Adis Ahmetovic: EU-Integration des Westbalkan vorantreiben
18. Juli 2025
DW: Im Deutschen Bundestag wurde in diesem Jahr erstmals offiziell des Völkermords von Srebrenica vor 30 Jahren gedacht. Was sind die Lehren von Srebrenica für den Westbalkan heute, und insbesondere für den jungen Staat Kosovo?
Adis Ahmetovic: Wir müssen die Lage auf dem westlichen Balkan tagesaktuell und kontinuierlich begleiten. Westbalkanpolitik darf keine Konjunkturpolitik sein, sondern muss fester Bestandteil unserer außenpolitischen Agenda bleiben. Ich beobachte dabei sehr genau die Entwicklungen in Albanien, Serbien und in Kosovo. Unser Interesse ist eine stabile politische Lage. Für Kosovo bedeutet das konkret: Wir wollen, dass dieses Land so bald wie möglich - aus SPD-Sicht lieber gestern als morgen - Mitglied im Europarat wird.
Wann wird die Bundesregierung das Thema Kosovo im Europarat nun aufgreifen?
Ein konkretes Datum kann ich nicht nennen. Aber als außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion kann ich Ihnen klar sagen: Mein Kollege Frank Schwabe und ich werden uns dafür engagieren, dass die SPD auf Kurs bleibt - auch in Bezug auf die Unterstützung für den Beitritt Kosovos zum Europarat. Ich finde es sehr bedauerlich, dass es in der vergangenen Legislaturperiode - trotz Ampel-Regierung - nicht gelungen ist. Es gab ein strategisches Momentum, das man hätte nutzen können. Mit mehr politischem Druck wäre es vielleicht möglich gewesen.
Auf wen hätte man mehr Druck ausüben müssen?
Die Bundesregierung hätte gegenüber den Mitgliedsstaaten des Europarats mehr Überzeugungsarbeit leisten müssen. Es gab Länder, die sich gegen den Beitritt ausgesprochen haben. Deutschland hat in diesem Gremium ein großes Gewicht - und dieses sollten wir mit einem gewissen demütigen Selbstbewusstsein auch einsetzen. Beim letzten Mal ist es nicht gelungen. Aber wir als SPD-Fraktion bleiben am Ball. Außenminister Johann Wadephul wie auch die Unions-Fraktion haben sich klar für die Mitgliedschaft Kosovos ausgesprochen - daran werden wir sie erinnern und messen.
Die EU-Mitgliedschaft gilt als langfristige Garantie für Frieden. Einige Länder - etwa Albanien oder Montenegro - streben einen Beitritt vor 2030 an. Wäre das eine Vollmitgliedschaft oder nur eine assoziierte?
Wenn wir Stabilität auf dem westlichen Balkan wollen, müssen wir den EU-Integrationsprozess ernsthaft und für alle sechs noch nicht beigetretenen Länder vorantreiben. Auch Kosovo braucht eine glaubwürdige und transparente EU-Perspektive. Mindestens genauso wichtig wie der EU-Beitritt ist die Mitgliedschaft in der NATO. Beide - EU und NATO - sind entscheidend für ein Leben in Frieden, Freiheit und Sicherheit. Ich kann nicht konkret abschätzen, wann es so weit ist, aber ich werde mich als SPD-Abgeordneter weiter dafür stark machen. Dazu gehört aber auch: Die sechs Länder müssen ihre Hausaufgaben machen - Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, Albanien und Nordmazedonien.
Was Hausaufgaben betrifft: Kosovos Parlament hat es bisher - nach fast 50 Versuchen - nicht geschafft, eine Parlamentspräsidentin zu wählen. Wie schädlich ist das für die EU-Integration des Landes?
Die Partei von Premierminister Albin Kurti ist die SPD-Schwesterpartei. Ich stehe in engem Kontakt mit der kosovarischen Regierung. Wir wollen ein stabiles Regierungshandeln, ein funktionsfähiges Parlament. Das ist nämlich für alle nachfolgenden Schritte notwendig. Nur wenn das weiterhin gelingt, kann Kosovo im Europarat, im EU-Beitrittsprozess und vielleicht bald in der NATO vorankommen. Diese Prozesse sind eng miteinander verknüpft.
Neulich war eine Delegation der albanischen Minderheit in Serbien zu Gesprächen in Berlin, auch im Bundestag. Sie beklagten Diskriminierung - insbesondere durch die sogenannte "Passivierung" von Adressen. Was haben Sie aus dem Gespräch mitgenommen?
Ich bin ein Politiker des offenen Visiers - und sage offen: Die Situation der albanischen Minderheit in Serbien stand bislang weder auf der deutschen noch auf der europäischen Agenda weit oben. Ich bin der Delegation, die den Deutschen Bundestag besucht hat, dankbar, dass sie diesen langen Weg auf sich genommen hat, um die Situation vor Ort zu schildern. Ich begrüße sehr, dass sie von Wissenschaftler:innen vom Max-Planck-Institut aus Göttingen begleitet wurden.
Serbien hat drei Abkommen unterzeichnet, die eine Integration der albanischen Minderheit in Justiz, Polizei und Verwaltung vorsehen. Wenn Serbien ernsthaft EU-Mitglied werden will, muss es diese Verpflichtungen einhalten.
Die Albaner im Süden Serbiens fordern, dass ihr Anliegen Teil des Kosovo-Serbien-Dialogs wird. Unterstützen Sie das?
Was die serbische Regierung für die serbische Minderheit in Kosovo einfordert, sollte gleichermaßen für die albanische Minderheit in Serbien gelten. Nichts im Leben ist eine Einbahnstraße. Dieselben Standards sollten für alle Minderheiten gelten - in Serbien ebenso wie in Kosovo. Ich finde die Forderung der albanischen Minderheit, das Thema im von der EU moderierten Dialogprozess auf die Tagesordnung zu setzen, völlig legitim. Ich habe das als klaren Arbeitsauftrag mitgenommen und werde es einbringen.
Der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic, Jahrgang 1993, ist der Sohn von Eltern, die während der Bosnien-Kriegs nach Deutschland flüchteten. Seit 2021 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.