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Adonis: "Ich bin gegen den institutionalisierten Islam"

Lina Hoffmann19. Februar 2016

Er gilt als bedeutender Dichter der arabischen Sprache und hat gerade den Erich Maria-Remarque-Friedenspreis bekommen. Adonis' politische Haltung im Syrien-Konflikt ist umstritten. Im Interview erklärt er seine Position.

Adonis
Bild: picture alliance/dpa/F. Gentsch

DW: Sie haben trotz aller Proteste seitens der syrischen Opposition den Erich-Maria Remarque-Friedenspreis bekommen, eine hohe Anerkennung. Hat Sie das erstaunt?

Adonis: Irgendwie hat es mich nicht erstaunt, denn ich glaube, dass die Mitglieder der Jury große Intellektuelle sind, und die wahren Intellektuellen kennen meine Position. Sie haben einstimmig für mich votiert. Mich hat der Mut der Jury erstaunt. Sie haben einen ethischen Mut bewiesen, den ich bewundere.

DW: Die Kritik gegen Sie war nicht gegen Ihr literarisches Werk, sondern gegen Ihre politische Position in der Syrien-Krise gerichtet. Man beschuldigt Sie, nicht der syrischen Opposition beigestanden zu haben. Warum haben Sie so gehandelt?

Es gibt viele Oppositionsgruppen in Syrien, und ich unterstütze die inländische Opposition, die sich gegen jegliche Art von Gewalt positioniert. Sie wird von Haytham Manna und seiner Gruppe geführt. Ich war und bin gegen die (syrische) Opposition im Ausland, die gewalttätig und theokratisch ist. Sie ist mit den US-Amerikanern, aber auch mit den Europäer liiert. Aber die USA können nicht auf der Seite der Freiheit und der freien Völker stehen. Es ist ein Land, das durch die Vernichtung eines Volkes, der Indianer, entstanden ist. Das darf man niemals vergessen. Es ist das erste Land, das die Atombombe eingesetzt hat. Die USA waren nie auf der Seite der Demokratien, sie sind mit den schlimmsten Regimen der Welt, nämlich Saudi-Arabien und Katar, verbündet. Auch einige europäische Länder waren früher kolonialistisch und imperialistisch, teilweise benehmen sie sich bis heute so. Ich war und bin gegen diese Opposition.
Sie plädieren für eine komplette Trennung von Staat und Religion. Ist das realistisch in einer Ecke der Welt, wo die Leute sehr gläubig sind?

Warum denn nicht? Wenn Europa in der Lage war, Kirche und Staat zu trennen, warum sollten dann die Araber, die in ihrer früheren Geschichte sehr weit entwickelt und freizügig waren, nicht in der Lage dazu sein? Der Islam ist eine totalitäre Religion. Er mischt sich in das persönliche Leben der Menschen ein. Ich bin dafür, dass das Individuum die Freiheit genießt. Ich war und bin gegen den institutionalisierten Islam, der einer ganzen Gesellschaft mit Gewalt aufgezwungen wird.

Viele sagen, dass Syrien die Wahl zwischen zwei Alternativen hat: entweder ein diktatorisches Regime oder die Islamisten.

Man soll sich mit keiner dieser Alternativen zufriedengeben. Ein Problem, das seit 14 Jahrhunderten existiert, kann aber nicht innerhalb einer Woche oder eines Jahres gelöst werden. Mein Leben lang habe ich mit der Opposition gearbeitet, die durch die Trennung von Staat und Religion demokratische Freiheiten anstrebt. Es ist unmöglich, eine Zivilgesellschaft in Syrien aufzubauen, solange es nur Pflichten, aber keine Rechte gibt. Die Demokratie kann nur durch die Trennung von Staat und Religion erreicht werden. Ein diktatorisches Regime ist die Konsequenz der Verherrlichung der Religion. Es ist die Mischung der politischen mit der religiösen Macht, und das muss sich ändern. Die Baath-Partei, die lange in den zwei großen Staaten Syrien und Irak regierte, ist eine Art von Muslim-Brüderschaft. Sie ist autokratisch. Erst durch die Veränderung der religiösen Strukturen wird der Weg für eine Demokratie frei. Eine Änderung des Regimes allein reicht nicht.

Sie empfinden die Religion als ein Hindernis im Entwicklungsprozess. Dabei gab es in der islamischen Geschichte durchaus Epochen, in denen Poesie und Wissenschaft weit verbreitet waren.

Außer zur Herrschaftszeit von Al-Khalifa Al-Ma'mun (Anmerkung der Redaktion: Herrscher von 786-833, der das Studium griechischer Philosophie in seinem Land förderte) wurden berühmte Denker und Schriftsteller umgebracht. Die Kalifen waren Despoten, sie haben nur die Geistlichen unterstützt. Die Dichter waren keine richtigen Muslime und glaubten nicht in dem wahren Islam. Man sollte die Geschichtsbücher in Frage stellen, denn sie wurden gefälscht. All diejenigen, die zur islamischen Kultur beigetragen haben, die Dichter, Philosophen und Denker, waren keine Muslime im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist schockierend für diejenigen, die ein falsches Wissen von der islamischen arabischen Geschichte haben. Man braucht unbedingt eine neue Lesart.

Keiner stellt Ihre literarischen Werke in Frage. Allein Ihre politische Ausrichtung hat viele verärgert. Hat ein Dichter und Denker keine politische Verantwortung?

Ich bin kein Politiker. Für mich ist Politik Teil der Kultur. Für andere gilt genau das Gegenteil. Sie verstehen die Kultur als Teil der Politik, damit bin ich nicht einverstanden. Die Politik wechselt und hat, anders als die Kultur, wenig mit Wahrheit zu tun.

Der Lyriker war immer ein streitbarer KopfBild: DW/M. Jovanoski
Adonis bei der Verleihung des FriedenspreisesBild: DW/L. Hoffmann
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