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100 Jahre Hitlers "Mein Kampf" - Hetze mit Nachwirkungen

17. Juli 2025

Am 18. Juli 1925 veröffentlichte Adolf Hitler seine Programmschrift "Mein Kampf" - ein krudes Machwerk, in dem er seine Gewaltphantasien offenlegte. Sein ideologisches Vermächtnis bleibt bis heute gefährlich.

Adolf Hitler steht im Jahr 1924 in einen langen Mantel gekleidet an einem Auto in der Stadt Landsberg am Lech. Im Hintergrund ist ein Tor zu sehen.
Adolf Hitler bei seiner Haftentlassung in Landsberg am Lech, 1924. Während seiner Haft schrieb er seine Hetzschrift "Mein Kampf"Bild: dpa

Adolf Hitler lebt. Zumindest im Internet. Wer zu einem x-beliebigen Zeitpunkt auf der Plattform X des Techmilliardärs Elon Musk als Suchwort "Hitler" eingibt, wird auf Einträge stoßen, die erst wenige Sekunden alt sind. Das Netz ist voller Hitler: Hitler-Fotos, Hitler-Memes, Hakenkreuze. "Heil Hitler"-Parolen. Überall versprühen Antisemiten, Rassisten, Verschwörungsideologen, Antidemokraten und Hitler-Anhänger ihr ideologisches Gift. In Deutschland, in Europa, in den USA, in Lateinamerika, im Nahen Osten, in Indien.

Der deutsche Diktator ist seit achtzig Jahren tot, aber mit dem Massenmörder Adolf Hitler lassen sich bis heute gute Geschäfte machen. Antiquariate verdienen weltweit an alten Ausgaben des Hitler-Pamphlets "Mein Kampf". Eine deutsche Ausgabe kostet rund 250 Euro, die spanische Version "Mi Lucha" über 300 Euro, und für die englischsprachige Ausgabe "My Struggle" müssen bei einschlägigen Online-Portalen rund 600 Dollar bezahlt werden. Auf ägyptischen Märkten und indischen Online-Portalen gibt es die Schrift schon für kleines Geld.

Das Buch gilt heute als Programmschrift, in der Adolf Hitler sein fanatisches Weltbild ausgebreitet hat, seinen mörderischen Antisemitismus und seine Verachtung für Demokratie und gesellschaftliche Vielfalt - und das bereits acht Jahre bevor er 1933 an die Macht kam. Die Deutschen erhebt er in "Mein Kampf" zu Herrenmenschen. Und weit vor Beginn des Zweiten Weltkrieges träumt er von einer "Germanisation" Osteuropas und der gewaltsamen Vertreibung von Millionen von Menschen.

Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" als editierte polnische Fassung und im Original von 1942Bild: Wojtek Radwanski/AFP

"Das Kampfmotiv liegt im Titel schon begründet - da ist eigentlich der gesamte Rassismus mit hineingepackt", erklärt der österreichische Historiker Othmar Plöckinger im Gespräch mit der DW. "Das heißt, der Stärkere setzt sich durch, die stärkere Rasse setzt sich durch. Aber auch ganz individuell im Kampf um Positionen um Ämter setzt sich der durch, der am Willensstärksten ist, der am Skrupellosesten ist, der im weitesten Sinne von besserer Rasse oder vom besseren Fähigkeiten ist."

Othmar Plöckinger ist einer der herausragenden Kenner der Materie. Und er hat eine der wenigen wirklich aufschlussreichen Ausgaben der Kampfschrift mit herausgegeben. Es ist die editierte Ausgabe von "Mein Kampf". Deutsche und österreichische Historikerinnen und Historiker haben in ihr auf 2000 Seiten die Gedanken und die Sprache Hitlers Wort für Wort durchgearbeitet und eingeordnet.

Als das Buch am 18. Juli 1925 veröffentlicht wurde, war es alles andere als ein Paukenschlag. Hitler war ein abgehalfterter Putschist, der gerade wegen Hochverrats über ein Jahr im Gefängnis verbracht hatte. Seine nationalsozialistische Bewegung war klein und ohne großen politischen Einfluss in Deutschland und Österreich. Hitler stand vor dem politischen Aus.

Und es gab damals viele völkische Kampfschriften und Gefängniserinnerungen auf dem Buchmarkt. Auch war Hitlers Buch wenig originell - inhaltlich war es selbst für viele Anhänger eine Enttäuschung, erklärt Othmar Plöckinger: "Es gibt diese berühmte Stelle aus der 'Deutschen Zeitung', die Hitler auch sehr verärgert hat. Wo dann geschrieben wird: Wir sind seit 40 Jahren im völkischen Abwehrkampf und jetzt kommt ein junger Putschist (Hitler) daher und will uns erklären, was politisches Denken ist!" Trotzdem wurde es zum Bestseller und war für Hitler ein finanzieller Erfolg.

Ankündigung einer Katastrophe

Das Besondere an Hitlers Werk ist, dass er, anders als andere Diktatoren, mit "Mein Kampf" seine Absichten offenlegt. Er verheimlicht seine Gewaltphantasien nicht. In der editierten Ausgabe analysieren die Herausgeber: "Er kündigt entschlossen Krieg an: ein künftiger Krieg werde ein Existenzkampf, bei dem alle Erwägungen von Humanität und Ästhetik in ein Nichts zusammen(fallen) müssten." Die Gewaltherrschaft unter Adolf Hitler war also eine Herrschaft mit Ankündigung.

Und die Herrschaft erlangte er nicht alleine: Bei den Reichstagswahlen im Jahr 1933 gaben 17.277.180 Deutsche Adolf Hitler und seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, NSDAP, die Stimme und ebneten ihm den Weg an die Macht. 

Deutscher Massenmord im Konzentrationslager Auschwitz: hunderttausende Juden wurden direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordetBild: picture-alliance/dpa/Mary Evans Picture Library

Was folgte war ein entfesselter Krieg in Europa und der Holocaust, der industrielle Massenmord an den europäischen Juden - er gilt als beispiellos in der Menschheitsgeschichte. Der NS-Staat und seine Anhänger bekämpften alle, die sie zu Feinden des vermeintlichen deutschen Volkes erklärten, mit grausamer Brutalität.

Mit Hitlers Selbsttötung am 30. April 1945 und dem Ende des Zweiten Weltkrieges acht Tage später ging sein Herrschaftssystem unter. Seitdem verpflichten sich die Deutschen: "Nie wieder!" 

Gilt "Nie wieder" auch heute noch?

"Trotz der 'Nie wieder'-Bekundungen nach 1945, zeigt der Antisemitismus wieder sein hässliches Gesicht", bilanziert die britische Historikerin Lisa Pine im DW-Interview. Sie lehrt am Institute of Historical Research an der University of London. "Und die giftige Sprache erinnert bedauerlicherweise und beschämender Weise an Hitlers Schriften von vor einem Jahrhundert."

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Pine beobachtet, dass nicht nur Hitlers Antisemitismus überlebt hat, sondern auch seine Demokratiefeindlichkeit. Deswegen sei es auch heute noch wichtig, sich mit Hitlers Schriften auseinanderzusetzen. "Meine Studenten waren immer sehr überrascht, ja schockiert, wenn wir Auszüge aus 'Mein Kampf' analysiert haben. Erst als sie die Worte schwarz auf weiß geschrieben sahen, begannen sie zu verstehen, womit sie es bei Hitler zu tun hatten. Es war aufschlussreich; und es ist lehrreich."

"Die Distanz bröckelt"

Auch Nikolas Lelle von der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus beobachtet eine gefährliche Rückkehr rechtsextremer Ideologie. Die Distanz würde bröckeln, beschreibt er im DW-Interview. Zu beobachten sei das in den Gedenkstätten zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen. "Wir wissen aus Gedenkstätten, dass da Schulklassen, die aus dem ländlichen Raum kommen, jetzt mittlerweile fast immer Personen dabei haben, die rechtsextreme Kleidermarken tragen oder rechtsextreme Aufschriften auf ihren T Shirts haben." Auch Hakenkreuzschmierereien gehörten in Deutschland wieder zum Alltag

Alarmierend sei auch, dass vor allem junge Rechtsextremisten in den vergangenen Jahren gewaltbereiter geworden seien. Die Gewalt sei mittlerweile soweit vorangeschritten, dass Organisationen wie die Amadeu Antonio Stiftung konkrete Schutzmaßnahmen ergreifen müssten, so Lelle. "Man braucht eine Kamera, man braucht eine schusssichere Tür, man braucht jemanden, der einen im Zweifel mit Gewalt schützen kann. Wir reden hier also auch von Personenschutz durch die Polizei, teilweise auch durch Security. Wir erleben als Amadeu Antonio Stiftung auf unseren Veranstaltungen ein verrohtes Klima. Wir machen mittlerweile kaum noch Veranstaltungen zu Antisemitismus ohne Security-System."

Brandherd Social Media

Rund 100 Jahre nachdem Adolf Hitler seine Hetzschrift "Mein Kampf" veröffentlicht hat, sind viele Tabus im Umgang mit seinem menschenverachtenden Hass wieder gefallen. Das beobachtet auch der Historiker Matthew Feldmann von der Tesside University in Großbritannien. In einem Aufsatz beschreibt er die soziale und kulturelle Enttabuisierung der extremen Rechten als "dramatische Veränderung". Mitverantwortlich dafür vor allem auch: die Sozialen Medien. 

Die würden sich perfekt für die Doppelstrategie der extremen Rechten eignen, wie sie auch schon Adolf Hitler und seine faschistische Bewegung einsetzten: immer wieder würden mit radikalen Botschaften gesellschaftliche Tabus gebrochen, um sich dann an anderer Stelle als bürgerlich und konziliant zu präsentieren.

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Nicolas Lelle von der Amadeu-Antonio-Stiftung fordert deswegen eine viel stärkere gesellschaftliche Beschäftigung mit Social-Media-Plattformen. Und das eine entscheidende Lehre aus der Geschichte gezogen wird: "Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus brauchen klare Kante, klare rote Linien. Man muss diese Inhalte sozial ächten - und das müssen die Leute, die diese Inhalte vertreten, auch spüren."