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Afghanen in Deutschland zwischen Hoffnung und Sorge

18. Oktober 2001

Rund 80.000 Flüchtlinge in der Bundesrepublik - Breite Unterstützung für Militäreinsatz gegen Taliban

Die Fernsehberichte über Afghanistan sorgen für Aufregung in afghanischen Familien. 'Sie sehen die Straßen und Häuser wieder im Fernsehen, in denen sie einst gelebt haben. Die Menschen rauchen viele Zigaretten, alle Telefone sind besetzt, jeder sucht Kontakt.' Auch zu Azam Dafar, dem afghanischen Psychologen. Seit 1992 lebt Dadfar in Hamburg. Zwischen 1985 und 1992 leitete er ein psychiatrisches Zentrum für afghanische Flüchtlinge in Pakistan und betreute dort unter anderem Folteropfer. Mehr als 80.000 Afghanen leben in Deutschland, davon rund 20.000 allein in Hamburg.

Nach Odyssee von vorne anfangen

Im Exil hätten viele Afghanen versucht, nicht an ihre Vergangenheit zu denken, sagt Dadfar. 'Man hat sich mit Kleinigkeiten beschäftigt.' Das sollte auch über den Verlust der gesellschaftlichen Stellung im Exil hinweg trösten. Die in Hamburg lebenden Afghanen mussten auf ihrer Flucht meist mehrfach wieder ganz vorne anfangen: Viele haben eine langjährige Odyssee hinter sich, oft über Indien, Pakistan und Prag bis nach Deutschland, wo sie zwar kein Asyl bekommen, aber geduldet werden. Fliehen konnte nur, wer es sich leisten konnte: Wer genug Geld für den Flug für die ganze Familie hatte und am besten noch einen Diplomatenpass. 'In Afghanistan geblieben sind nur die Ärmsten und Schwächsten', sagt Dadfar.

'Was sollen die oft intellektuellen Afghanen hier, wo sie als Taxifahrer arbeiten?' fragt sich auch Asad Rasta Habibi, Sprecher des Vereins zur Nationalen Einheit Afghanistans mit Sitz in Sankt Augustin bei Bonn. Afghanen sei der Verein unter dem Begriff 'Rastakhis' bekannt, sagt Habibi, dem persischen Wort für Wiederaufbau. Die meisten der in Hamburg lebenden Afghanen würden in ihre Heimat zurückkehren, sobald das möglich sei: 'Wir sind gerne bereit, das Land wieder aufzubauen', sagt Habibi.

Ohnmacht führt zu Depressionen

Seit Afghanistan Ziel der Militärangriffe ist, sei die verlorene Heimat wieder wichtigstes Gesprächsthema unter Afghanen, meint Dadfar. 'Die Eltern hören den ganzen Tag Radio. Viele wissen nicht, was mit ihren Verwandten in Kabul passiert.' Manche telefonierten nach Pakistan, nach Afghanistan bestehe aber kein Kontakt. 'Das Mitleid bedrückt die Menschen, die Ohnmacht führt zu Depressionen. Jeder will etwas tun.'

Das sei nicht immer so gewesen. Politisch aktive Intellektuelle seien in Afghanistan ermordet worden. Habibi erklärt: 'Sie hatten es satt, Politik zu machen, und haben sich in das kulturelle Leben zurückgezogen.' Gestandene Historiker versuchten sich in Hamburg als Landschaftsmaler.

Der frühere Lehrer Rahman Nadjafi zum Beispiel engagiert sich für seine Heimat: Sein Verein, das 'Komitee zur Unterstützung der Flüchtlinge in Afghanistan und zum Wiederaufbau des zerstörten Landes' in Hamburg, sammelte über 70 Tonnen an Nahrungsmitteln. Einen Weg, die Spende nach Afghanistan zu bringen, haben sie noch nicht gefunden. Überhaupt hoffen die Afghanen auf Hilfe von außen, auf 'eine Befreiung vom Terror-Regime der Taliban', sagt Nadjafi. Aus eigener Kraft könne das kriegsmüde afghanische Volk nicht gegen die Taliban ankommen. Über 90 Prozent der in Deutschland lebenden Afghanen seien deshalb für den Militäreinsatz in ihrer Heimat.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Vielleicht eröffnet sich so die Möglichkeit auf eine bessere Zukunft in einem friedlichen Afghanistan, hofft Nadjafi. Er würde am liebsten den ins italienische Exil geflüchteten König Zahir Schah als Übergangsregierung sehen. Habibi setzt dagegen eher auf die Demokraten im Exil. Statt Geld für Waffen auszugeben, sollten amerikanische und europäische Politiker 'in die Intellektuellen im Exil als Teil der afghanischen Zivilgesellschaft investieren'.

Habibi warnt davor, die Taliban beim Wiederaufbau des Landes politisch zu beteiligen: 'Es gibt keine gemäßigten Islamisten, wie es auch keinen gemäßigten Mörder gibt.' Auch die zerstrittene Nordallianz verstehe sich mehr auf das Kämpfen als auf Demokratie. 'Wenn mit dem Schicksal des braven afghanischen Volkes noch einmal gespielt wird, nimmt der Konflikt kein Ende.'

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