AfD im Bundestag: "Wir müssen uns Sorgen machen"
2. März 2025
Donald Trump, Elon Musk, Javier Milei - Politik im Jahr 2025 ist laut und grell und sorgt mit Donnerhall und Motorsäge für Schlagzeilen. Auch in Deutschland.
Hier treibt die Alternative für Deutschland (AfD) Gesellschaft und Medien vor sich her. Mit Provokationen, Anfeindungen und produzierter Dauererregung. Die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel zeichnet ein dauer-düsteres Bild von Deutschland. "Diese Regierung hasst Deutschland" beschwor die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel im Jahr 2024. Migranten in Deutschland beschimpfte sie schon mal als "Kopftuchmädchen" und "Messermänner". Der Lärm produziert Schlagzeilen. Schlagzeilen produzieren Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit produziert Erfolg. Erfolg produziert neuen Lärm - die rationale Aufmerksamkeitsökonomie der rechten Strategen.
Die konkrete Abwertung und Ausgrenzung von Menschen steht in Konflikt mit einem der elementaren Grundwerte der offenen, pluralistischen Gesellschaft: das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Es ist ein zentraler Grundsatz in der deutschen Verfassung: "Niemand darf wegen seiner Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."
Wenn Verfassungsrechtler vor der AfD als einer Gefahr für die Demokratie warnen, dann ist es vor allem wegen der Frage nach der Gleichbehandlung der Menschen. "Der Kern ist der Angriff der AfD auf die gleiche Freiheit der Menschen", analysiert Matthias Goldmann im Gespräch mit der DW. Goldmann ist Professor für internationales Recht an der EBS Universität im Bundesland Hessen. Er sieht in der Partei eine Gefahr für die Demokratie. "Die Verfassungswidrigkeit ergibt sich vor allem daraus, dass die AfD den Grundsatz der gleichen Freiheit nicht teilt. Die Verfassung garantiert In Deutschland die gleiche Würde der Menschen und dementsprechend auch die gleiche Freiheit."
AfD-Bundestagsabgeordneter: "individuelle Verfassungsfeindlichkeit"
Das stellen viele AfD-Politiker allerdings in Frage. Einer von ihnen ist Stefan Möller. Er ist jetzt Bundestagsabgeordneter für die AfD. Die Menschen in seiner Thüringer Heimat haben ihn mit überragendem Ergebnis zu ihrem Abgeordneten gewählt. Möller ist ein freundlicher und verbindlicher Mensch. Eher unscheinbar als ein Lautsprecher. Aber laut Presseangaben urteilt der der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes über Möller: seine "individuelle Verfassungsfeindlichkeit" sei erwiesen.
Das belegt auch ein Post von Möller vom 17. Juli 2023 auf Twitter: "Ob man Deutscher ist entscheidet sich zwischen den Ohren, nicht auf dem Papier." Möller stellt also die Zugehörigkeit von deutschen Staatsbürgern zum deutschen Staatsvolk grundsätzlich in Frage - für ihn gilt offensichtlich nicht, dass Deutscher ist, wer einen deutschen Pass besitzt. Das ist ein Frontalangriff auf die Grundwerte der Gesellschaft.
Und es ist der Grund, warum Millionen Menschen den Aufstieg der AfD fürchten. Weil sie Millionen Menschen aus Deutschland raus haben will. Und die Grenzen für die genauen Kriterien bewusst unscharf hält. Aber immer wieder sind auch Deutsche von den Deportationsphantasien der AfD betroffen: So wollte der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland zum Beispiel die ehemalige Bundestagspräsidentin Aydan Özoguz "in Anatolien entsorgen".
Und der einflussreiche AfD-Politiker Björn Höcke träumt in seinem Buch "Nie zwei Mal in denselben Fluss" von einem "groß angelegten Remigrationsprojekt". Das werde nicht ohne "wohltemperierte Grausamkeiten" auskommen, schreibt Höcke. "Das heißt, dass sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden."
Der Jurist Matthias Goldmann sieht in den Angriffen auf die Staatsangehörigkeit auch eine Gefahr durch die neu gewählte starke Bundestagsfraktion der AfD. "Da gibt es ja den Vorschlag, dass man bei bestimmten Straftaten, die von Migranten begangen werden, die doppelte Staatsbürgerschaft entziehen könnte", erklärt Goldmann im DW-Interview.
Angriff auf den demokratischen Grundkonsens
Die AfD habe es geschafft, dass solche Vorschläge mittlerweile schon von der Mitte der Gesellschaft diskutiert werden, so Goldmann. Er sieht darin eine Strategie der AfD. "Eine radikale Partei kann dann das Zusammenspiel unterminieren, in dem sie zum Beispiel Angebote für die konservativen Unionsparteien attraktiv macht und damit die Brandmauer zerstört." Das Ziel solcher Angebote sei es, den demokratischen Grundkonsens zu unterminieren.
Noch ist die AfD nicht stark genug, um im neu gewählten Bundestag eine weitreichende Blockadepolitik zu betreiben. Aber so weit entfernt ist sie davon auch nicht mehr. Zur Zeit hält die AfD knapp ein Viertel aller Mandate im Parlament. Mit einem Drittel der Abgeordnetenstimmen könnte sie zum Beispiel die Besetzung wichtiger Richterposten blockieren.
Die AfD profitiert davon, dass sich die Warnungen vor der Partei abzunutzen scheinen. Viele Menschen in Deutschland haben sich an die Dauerprovokationen gewöhnt. So wie viele US-Amerikaner sich an Donald Trump gewöhnt haben. Als haltlose Panikmache wehren AfD-Politiker solche Vorwürfe ab. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel dreht den Spieß um, und wirft den anderen Parteien vor, eine Gefahr für die Demokratie zu sein: "Sie machen Politik gegen die Bevölkerung", kritisierte sie in einer Bundestagsdebatte im Februar 2025.
Dabei setzt die Partei ihre radikale Einflussnahme längst in die Praxis um. Im kleinen Bundesland Thüringen, aus dem Stefan Möller für die AfD in den Bundestag einzieht, hat die AfD es geschafft, die sogenannte Sperrminorität zu erreichen: sie stellt mehr als ein Drittel aller Landtagsabgeordneten. Seit Wochen verhindert die AfD mit ihrer Sperrminorität die Wahl neuer Richter und Staatsanwälte im Bundesland. Und streut damit Sand ins Getriebe der funktionierenden Demokratie. Matthias Goldmann sagt: "Man kann sich an drei Fingern abzählen, was da der Hintergrund ist: die AfD möchte Einfluss auf die Justiz nehmen."
Einer der versiertesten Strippenzieher der Thüringer AfD ist Torben Braga. Als parlamentarischer Geschäftsführer hat er zahlreiche parlamentarische Schachzüge gegen die verhassten "Kartellparteien", wie die AfD die politischen Gegner beschimpft, vorbereitet. Jetzt sitzt der junge Jurist im deutschen Bundestag.
Matthias Goldmann warnt vor der neuen Stärke der AfD im deutschen Parlament. "Sie hat jetzt mehr Möglichkeiten als vor der Bundestagswahl, die demokratische Mitte zu spalten. Wie auch sechzehn weitere Verfassungsrechtler unterstützt er ein Verbotsverfahren gegen die Partei vor dem höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht.