1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wieder AfD-Erfolg: Wirtschaft erwartet negative Auswirkungen

Nadine Mena Michollek
23. September 2024

Thüringen, Sachsen und jetzt Brandenburg: Die in Teilen rechtsextreme AfD gewinnt erneut viele Wähler bei einer Landtagswahl im Osten Deutschlands. Die Wirtschaft zeigt sich besorgt.

Zwei Frauen lachen, singen und tanzen und halten dabei ein Schild hoch mit der Beschriftung "Millionenfach Abschieben".
Unterstützer der AfD in Potsdam feiern den Wahlabend singend mit einem Lied über die Abschiebung von FlüchtlingenBild: Sean Gallup/Getty Images

Die vom Verfassungsschutz in Brandenburg als "rechtsextremer Verdachtsfall" eingestufte Alternative für Deutschland (AfD) feiert den Wahlabend singend mit einem Lied über die Abschiebung von Flüchtlingen. Die Partei hat massiv Stimmen hinzugewonnen, auch wenn die Brandenburger SPD mit ihrem amtierenden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke stärkste Kraft geworden ist. Mit 29,2 Prozent wurde die AfD zweitstärkste Partei in dem ostdeutschen Bundesland.

Anfang September hatte die AfD bereits bei der Wahl in Thüringen den ersten Platz belegt, in Sachsen verfehlte sie ihn nur knapp.

Die Landesverbände der AfD in Sachsen und Thüringen stuft der Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" ein. Ökonomen und Wirtschaftsvertreter, mit denen die DW kurz vor der Wahl in Brandenburg gesprochen hat, befürchten, die Erfolge der AfD könnten  der Wirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern schaden.

AfD-Erfolge schrecken Fachkräfte ab 

"Viele Fachkräfte werden eher nach Westdeutschland oder in große Städte abwandern", sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), der DW. "Brandenburg wird wie Sachsen und Thüringen dadurch verlieren." 

Dabei leidet Deutschland ohnehin schon unter Fachkräftemangel: 2023 konnten 570.000 Stellen nicht besetzt werden. Zwar ist der Fachkräftemangel in den ostdeutschen Bundesländern, zu denen Brandenburg, Thüringen und Sachsen gehören, derzeit etwas niedriger als in Westdeutschland. Allerdings sind die Beschäftigten im Osten älter und es gibt weniger Nachwuchskräfte. 

Laut einer Untersuchung des ifo-Instituts erwarten 84 Prozent der befragten Ökonominnen und Ökonomen nach den AfD-Erfolgen in Thüringen und Sachsen negative oder sehr negative Folgen im Bereich "Attraktivität für Fachkräfte" in den Regionen.

Fratzscher betont, dass es dabei nicht nur um ausländische Fachkräfte gehe, "sondern es sind auch deutsche Unternehmen und deutsche Fachkräfte, die in vielen Fällen nicht in solchen Regionen zu Hause sein wollen".  

Menschen wollen Deutschland verlassen 

Eine deutschlandweite Befragung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) im März 2024 zeigte, dass fast jede zehnte Person mit Migrationshintergrund ernsthaft überlegt, Deutschland wegen der AfD-Erfolge zu verlassen. Bei Menschen aus der MENA-Region (Mittler Osten/Nordafrika) sind es sogar 18,9%. 

Schon jetzt gebe es wegen der negativen Stimmung in Deutschland eine Nettoabwanderung von ausländischen Fachkräften, sagt der Ökonom Alexander Kritikos, Professor an der Universität Potsdam und Forschungsdirektor im DIW Berlin. "Diese Reaktion hat bereits eingesetzt, völlig unabhängig von den jüngsten Landtagswahlen", so Kritikos zur DW. 

Die Wirtschaftsexperten, mit denen die DW gesprochen hat, betonen dennoch, dass die Mehrheit der Menschen in den Bundesländern nicht die AfD unterstütze und sie daher die Regionen auch weiterhin als attraktiv für Fachkräfte einschätzen.  

Eigentlich geht es für Brandenburg bergauf 

Im Allgemeinen sind die ostdeutschen Bundesländer, die ehemals Teil der DDR waren, wirtschaftlich schlechter gestellt als westdeutsche. Allerdings ging es wirtschaftlich für Brandenburg bergauf. Mit einem Wachstum von 2,1 Prozent hatte Brandenburg laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg die zweithöchste Wachstumsrate von allen 16 Bundesländern.

Der Pressesprecher der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Carsten Brönstrup, sieht die Entwicklung ebenfalls positiv. "Da ist Tesla natürlich eine ganz große Geschichte", sagte er der DW. Seit 2022 baut der US-Konzern Tesla im brandenburgischen Grünheide Elektroautos. "Wir glauben, dass Elektromobilität ein langfristiger Trend sein wird, von dem Brandenburg profitiert", so Brönstrup. 

Wirtschaftliche Fortschritte stehen auf dem Spiel  

Roland Sillmann, Geschäftsführer von WISTA - einem landeseigenen Unternehmen, das eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bildet - ist besorgt. Als vor rund zehn Jahren die ausländerfeindliche Organisation Pegida in Sachsen stark wurde, hätten Unternehmen bereits in Erwägung zogen, ihre Standorte zu verlagern. "Da hatte ich relativ viele Anrufe von Startups aus Dresden, die überlegten, nach Berlin zu kommen."

Laut ifo-Umfrage schätzen 78% der Ökonomen und Ökonominnen, dass die AfD-Wahlerfolge in Sachsen und Thüringen für die Wirtschaftsstandorte negative bis sehr negative Auswirkungen haben werden.  

Führende AfD-Mitglieder am Wahltag: Tino Chrupalla, Hans-Christoph Berndt und Alice Weidel Bild: Sean Gallup/Getty Images

Die Wahlerfolge der AfD und die Verluste der großen Volksparteien führen oft zu Koalitionen zwischen Parteien mit sehr unterschiedlichen Positionen. In Brandenburg könnte das nun ähnlich laufen. Denn neben der AfD hat auch das populistische, links-konservative "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) hohe Gewinne erzielt.

Das vorläufige Ergebnis zeigt: Die SPD könnte eine Mehrheit mit der CDU und dem BSW bilden oder auch nur mit dem BSW. Ansonsten bliebe der SPD die Option, eine Minderheitenregierung mit der CDU zu bilden. Alles schwierige Kombinationen.   

Wie eine neue Partei die politische Landschaft verändert

02:49

This browser does not support the video element.

Brandenburg braucht schnelle Entscheidungen 

Könnte die neuen Mehrheitsverhältnisse Investoren verunsichern? WISTA-Chef Sillmann hält das für möglich. "Brandenburg unterliegt durch den Kohleausstieg einem starken Strukturwandel. Da braucht es Kontinuität und schnelle Entscheidungen."

Brönstrup vom Unternehmensverband sieht das weniger kritisch. Er gehe davon aus, dass die koalierenden Parteien Regierungsverantwortung übernehmen wollen - "die wissen, worum es geht". Zudem komme es für Investoren auf langfristige Standortbedingungen an.  

Ministerpräsident und Spitzenkandidat der SPD Dietmar Woidke (Mitte) nach den ersten Hochrechnungen am Wahltag - die SPD hat knapp gewonnenBild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Die Wahl in Brandenburg könnte auch eine Vorausschau darauf sein, dass bei der Bundestagswahl in einem Jahr die Koalitionsbildung wieder eine Herausforderung wird.

Vor der Wahl in Brandenburg hatten alle aussichtsreichen Parteien ausgeschlossen, mit der AfD zu koalieren.  

Die Zivilgesellschaft und Unternehmen müssten ebenfalls Verantwortung übernehmen, so DIW-Präsident Fratzscher zur DW. "Da muss man stärker Farbe bekennen, um zu zeigen: Deutschland ist ein Einwanderungsland."  

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen