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Politik

Abzug von Soros-Institutionen aus Ungarn?

20. April 2018

Die ungarische Regierung plant ein "Stop-Soros"-Gesetz. Sollte das kommen, will die Open-Society-Stiftung des US-Börsenmilliardärs ihren Budapester Sitz schließen. Das wäre ein Schritt von großer symbolischer Bedeutung.

Ungarn | Anti-Soros Plakate
Soros wurde von Orbán zum Hauptfeind Ungarns erklärtBild: AFP/Getty Images

Alles fing 1984 in Budapest an - damals begann der US-Börsenmilliardär und Philantrop George Soros, antikommunistische Oppositionelle zu unterstützen, unter anderem mit Fotokopierern. Später gründete der in Budapest geborene Holocaust-Überlebende in der ungarischen Hauptstadt die Central European University. Ganze Generationen von Intellektuellen, Akademikern und Menschenrechtsaktivisten profitierten von den Milliarden, die Soros in den letzten Jahrzehnten über seine Open Society Stiftung spendete. 

Diese Ära könnte nun zu Ende gehen: Die Open Society Stiftung (OSF) erwägt unter bestimmten Umständen, ihren Sitz in der ungarischen Hauptstadt Budapest zu schließen und in ein anderes Land umzuziehen. Der Grund: das geplante so genannte "Stop-Soros"-Gesetz der ungarischen Regierung. Falls dieses Gesetz in seiner jetzigen Form verabschiedet wird, was die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán für Anfang Mai plant, würde die Open Society Stiftung Ungarn wohl verlassen. Das sagte der OSF-Sprecher in Budapest Daniel Makonnen gegenüber der Deutschen Welle.

Anti-Soros-Propaganda in Budapester TageszeitungBild: DW/B. Knight

Er dementierte damit einen Bericht der österreichischen Tageszeitung "Presse",laut dem die OSF bereits zum August dieses Jahres einen Umzug nach Berlin geplant habe. Das sei "bisher nur eine Option". Ein Umzug werde aber mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgen, wenn das "Stop-Soros"-Gesetz in seiner jetzigen Form in Kraft träte, denn dann mache die Arbeit der OSF in Ungarn keinen Sinn mehr. Das Gesetz sieht unter anderem Strafsteuern und eine Registrierungspflicht für Nicht-Regierungsorganisationen vor, die "illegale Migration" fördern. Das würde die Spendentätigkeit der OSF massiv einschränken. 

Soros - Staatsfeind Nr. 1

Die Open Society Stiftung ist nicht die einzige von Soros gegründete Institution, die einen Rückzug aus Ungarn erwägt. Auch die Budapester Central European University sieht sich nach alternativen Standorten um. Im letzten Jahr hatte die ungarische Regierung eine "Lex CEU" verabschieden lassen - eine Novelle des Hochschulgesetzes, die sich speziell gegen die CEU richtete und es ihr unmöglich machen sollte, weiter in Ungarn zu funktionieren. Zwar hat die Orbán-Regierung ein Einlenken signalisiert, allerdings ist die Zukunft der CEU weiterhin in der Schwebe. Daher hat die Universität mit der Stadt Wien eine Erklärung über die mögliche Eröffnung eines Campus' unterzeichnet. Bisher allerdings betont die CEU-Leitung, dass sie weiterhin anstrebe, in Budapest bleiben zu wollen.

Ein Abzug der Soros-Institutionen sähe auf den ersten Blick aus, als hätte Viktor Orbán gesiegt: Über Jahre hinweg hat Orbán den US-Börsenmilliardär zum Hauptfeind Ungarns aufgebaut. In mehreren großangelegten Regierungskampagnen wurde Soros beschuldigt, den ungarischen Staat und die ungarische Nation wie auch Europa insgesamt zerstören zu wollen, vor allem durch die Ansiedlung von Flüchtlingen. Dabei richteten sich die Kampagnen auch gegen Nicht-Regierungsorganisationen, eine der letzten funktionierenden Säulen der Machtkontrolle in Ungarn.

Imageschaden für Ungarn

Erst letzte Woche hatte die regierungsnahe Wochenzeitung Figyelö eine Liste mit den Namen von mehr als 200 "Soros-Söldnern" veröffentlicht, darunter viele Akademiker der CEU, Journalisten sowie sämtliche Mitarbeiter der wichtigsten ungarischen NGOs. Orbán hieß die Veröffentlichung in seinem wöchentlichen Interview im staatlichen Kossuth-Radio ausdrücklich gut. Es gehe um Transparenz. Wenn die Menschen Entscheidungen treffen wollten, müssten sie wissen, wer wen finanziere. Orbán forderte die Medien explizit auf, in diesem Sinne weitere "Netzwerke aufzudecken".

Langfristig könnte sich Orbáns Soros-Bashing jedoch als Bumerang erweisen. Ein Abzug der Soros-Institutionen hätte einen immensen Symbolcharakter und eine erhebliche Signalwirkung - immerhin hat George Soros einen großen Beitrag zur Demokratisierung der ehemals kommunistischen Diktaturen in Osteuropa geleistet und dafür so viel gespendet wie kein anderer Mäzen auf der Welt. Dass sich Soros-Institutionen aus politischen Gründen aus einem EU-Land zurückziehen, wäre ein Präzedenzfall - bisher war das nur in Staaten wie Russland der Fall.

Orbans "schwarze" Journalistenliste

Dass in einem EU-Land überhaupt solche Schritte in Erwägung gezogen werden, ist an sich schon beispiellos. Zugleich zeugt es von dem öffentlichen Klima in Ungarn, das zunehmend vergiftet, voller Hass und zugleich auch angsterfüllt ist. Viele Menschen fürchten sich inzwischen, in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen, insgesamt herrscht eine deutlich drückendere Atmosphäre als gegen Ende der 1980er Jahre, als viele Menschen sich mit mehr Offenheit äußerten als heute.

DW-Autor Keno Verseck ist auch auf der "schwarzen Journalistenliste"Bild: privat

Unterdessen gibt es bereits eine neue "Feindesliste" - diesmal nicht mit "Soros-Söldnern", sondern mit ausländischen Journalisten. Veröffentlicht wurde sie in der Regierungszeitung Magyar Idök, in Ungarn das quasiamtliche Verlautbarungsmedium schlechthin. Auf ihr stehen neben dem Autor dieses Artikels auch weitere Ungarn-Korrespondenten, darunter Gregor Mayer (dpa), Bernhard Odehnal (Tagesanzeiger), Meret Baumann (NZZ) und Ernst Gelegs (ORF). Die ungarische Regierung solle "darüber nachdenken und analysieren, ob sie Antwortschritte" gegen diese und andere Budapester Korrespondenten unternehmen könne, fordert Magyar Idök. Begründung: Die "Sklavenarbeit" dieser Journalisten bestehe darin, "die widerwärtigsten Lügen der ultraliberalen Opposition an zig und zig Millionen überall in der Welt ohne jeglichen Filter zu übermitteln".

 

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