Wut und Trauer
12. März 2012Ein amerikanischer Soldat hatte in der Nacht zum Sonntag (11.03.2012) in Afghanistans Südprovinz Kandahar 16 Menschen getötet, darunter neun Kinder und drei Frauen. Die Menschen in Afghanistan sind fassungslos: Wie ist es möglich, dass ein bewaffneter Soldat auf Kleinkinder und Frauen schießt? Eine überzeugende Antwort hat bislang kaum jemand gefunden.
Eine Bewohnerin des Unglücksdorfes in der Süd-Provinz Kandahar war selbst Zeugin der grausamen Tat: "Der Angreifer war brutal. Er hat sogar die Leichen verbrannt", erinnert sie sich und rätselt über die Motive: "Ist das der Kampf gegen die Taliban? Zählen jetzt auch Kleinkinder als Taliban? In unserem Dorf haben wir seit zwei Monaten keine Talibankämpfer mehr gesehen." Wut und Trauer empfinden nicht nur die Menschen in Kandahar. Viele im Land fühlen sich allein gelassen und schutzlos. Sie verlangen, dass der Täter hart bestraft wird.
"Es reicht uns jetzt."
In der Sitzung des afghanischen Unterhauses am Montag (12.03.) griffen die Parlamentarier die US-Regierung scharf an. Die Abgeordneten zweifeln daran, dass es nur ein Soldat war, der Amok lief, berichtet Mahmud Khan, Abgeordneter aus Kandahar: "Das Blutbad von Kandahar ist nicht die Tat eines Einzelnen. Wir gehen davon aus, dass es mehrere Soldaten waren. Wir verlangen, dass die Täter vor ein afghanisches Gericht gestellt werden. Eine andere Entscheidung werden wir nicht akzeptieren."
Die afghanischen Politiker fordern, dass die Verantwortlichen auch tatsächlich bestraft werden, sagt Mahmud Khan. "Die USA versprechen viel, aber sie halten sich nicht daran", kritisiert er und fügt hinzu: "Das ist nicht das erste Mal, dass unschuldige Afghanen durch US-Soldaten getötet werden. Es reicht uns jetzt." Dieses Mal könne sich der amerikanische Präsident nicht mit einer Entschuldigung aus der Affäre ziehen, meinen die Abgeordneten. "Solche leeren Entschuldigungen reichen vielleicht der afghanischen Regierung aus, uns aber nicht", heißt es aus Kabul. Aus Protest legten die Parlamentarier nach ihrer Sitzung ihre Arbeit für einen Tag nieder.
Die Untersuchung hat begonnen
Der afghanische Präsident Hamid Karsai, der selbst aus Kandahar stammt, sprach in einer ersten Reaktion von der Untat eines "Mörders". Er versprach, alles zu tun, um das Verbrechen in seiner Geburtsprovinz aufzuklären. Er bat die Menschen, Ruhe zu bewahren und auf sein Wort zu vertrauen.
Inzwischen sei ein erstes Expertenteam am Tatort im Einsatz, erklärte Lutfullah Maschhal, Sprecher der afghanischen Geheimdienste, gegenüber der Deutschen Welle: "Beamte aus mehreren Ministerien haben mit der Untersuchung des Vorfalls begonnen. Erst wenn diese Untersuchungen abgeschlossen sind, werden die Medien mehr über die Umstände in Kandahar erfahren."
Kein "politisches Porzellan" zerschlagen
Die afghanische Regierung hält sich mit Kommentaren zu dem Blutbad in Kandahar auffallend zurück. Das Präsidialamt gab am Montag lediglich bekannt, dass US-Präsident Barack Obama in einem Telefongespräch seinem afghanischen Kollegen die "volle Unterstützung" zugesichert habe. Kabul, sagen einige Experten, möchte im Vorfeld der wichtigen Verhandlungen zu einer dauerhaften strategischen Partnerschaft mit den USA nicht unnötig "politisches Porzellan" zerschlagen.
Im Gegensatz zu der afghanischen Regierung melden sich die Taliban fast stündlich mit Erklärungen zu Wort. "Wir werden die US-Soldaten für ihr Verbrechen in Kandahar bestrafen", heißt es in diesen Erklärungen. Bei solchen und ähnlichen Vorfällen spielen sich die Taliban stets als Rächer der Nation auf - zum Bedauern der Kabuler Regierung mit steigendem Erfolg.
Autor: Ratbil Shamel
Redaktion: Ana Lehmann