gefängnisse.
Folter-Verbot verhindert
"Natürlich musste es nach dem großen Skandal einige Verbesserungen geben", sagt Sharon Critoph von Amnesty. "Aber es gibt nicht nur Abu Ghoreib." Es kämen nach wie vor Berichte über Folter aus dem Irak, Afghanistan und Guantanamo. Zudem seien Gefangene auf Ersuchen der USA in Ländern wie Ägypten und Jordanien inhaftiert, wo sie ebenfalls gefoltert würden. "Wir fordern daher eine unabhängige Untersuchung aller Aspekte der Haft- und Verhörmethoden in Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Terror", sagt Critoph. Nur so ließen sich die Voraussetzungen schaffen, um Folter künftig zu unterbinden.
Die Chancen dafür dürften schlecht stehen. Gerade erst stießen zwei republikanische Senatoren auf den massiven Widerstand des Weißen Hauses, als sie vorschlugen, "grausame, inhumane und erniedrigende Behandlung" von Gefangenen des US-Militärs zu verbieten. Der "Washington Post" zufolge traf sich Vize-Präsident Dick Cheney mit den Senatoren, um deutlich zu machen, dass ein solches Gesetz die Fähigkeit des Präsidenten einschränken würde, "Amerikaner effektiv vor Terroranschlägen zu schützen".